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Drogenszene am Kölner Neumarkt„Viele Junkies tun für den nächsten Schuss fast alles”

Lesezeit 5 Minuten

Drogenabhängige setzen sich am Neumarkt in aller Öffentlichkeit Spritzen.

  1. Drogentote, Kriminalität und Müll: Anwohner und Geschäftsleute rund um den Kölner Neumarkt leiden seit Jahren unter den Zuständen, die durch Drogensüchtige verursacht werden.
  2. Vor ihren Augen spielen sich unglaubliche Szenen ab – und sie werden auch selbst angegriffen. Wie mit den Süchtigen am besten umzugehen ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.
  3. Einige befürchten, dass ein neuer Drogenkonsumraum zum Anziehungspunkt der Szene wird. Ein Bericht.

Köln – Während der vergangenen acht Jahre ist Mehmet Kizil zum Beobachter geworden, sagt er. Dabei ist der 40-Jährige eigentlich Geschäftsmann in der Nähe des Neumarkts. Vier oder fünf tote Menschen hat er zwischen 2011 und heute im direkten Umfeld seines Geschäfts gesehen — Drogensüchtige. Seine Erfahrungen haben ihn härter gemacht. Wie Kizil haben viele Anwohner und Geschäftsleute ihre ganz eigenen Erlebnisse mit der Szene.

„Mein Sinn dafür, das Verhalten anderer Menschen schnell einzuschätzen, ist inzwischen sehr ausgeprägt – auch aus Selbstschutz“, sagt der türkeistämmige Kölner, der seit 2011 südlich des Neumarkts, auf dem Platz gegenüber der Volkshochschule und neben der Stadtbibliothek, den Bäckerei-Kiosk Memos betreibt.

Vier oder fünf tote Menschen hat er zwischen 2011 und heute im direkten Umfeld seines Geschäfts gesehen, „Drogenabhängige, die sich entweder auf einen Schlag zu viel verabreicht haben, oder die mit der Zeit immer weiter zugrunde gegangen sind“, sagt Kizil.

Regelmäßig stünden Angehörige der Drogenszene, die sich seit Jahren auf dem Neumarkt konzentriert, vor seiner Ladentür, fragten nach Geld, wollten ihm etwas verkaufen, oder versuchten – im Extremfall – auch etwas zu stehlen. „Hauptsache, ein paar Euro ergattern“, so Y, „denn wenn der nächste Schuss ansteht, tun viele Junkies fast alles dafür.“

Kizil bedauert zwar die schweren Fälle der Szene. Inzwischen ist der 40-Jährige aber auch härter geworden – nicht zuletzt, weil ihm zuletzt ein aggressiver Süchtiger fast die Nase gebrochen hätte. „Die Zuständigen bei der Stadt begehen den Fehler, die Menschen hier normal behandeln und integrieren zu wollen“, sagt der 40-Jährige. „Aber sie sind krank. Auf Heroin oder auf der Suche nach Stoff fühlen, denken und handeln sie nicht normal.“

Kioskbesitzer Mehmet Kizil (r.)

In seinen Kiosk kämen viele Schüler und Studenten, die regelmäßig die Stadtbibliothek nutzten. „Ich habe keine Angst vor den Junkies, die meisten von ihnen sind auch friedlich“, schildert Kizil den Alltag. Aber eine Mutter mit Kind, seine Kolleginnen oder andere junge Frauen könnten in der Umgebung schon Probleme kriegen. Vor wenigen Wochen hat Kizil einen Abhängigen gestellt, der 900 Euro aus der Kiosk-Kasse gestohlen hat. „Ich konnte ihn aufhalten, habe ihn angeschrien – und ihn dann fortgeschickt, ohne die Polizei zu rufen. Denn das bringt eh nichts“, sagt er.

