Selbst Ministerpräsident Hendrik Wüst stellte das zweijährige Modellprojekt infrage. Die Stadt hat nach dem Ablauf ein Fazit angekündigt.
Ditib erwartet AnalyseTestphase endet – Bleibt der Muezzinruf in Köln erlaubt?
Ob der Muezzin auch nach dem Ende des zweijährigen Testlaufs an der Kölner Zentralmoschee weiter einmal pro Woche für fünf Minuten öffentlich zum Freitagsgebet rufen darf, steht noch nicht fest. Zunächst will die Verwaltung auswerten, wie das Pilotprojekt in der Moschee der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) gelaufen ist. Das teilte die Stadtverwaltung dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit. „Der Bericht wird auch die Anzahl und die inhaltlichen Schwerpunkte der Beschwerden enthalten.“
Demnach arbeitet die Stadt aktuell an dem Bericht. Wann sie damit fertig ist, steht noch nicht fest. Bis die Analyse vorliegt, darf der Muezzin laut Verwaltung weiter freitags einmal für jeweils fünf Minuten zum Gebet rufen. Die Ditib erwarte die Auswertung der Stadt „mit Spannung“.
Die Premiere hatte am 14. Oktober 2022 stattgefunden, also heute vor zwei Jahren. Damals gab es einen Menschenauflauf an der Moschee an der Inneren Kanalstraße. Dutzende Medien berichteten bundesweit, Gegner demonstrierten. Wegen des Auflaufs musste Mustafa Kader ab 13.24 Uhr schon vor dem Gebetssaal für rund 1200 Gläubige zum Gebet rufen.
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Normalerweise macht er das in der Moschee und der Ruf wird über kleine Lautsprecher auf den Vorplatz an der Moschee übertragen. Dabei darf die Ditib eine Lautstärke von 60 Dezibel nicht überschreiten. In der Ehrenfelder Moschee ruft der Muezzin im Inneren zum Gebet und nicht auf den 55 Meter hohen Minaretten, laut Architekt Paul Böhm könne man sie nicht begehen. Deswegen dienen sie nicht als erhöhter Standplatz für den Muezzin.
In anderen Städten längst Alltag
Die Ditib bezeichnete den Tag rückblickend als „historischen Moment für Muslime in Köln“. In anderen Städten wie etwa Düren ist der Ruf längst Alltag. Doch zwei Jahre später stellt sich die Frage: War was? Schon eine Woche nach der Premiere interessierte sich die Öffentlichkeit kaum noch für die zweite Auflage (wir berichteten).
Und das ist laut Beobachtern auch so geblieben, beispielsweise sagte Professor Rauf Ceylan vom Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück: „Oft geht es sowohl für Gegner als auch Befürworter anfangs vor allem um Symbolpolitik. Meiner Meinung nach hat sich der Muezzinruf an der Kölner Zentralmoschee völlig normalisiert, der große Hype ist weg.“
Ähnlich äußerte sich auch der Ehrenfelder Bezirksbürgermeister Volker Spelthann (Grüne), ihm seien keine Beschwerden bekannt. Die Ditib selbst bewertete den Testlauf als äußerst positiv, sie ist überzeugt, „dass das Projekt einen wichtigen Beitrag zur Integration geleistet hat“.
Vor drei Jahren war der Muezzinruf sehr umstritten, weit weg von Normalität. Selbst NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte damals gesagt: „Ich habe die Sorge, dass damit möglicherweise mehr Streit in die Gesellschaft getragen als der Integration gedient wird.“
Monate vorher hatte die Stadt Köln am 7. Oktober 2021 an einem Donnerstagabend überraschend eine Pressemitteilung verschickt, in deren Überschrift sie schrieb: „Stadt Köln startet zweijähriges Modellprojekt für Moscheegemeinden.“ Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) sagte unter anderem, dass die Muslime fester Teil der Kölner Stadtgesellschaft sind.
Vermutlich vorsorglich sagte sie in Richtung möglicher Kritiker: „Wer das anzweifelt, stellt die Kölner Identität und unser friedliches Zusammenleben infrage.“ Die Stadt stellte aber bestimmte Bedingungen, damit sie den Ruf erlaubt.
Nur eine Gemeinde nimmt an Modellprojekt teil
In den Tagen danach gab es Lob für ihren Vorstoß, aber auch Kritik. Unter anderem Teile des Stadtrates monierten, dass Reker den Rat nicht informiert habe. Doch obwohl mehrere Moscheegemeinden Interesse signalisierten und sich bei der Verwaltung informierten, stellte nur die Ditib einen Antrag für die Zentralmoschee in Ehrenfeld.
