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Diskussion im Domforum„Queer sein ist so viel mehr als Sexualität“

Lesezeit 4 Minuten
Teilnehmende an Veranstaltungen des Kölner Stadtdekanats zum Cologne Pride Festival 2024: Annelie Bracke, Ken Reise (alias Julie Voyage), Cassy Carrington, Robert Kleine (von links)

Teilnehmende an Veranstaltungen des Kölner Stadtdekanats zum Cologne Pride Festival 2024: Annelie Bracke, Ken Reise (alias Julie Voyage), Cassy Carrington, Robert Kleine (v.links)

Gegen wütende Kritik aus rechtskatholischen Kreisen diskutierte der Kölner Stadtdechant Robert Kleine im Domforum aus Anlass des CSD.

Die Spannung könnte kaum offenkundiger sein. „Meine Meinung ist, dass Gott jeden Menschen liebt, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung“, sagt Stadtdechant Robert Kleine im Domforum. Doch die katholische Kirche beharre mit ihrer Darstellung biblischer Geschichten und mit ihrer Lehre immer noch einseitig auf der Liebe zwischen Mann und Frau als einziger Norm. „Wir tun Menschen Leid an, wenn wir versuchen, sie ‚umzupolen‘. Und deswegen müssen sich die Grenzen der Akzeptanz weiter öffnen, auch wenn das die Frage provoziert, wie katholisch das dann eigentlich noch ist.“

Klare Worte in der Diskussionsrunde „God meets Gays – Kirchentalk und Halleluja“, zu der das Stadtdekanat aus Anlass von Cologne Pride und Christopher Street Day eingeladen und daran festgehalten hat - trotz wütender Kritik vom rechten, homophoben Rand der Kirche und einer Petition auf einer einschlägigen Online-Plattform, die von Kardinal Rainer Woelki ein Verbot verlangte.

Verlust aller kirchlichen Ehrenämter nach Outing

„Gesprächsrunden wie diese müssen stattfinden“, sagt Kleine. „Hier passiert nichts, das gefährlich ist. Und hier passiert auch nichts, das ‚eklig‘ ist. Hier soll ein Dialog geschaffen werden, der dabei hilft, wenigstens ein bisschen besser das zu verstehen, was mir vorher vielleicht total suspekt war.“

Alles zum Thema Christopher Street Day

Der Wille zum Dialog mit der queeren Community stößt beim Publikum des Abends größtenteils auf Zuspruch. Kritik hagelt es dagegen an der Kirchenleitung.  Als lügnerisch bezeichnet ein Zuhörer Behauptungen aus dem Erzbistum, an der Diskriminierung queerer Menschen habe sich vieles zum Besseren bewegt. Ein anderer erzählt in emotionalen Worten seine Geschichte: Jahrelang habe er sich ausgeschlossen gefühlt, sei in Depressionen verfallen und erst in einer Klinik zur Erkenntnis gelangt, homosexuell zu sein. Nach der Selbstbefreiung durch das Outing 2018 habe er in der Kirche alle Ehrenämter niederlegen müssen.

„Wenn du so bist, dann liebt Gott dich nicht“

„Wenn du so bist, dann bist du nicht in Ordnung. Wenn du so bist, dann liebt Gott dich nicht.“ Auf diese Formel bringt die Psychologin und Theologin Annelie Bracke, Leiterin der katholischen Telefonseelsorge Köln, das Bild, das queeren Menschen von der Kirche vermittelt wurde und in Teilen immer noch vermittelt wird. Dabei sei die „sexuelle Identität nicht nur Kern unserer Persönlichkeit, sie ist auch eine Glücksquelle“, hält Bracke dagegen. „Was, wenn diese Quelle plötzlich trocken liegt, weil ich mich nicht angenommen fühle, wie ich nun mal bin?“ In der Beratung am Telefon sie regelmäßig das Leid und die Belastung der Menschen, die sich aufgrund ihrer sexuellen Identität in der Gesellschaft nicht zugehörig fühlen.

Drag-Künstlerin Cassy Carrington als Moderatorin des Abends legt eigene Erfahrung dazu. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im Münsterland, habe auch sie Ablehnung erlebt: „Ich habe mich nicht gesehen gefühlt, und dann bin auch ich aus der Kirche ausgetreten. Was aber nicht heißt, dass ich eine Einladung vor vornherein ablehnen würde. Ich bin für das Miteinanderreden und meinetwegen auch für das Miteinanderstreiten, und wenn wir dann am Ende nicht auf einen Nenner kommen, dann wissen wir wenigstens, wie die andere Seite denkt und können das verstehen.“

Strukturell muss sich mehr ändern als nur der Dialog

Weltweit ist die Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Orientierung ein großes Thema. Mit der Macht, die katholische Kirche in vielen Regionen immer noch hat, und mit ihrer Rolle als Arbeitgeberin in Deutschland setzt sie queere Menschen unter enormen Druck, der gegenwärtig noch immer spürbar ist. Strukturell müsse sich darum mehr ändern als nur der Dialog, sagt Kleine.

Aus ihrer Aufklärungsarbeit an Schulen weiß Carrington, dass „Schwul sein“ noch immer für Beleidigungen herhalten müsse. „Manche Schülerinnen und Schüler wissen gar nicht, was sie mit ihren Worten anrichten können, und schon allein deshalb braucht es mehr Transparenz im Unterricht in Sachen Identität. Denn Queer sein ist so viel mehr als nur die Sexualität, auf die wir fälschlicherweise oft reduziert werden.“

Für mehr Verständnis, mehr Akzeptanz und mehr Hilfe

Mehr Verständnis, mehr Akzeptanz und vor allem mehr Hilfe beim Zurechtfinden mit der eigenen Identität – darauf komme es an. An diesem Punkt sind sich alle Diskutierenden des Abends einig.

Und im Grunde wolle doch auch die Kirche, „dass die Menschen das Leben feiern und dass wir unsere Vielfalt, unser Zusammenkommen feiern, egal, wer wir sind, wie wir sind und wie wir lieben - das ist meine Überzeugung!“, sagt eine Frau und schließt mit einem leidenschaftlichen Appell:  Was die Kirche in der Vergangenheit für gut befunden habe, sei heute vielleicht nicht mehr zeitgemäß. „Dann müssen wir das ändern.“