Am Josef-Haubrich-Hof soll Ende 2020 der vorübergehende Betrieb eines Drogenkonsumraums aufgenommen werden, bis eine städtische Liegenschaft für ein dauerhaftes Drogenhilfeangebot umgebaut und hergerichtet werden kann. Das hat die Verwaltung kürzlich beschlossen. Die Politik hat bislang nicht zugestimmt.

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Die Sozialverwaltung sagt, dass dieses stationäre Angebot wirkungsvoller sein werde als die mobile Lösung, die Ende des Jahres an der Jabachstraße zwischen Schnütgen-Museum und der Kirche St. Peter installiert werden soll. Sie biete mehr Plätze, ein besseres Sanitärangebot und bessere Bedingungen für Aufenthalt und Beratung der Drogenabhängigen.

Ein Arrangement mit der Situation vor Ort müssen auch die meisten der Gewerbetreibenden rund um den Neumarkt eingehen. Auf die aktuelle Planung der Verwaltung reagieren Kizil, aber auch viele weitere Geschäftsinhaber der Umgebung mit Skepsis. „In Köln gibt es die Tendenz, dass Überganglösungen sich etablieren“, beschreibt Martin Stender seine Meinung. Der Lagerist im Gastronomie-Fachhandel Badorf arbeitet schon lange an der Fleischmengergasse. Vor rund einem halben Jahr, berichtet er 65-Jährige, habe sein Arbeitgeber ein Rollgitter aus Metall vor dem recht großen Eingangsbereich des Geschäfts installiert. „Vorher musste die Putzkraft hier jeden Morgen mit dem Hochdruckschlauch säubern“, so Stender. Dort lagen immer wieder Müll, Fäkalien oder gebrauchte Spritzen.

Eine angemessene und dauerhafte Lösung für die Drogenszene in Köln sei vonnöten. „Natürlich ist das hier nicht schön, aber eine örtliche Verlagerung löst das Problem auch nicht“, vermutet Stender. So wie Kioskbetreiber Mehmet Kizil hält auch er die Schaffung einer langfristigen und angemessen ausgestatteten Anlaufstelle, ausreichende Betreuung und mehr Sicherheitspersonal für sinnvoll: „Das muss man aber wollen und dann auch machen – und dafür ausreichend Geld in die Hand nehmen, sonst ändert sich nichts.“

Diese Meinung teilen längst nicht alle Geschäftsleute im Viertel. Einige von ihnen haben sich wie viele Anwohner in der Bürgerinitiative Neumarkt e.V. zusammengeschlossen. Die Gruppe tritt gegenüber der Politik dafür ein, die Drogenszene rund um den Neumarkt konsequent aus der Innenstadt zu verbannen. „Hier sind viele Touristen unterwegs, was bekommen die für einen Eindruck von Köln?“, fragt etwa Günter Sardis, Inhaber des Restaurants Puszta-Hütte an der Fleischmengergasse. „Jeden Tag kommen Junkies hierher, sprechen Gäste an und schnorren – vor ein paar Jahren ist einer auf unserer Toilette gestorben“, schildert er. Das sei ein ständiger Kampf, bisher habe keine Strategie dagegen gewirkt.

Die Betreiber des Café Libresso, Patrick und Mardjan Statz

Seit vier Jahren betreiben Patrick und Mardjan Statz das „Café Libresso“ ein paar Häuser weiter auf der Straße, Auch sie haben eine Außengastronomie. „Klar, hier ist einiges los, das bekommt man zu spüren“, sagt sie. „Wirklich schlimme Erfahrungen haben wir hier aber noch nicht gemacht“, ergänzt er. Auch die beiden jungen Gastronomen wünschen sich, dass bald eine „vernünftige Lösung“ gefunden wird. Sie hoffen, dass der geplante Konsum-Container die Präsenz der Szene in der Umgebung des Neumarkts eindämmt, glauben aber „nicht so richtig“ daran. Trotzdem, darin sind sich beide einig „sollte man aber versuchen, den Menschen zu helfen“, sagt Mardjan Statz.