Erst mit der Premiere am 14. Oktober 2022 startete der zweijährige Testlauf der Stadt, nachdem die Stadt den Antrag genehmigt hatte – es ist bis heute der einzige von rund 35 Moscheegemeinden in Köln geblieben. Das bestätigt die Stadtverwaltung.
Die Ditib bezeichnete das als „bedauerlich“. Sie hatte vor zwei Jahren angekündigt, Anträge für weitere ihrer Gemeinden und Moscheen in Köln zu stellen, das blieb aber aus. Laut ihrer Aussage entscheidet das jede Gemeinde selbst, viele Faktoren wie die Lage und die Kosten spielten eine Rolle.
Zunächst hatte sich wie berichtet die Ehl-i-Beyt-Moschee in Mülheim für den Muezzinruf interessiert, sie stellte aber nie einen Antrag. Ihr Mitglied Ekrem Yanar sagte voriges Jahr dazu: „Wir wollten die Anwohner nicht stören, es hätte zu laut sein können. Deshalb haben wir uns dagegen entschieden und bleiben dabei.“
Kritiker hatten stets bemängelt, dass ausgerechnet die umstrittene Ditib das Modellprojekt nutze. Die Ditib untersteht der Kontrolle und Aufsicht des staatlichen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten der Türkei (Diyanet), die wiederum dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan untersteht. Also jener Erdogan, der die Moschee 2018 eröffnete, ohne dass Offizielle der Stadt, des Landes oder des Bundes daran teilnahmen.
Alt-OB Fritz Schramma (CDU), der den Bau in seiner Amtszeit verteidigt hatte, sagte nach dem ersten Muezzinruf: „In Ankara wird heute Applaus geklatscht.“ Er hätte die Möglichkeit zum Muezzinruf als Stadt nicht angeboten. „Dass die Ditib das dankbar annimmt, ist klar.“ Doch Reker und die Verwaltung argumentierten stets mit der gesetzlich garantierten Religionsfreiheit.
Laut Verwaltung liegt keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor, aufgrund eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts Münster „ist davon auszugehen, dass der öffentliche Gebetsruf im Sinne der freien Religionsausübung als Grundrecht zu bewerten ist, wenn er sozialadäquat ist, ähnlich dem sakralen Kirchengeläut“.
Ein Beschluss des Stadtrates, ob der Testlauf nun ausgedehnt werde, ist laut Stadt nicht geplant, weil es Aufgabe der Kommunalverwaltung sei, Lösungen für das Recht auf freie Religionsausübung zu finden.
Die Ditib bezeichnete den öffentlichen Gebetsruf als „Ausdruck unseres Glaubens und unseres Selbstverständnisses“. Ceylan sieht das anders, er sagte: „Aus rein theologischen Gründen braucht es den Ruf zum Freitagsgebet nicht. Es geht vor allem um ein Signal an die eigene Gemeinde. Als Alternative nutzen die Gläubigen beispielsweise Print-Kalender, Apps oder sie schauen online nach. Die Ditib sollte sich jetzt fragen, ob es Sinn ergibt, das Projekt fortzuführen.“
Regeln für den Muezzinruf
Damit in den Moscheegemeinden der Muezzin öffentlich zum Gebet rufen darf, müssen die Verantwortlichen bei der Stadt einen Antrag stellen und bestimmte Bedingungen erfüllen. So teilte es die Stadt vor drei Jahren mit.
Welche das im Detail sind, legt die Stadt mit der jeweiligen Gemeinde separat in einem Vertrag fest, weil die Moscheen in Köln an unterschiedlichen Standorten stehen. Das liegt unter anderem daran, dass in Wohn- oder sogenannten Mischgebieten andere Regeln für den Lärmschutz gelten als in Industriegebieten.
Die Lautstärke würde in jedem Fall einzeln festgelegt. Zusätzlich gelten Auflagen, die für alle Gemeinden zu erfüllen sind. Dazu gehört unter anderem ein Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin für die Nachbarschaft.
Zudem muss die Nachbarschaft im Vorfeld mit ausreichend Vorlauf per Flyer informiert werden. Stimmt die Stadt dem Antrag zu, ist der öffentliche Muezzinruf einmal wöchentlich zum Freitagsgebet zwischen 12 und 15 Uhr für jeweils fünf Minuten erlaubt. Der Zeitpunkt variiert je nach Kalender. (mhe)