Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat zwei Feuerwehrleute bei einer Schicht im Rettungswagen begleitet: vom Kokain-Konsumenten bis zur Schnittverletzung.
Unterwegs mit dem RettungsdienstDas erleben Notfallsanitäter an einem Tag in Köln
Ein umgestürzter Kran, ein schwächelnder Kokain-Konsument, ein Schüler mit Schnittverletzung – ein normaler Tag für Rettungssanitäterin Veronika Capoccia (29) und Notfallsanitäter Markus Buth (39). Die beiden Feuerwehrleute sind auf der Feuerwache 4 an der Äußeren Kanalstraße in Ehrenfeld stationiert. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat Capoccia und Buth zwölf Stunden auf ihrer Schicht begleitet – der Tag im Protokoll.
7.30 Uhr, Feuerwache 4, Äußere Kanalstraße
Die ersten Sonnenstrahlen des Tages dringen durch die Fenster, im Foyer der Feuerwache 4 an der Äußeren Kanalstraße in Ehrenfeld stehen 20 Feuerwehrleute bei der Frühbesprechung zusammen – oder wie man bei der Feuerwehr sagt: morgendliches Antreten. Der Hauptmeister vom Dienst trägt vor, wer welche Fahrzeuge besetzt, wer Dienst auf dem Löschfahrzeug hat und wer auf dem Rettungswagen sitzt.
Fast alle Berufsfeuerwehleute in Köln können beides, sie sind im Brandschutz ausgebildet, aber auch als Rettungsassistent oder Notfallsanitäter. Eine Schicht dauert 24 Stunden, mit Ruhezeiten zwischendurch. Jeder und jede macht zwei Schichten pro Woche, acht im Monat. Die restlichen 22 oder 23 Tage sind frei.
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7.40 Uhr, Fahrzeughalle
Veronika Capoccia (29) und Markus Buth (39) checken, ob in ihrem Rettungswagen, Rufname „4 RTW 1“, alles an seinem Platz ist. Die „4“ steht für Feuerwache 4, die „1“ benennt einen von insgesamt sechs Rettungswagen der Wache. Brandmeisterin und Rettungssanitäterin Capoccia prüft, ob der Corpuls 3 einsatzbereit ist – ein Messinstrument, Defibrillator und EKG-Schreiber in einem und mit das wichtigste Gerät an Bord. Aber irgendwas stimmt nicht. „Ich kann nicht schocken“, stellt Capoccia fest. Ein Kollege unterstützt, dann klappt es.
Capoccia ist erst seit Juli auf der Feuerwache 4 in Ehrenfeld, Hautbrandmeister und Notfallsanitäter Markus Buth schon länger. Er ist heute der „Fahrzeugführer“, Capoccia die Fahrerin. Aber es könnte auch andersherum sein. „Wir arbeiten immer im Team, absolut auf Augenhöhe“, betont Buth.
8.57 Uhr, Aufenthaltsraum Feuerwache 4
Der Lautsprecher in der Fahrzeughalle knistert, eine männliche Stimme meldet sich: „Achtung, es folgt eine wichtige Durchsage: Es gibt Frühstück.“ Oben im Aufenthaltsraum treffen sich alle Einsatzkräfte zum Essen. Der Zusammenhalt ist stark, der Teamgedanke gehe bei der Feuerwehr über alles, sagt Markus Buth. Viele sind untereinander befreundet. Man kennt die anderen Familien, trifft sich zum Sport und zum gemeinsamen Wandern. „Wir müssen alle gut miteinander arbeiten und uns aufeinander verlassen können“, sagt Buth. „Es geht um Menschenleben. Wenn das privat nicht passt, dann passt es auch im Einsatz nicht.“
10.32 Uhr, Einsatz „Internistisch 1“, Neuehrenfeld
Ein heller Gong ertönt, über Lautsprecher alarmiert eine Computerstimme die Besatzung des „4 RTW 1“. 90 Sekunden haben Capoccia und Buth Zeit, dann müssen sie spätestens ausrücken, so will es die interne Vorgabe. Aber schon eine knappe Minute später geht es mit Blaulicht und Sirene nach Neuehrenfeld. Ein Pflegedienst-Mitarbeiter hat den Notruf gewählt.
In einer Zwei-Zimmer-Wohnung im zweiten Obergeschoss liegt ein 69 Jahre alter Mann auf einer zerschlissenen Schlafcouch im Wohnzimmer. Der Boden ist vollgestellt mit Kisten und Taschen voller Leergut, die Wohnung ist in einem verwahrlosten Zustand. Der Mann wurde gestern Abend aus einem Krankenhaus entlassen, ein Krankenwagen hat ihn nach Hause gebracht und hier abgesetzt. Nun ist er auf sich allein gestellt, kann aber nicht einmal aufstehen. Hat nichts gegessen und seit gestern Abend nur Cola getrunken. „Der kann sich nicht alleine versorgen“, sagt der ambulante Pfleger, der eigentlich nur zweimal am Tag zur Medikamentengabe kommen soll.
