Die Kölner Ex-Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner geht der Frage nach, was es mit den sechs Schildkröten im Kölner Dom auf sich hat.
Geheimnis Kölner DomDie sechs sündhaften Schildkröten und der Verwirrte
Kerzenständer gibt es im Dom zuhauf. Der größte ist 3,50 Meter hoch und aus Bronze gegossen. Ein Mordstrumm, wäre ich versucht zu sagen, wenn das nicht so despektierlich klänge. Denn der Osterleuchter erfüllt ja eine wichtige liturgische Funktion. Jedes Jahr in der Osterzeit kommt er von seinem angestammten Platz neben dem Taufbrunnen in der Engelbert-Kapelle auf das Vierungspodest in der Mitte des Doms. Hinter dem Lesepult, dem Ambo, stehend, trägt er die Osterkerze, das Symbol des auferstandenen Christus.
Kölner Dom: Schildkröten mit mehreren Bedeutungen
Noch bis Himmelfahrt können Sie sich dieses besondere Ausstattungsstück also aus nächster Nähe ansehen. Bei der Gestaltung im Bronzeguss-Verfahren hat der Bildhauer Elmar Hillebrand (1925 bis 2016) eine 1000-jährige Tradition aufgegriffen und den Leuchter als Säule mit spiralförmig darum herum gewundenen Weinranken gestaltet. Seit den 1960er Jahren war Hillebrand der führende Mann für Ausstattungsgegenstände im Dom. Spezialität des Leuchters sind für mich die sechs Schildkröten unter dem Sockel.
In der Bibel und der christlichen Bildwelt spielt die Schildkröte keine zentrale Rolle – in anderen Kulturen aber sehr wohl. Da ist sie – wegen ihres Panzers – mal Symbol der Keuschheit, mal der Fruchtbarkeit oder auch der Ruhe, woraus dann negativ die Trägheit wurde. Die Reformation sah in der Schildkröte gar die Sünde verkörpert. Für einen frühen Kirchenvater hatte gegolten: Nur eine tote Schildkröte ist eine gute Schildkröte.
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Bei Elmar Hillebrand sehen die sechs Leuchterträgerinnen ganz freundlich und lebendig aus. Das will etwas heißen. Der Osterleuchter ist nämlich irre schwer. Das Aufstellen zu Ostern war deshalb immer wieder ein Riesenproblem. Man musste ihn horizontal von der Engelbertkapelle zum Altarpodest transportieren und ihn dann aus der Waagerechten in die Senkrechte wuchten. Mehrere Male ist dabei einer der Schildkrötenfüße abgebrochen. Um das zu verhindern, haben die Steinmetze der Dombauhütte eigens eine raffinierte Methode mit Unterschieben von Keilen entwickelt.
In der zweiten Hälfte meiner Dienstzeit – ich meine mich zu erinnern, im Jahr 2010 – ist es dann passiert: Ein Verwirrter kam über die Kommunionbank auf das Vierungspodest gesprungen und warf den Osterleuchter um, weil der so aussehe wie Harald Schmidt. Mag ja sein, aber mir fehlt dafür die Kraft der Fantasie. Auch die Körperkräfte des Mannes müssen gewaltig gewesen sein. Sonst hätte er das gar nicht geschafft. Von der Attacke bekam nicht nur das Podest einen Knacks, sondern auch der Osterleuchter einen Riss. Zur Reparatur ging er zurück in Hillebrands Werkstatt.
Die Arbeiten wurden vom Sohn des Künstlers ausgeführt, der selbst Kunstschmied und Bildhauer ist. Er nutzte die Gelegenheit, den Schaft in zwei Teile zu zerschneiden und ein von außen unsichtbares Gewinde hinzuzufügen. So kann man den Osterleuchter heute bequem in zwei Teilen transportieren und aufstellen – schildkrötenschonend.
Geheimnis Kölner Dom – die Serie
Den Dom kennt jeder. Aber wie gut kennen sich die Kölnerinnen und Kölner wirklich aus in „ihrer“ Kathedrale? Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner erzählt die spektakulärsten und spannendsten Geschichten. Das Buch Dom-Geschichten mit den gesammelten Kolumnen von Barbara Schock-Werner können Sie im KSTA-Shop kaufen.
Dieser Text ist zuerst im September 2019 im Kölner Stadt-Anzeiger erschienen.