Capoccia und Buth messen Blutzucker, Blutdruck, Sauerstoffsättigung – alles in Ordnung. Sie bringen den Mann in den RTW und dann ins Franziskus-Hospital, dort soll er durchgecheckt werden. „Das wird jetzt eine Dauerbaustelle“, glaubt der Pfleger. „Aber so ist unser Gesundheitssystem.“
„Eigentlich kein Fall für den Rettungsdienst“, sagt Markus Buth später in der zugigen RTW-Zufahrt zum Krankenhaus, einen weißen Plastikbecher mit Espresso in der Hand. Rund 15 Prozent aller Einsatzfahrten des Rettungsdienstes Köln waren im vergangenen Jahr vermeidbar, sagt die Stadtverwaltung – viele Patienten seien nicht in einer von ihnen behaupteten Notlage gewesen.
Der vorliegende Fall ist grenzwertig. Die Entlassung des Patienten aus dem Krankenhaus hätte wohl besser koordiniert werden können. Andererseits war der Mann nicht akut gefährdet. „Ich will es jedenfalls nicht verantworten, wenn wir einfach wieder weggefahren wären und sich sein Zustand dann verschlechtert hätte“, sagt Buth.
Das Krankenhaus wird nun wahrscheinlich den Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt informieren. Der muss dann beurteilen, ob der 69-Jährige womöglich dauerhaft in ein Pflegeheim kommt und einen gesetzlichen Betreuer kriegt.
11.25 Uhr, Einsatz „Chirurgisch 1“, Gymnasium Kreuzgasse
Im Gymnasium Kreuzgasse hat sich ein Schüler mit einem Teppichmesser in den Daumen geschnitten. Er kauert auf einer Bank vor dem Sekretariat und presst Papiertücher um seinen blutenden Daumen. Der Junge zittert und schluchzt. „Da kommen die Profis“, sagt eine Lehrerin erleichtert, als Capoccia und Buth den Flur betreten. „Leider nicht, wir sind’s nur“, sagt Buth scherzhaft. Setzt sich neben den Jungen, tröstet ihn und zeigt ihm seine eigenen Narben.
„Guck mal hier“, sagt der Feuerwehrmann und deutet auf seinen linken Unterarm, „da bin ich mal in Glas gefallen, musste mit 17 Stichen genäht werden. So viele werden das bei dir nicht, höchstens drei oder vier. Morgen ist alles wieder gut.“ Veronika Capoccia legt dem Schüler einen Verband an. Mit ruhiger Stimme erklärt Buth ihm, dass es völlig normal ist, dass er zittert, „das kommt vom Adrenalin“ – und dass es nun mit dem RTW ins Kinderkrankenhaus geht. Dort warten schon die Eltern.
12.42 Uhr, Einsatz „Verkehrsunfall 1“, Lessingstraße
Nicht nur der Gong, auch ein Pieper am Hosengürtel informiert Capoccia und Buth über ihren nächsten Einsatz: umgekippter Kran in der Lessingstraße. Sieht spektakulär aus, Markus Buth weist die Bauarbeiter an, Abstand zu halten. Weiter aber ist für das Rettungsteam hier nichts zu tun.
Der Baukran ist der Länge nach auf einen Parkstreifen gekracht und hat einen Kleinwagen durchbohrt. Zum Glück saß niemand drin, auch sonst wurde keiner verletzt. „Das hätte auch anders ausgehen können, dann hätten wir jetzt hier ein Riesenproblem“, sagt Markus Buth und steigt wieder in den RTW. Die Polizei sperrt die Straße, die Baufirma muss den Kran abbauen.
13.45 Feuerwache 4, Aufenthaltsraum
Im Flur der Wache riecht es nach Gulasch und Rotkohl, dazu gibt es Kartoffelklöße – zwei Kollegen haben gekocht. „Wenn es geht, machen wir das alle zusammen“, sagt Markus Buth. In der Regel wechselt der Küchendienst reihum, aber einer oder eine ist immer hauptverantwortlich, kauft ein und kocht für die ganze Truppe. Die Kosten werden geteilt, gegessen wird gemeinsam – wenn nichts dazwischen kommt.
14.00 Einsatz „Internistisch 1“, Simarplatz
Der Teller ist noch nicht leer, da ertönt der Gong: Auf dem Simarplatz vor der Kirche St. Peter ist einem Mann schwarz vor Augen geworden, sein Kreislauf ist zusammengebrochen. An einer Stange rutschen Capoccia und Buth durch einen schmalen Schacht eine Etage tiefer in die Wagenhalle und eilen zu ihrem Auto.
Der 47-jährige Obdachlose liegt auf einer Bank. Er habe ein halbes Gramm Kokain geraucht und dazu Colabier getrunken, sagt er. Die Sanitäter bringen ihn zum RTW und fahren ihn ins Franziskus-Hospital. Das sind nur 500 Meter, und schon im Fahrzeug scheint es dem Patienten besser zu gehen. Noch während Markus Buth in der Ambulanz die Papiere für die Übergabe an die Ärzte ausfüllt, entlässt der Mann sich selbst und spaziert festen Schrittes durch den Hinterausgang ins Freie.
Buth holt sich noch ein „Schlückchen Kaffee“. Kleine Pausen sind wichtig, sagt er. In ein Brötchen beißen, eine Zigarette rauchen, einen Kaffee trinken. Rettungskräfte werden täglich mit persönlichen Schicksalen konfrontiert, manche werden im Einsatz angepöbelt, hin und wieder sogar angegriffen. „Man hat nie zweimal denselben Einsatz“, sagt Capoccia. Das mache es auch so spannend. „Aber man muss in diesem Job auf sich achten“, sagt Buth. Vor allem junge, unerfahrene Kollegen neigten oft dazu, „durchzupowern“.
15.40 Einsatz „Internistisch 2“ mit Notarzt, Widdersdorf
Zurück auf der Wache erledigen Buth und Capoccia Schriftkram am PC. Der Gong unterbricht sie: In Widdersdorf klagt eine Frau über Brustschmerzen, Verdacht auf Herzinfarkt. Anhand von GPS-Daten aller Rettungswagen in der Nähe und der aktuellen Verkehrslage in der Stadt hat die Leitstellen-Software errechnet, dass der „4 RTW 1“ wohl am schnellsten am Einsatzort ist. Von der Uniklinik macht sich zusätzlich ein Notarztfahrzeug auf den Weg.
Die Patientin hat Schmerzen, gerötete Haut, sie spürt ein heftiges Jucken und berichtet von einer kürzlich erfolgten Operation. Für das Rettungsteam eine schwierige Situation: „Da kommen jetzt verschiedene Dinge in Frage“, sagt Veronika Capoccia. Die Vitalwerte der Patientin sind in Ordnung, für einen Herzinfarkt gibt es keine akuten Anzeichen. Vielleicht ein allergischer Schock? Ausgelöst durch ein Schmerzmittel? Die Sanitäter verabreichen der Frau ein Medikament, das die Histamin-Ausschüttung hemmt.
Und tatsächlich: Während der Fahrt ins Franziskus-Krankenhaus bessert sich ihr Zustand deutlich. Ob es wirklich eine allergische Reaktion war, werden Capoccia und Buth aber wohl nie erfahren. Der Datenschutz verhindert, dass sich Krankenhaus und Rettungsdienst im Nachgang über Details austauschen.
Dabei gibt es Fälle, in denen die Sanitäter durchaus wissen wollen, wie es einem Patienten weiter ergangen ist. Wenn ein Rettungseinsatz besonders dramatisch war, zum Beispiel. Oder wenn Kinder betroffen waren. „Man will ja schon wissen, ob man gut gearbeitet hat“, sagt Buth. Manchmal erfahren die Retter im Nachhinein über Umwege, wie die Sache ausgegangen ist.
17.42, Feuerwache 4, Fernsehraum
Veronika Capoccia zieht ein Zwischenfazit: „Bisher war das für uns im Vergleich zu sonst ein ruhiger Tag, da gibt es ganz andere.“ Auf dem großen Ledersofa im Fernsehraum der Wache switcht Markus Buth durch die Programme. Entlang des Flurs liegen auch die Schlafräume der Feuerwehrleute, fast alles Einzelzimmer. Buth hat gerade die Schuhe ausgezogen, da piept sein Pager: Verlegungstransport. Ein hochinfektiöser Patient muss vom Franziskus-Krankenhaus für eine CT-Aufnahme ins Vincenz-Hospital nach Nippes gebracht werden und wieder zurück. Drei Stunden wird dieser Einsatz dauern.
Fernseher aus, aufstehen, Schuhe anziehen, in die Wagenhalle rutschen, ausrücken. Zügig, aber nicht gehetzt. Für Capoocia und Buth ist das längst Routine. Selbst wenn der Gong sie später in der Nacht aus dem Tiefschlaf holen sollte, brauchen sie keine 90 Sekunden, bis sie wieder auf der Straße sind.