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VeedelsspaziergangJürgen Zeltingers Herz schlägt für Ehrenfeld

Lesezeit 7 Minuten

Hans Jürgen Maria Zeltinger vor dem Underground in Ehrenfeld: „Mein eigentliches Veedel, das sind die Bühnen“, sagt der Sänger. (Bild: Rakoczy)

Ehrenfeld – Jürgen Zeltinger trinkt einen Schluck Cola Zero aus der Flasche. Auf dem Tisch vor ihm stehen die Reste einer Torte mit roter Marzipanrose. „Ich frühstücke nie, das hier ist mein Mittagessen“, sagt er. Der Arzt sei zufrieden mit ihm, 15 Kilo habe er abgenommen. „15 fehlen noch. Aber mit einem Fläschchen Wein, da fühle ich mich wieder wie 18.“ Jürgen Zeltinger ist eine schillernde Figur der deutschen Rockszene – und ein echtes kölsches Original.

Der Nordwesten ist multikulti

Die Sache mit dem Veedelsspaziergang gestaltet sich ein wenig schwierig, denn Zeltinger ist erstens kein Freund des Spazierengehens. Zweitens ist sein Viertel nicht ganz leicht zu definieren; liegt irgendwo zwischen Bickendorf, Ossendorf und Ehrenfeld. „Hier im Kölner Nordwesten ist alles multikulti, da ist keiner abgehoben, da fühl ich mich wohl. Wo ich lebe, da bist du mit der U-Bahn in fünf Minuten im Zentrum.“

Früher war „de Plaat“, so einer seiner zahlreichen Spitznamen, stets im legendären Peppermint an der Zülpicher Straße anzutreffen. Später war das Café Fleur sein Zuhause. Immer gab es einen Stammplatz, der für den Kölsch-Rocker reserviert war. Heute ist das Café Kölle in der Vogelsanger Straße sein Revier. Jeden Mittag sitzt er mit Freunden hier und genießt das Leben. „Hier könne mer über den FC verzälle un die aale Zick, stundenlang.“ Zur Neueröffnung hat er gespielt, auch seinen Geburtstag feiert er ab und an hier. „Der Jürgen gehört zum Inventar. War auch Stammgast in unserer alten Frittebud, 200 Meter weiter. Dann ist er mit uns umgezogen“, sagt Café-Kölle-Chefin Gabi Soergel.

Wir verlassen das Café und starten die Fahrt durch das Veedel – ganz à la Zeltinger. Mit dabei ist der neue Gitarrist der Zeltinger Band, Dennis Kleimann. „Seit drei Jahren singen und spielen wir täglich zusammen. Er ist einfach gut. Er spielt alle Gitarren, die es gibt; ob E-Gitarre, Western, Mandoline. Unser alter Gitarrist ist verstorben, dann habe ich einen jüngeren gesucht. Statt einen 50-jährigen habe ich jetzt einen 21-jährigen – ich denke, Frischfleisch tut der Band ganz gut.“

Mit Kleimann spielt Zeltinger derzeit Wohnzimmer- und Kneipenkonzerte, bei denen eine Mischung alter Hits und neuer Kompositionen zu hören sind. „Avjespeck“ heißt das Programm des Duos – das hat aber nichts mit Zeltingers aktueller Diät zu tun. „Abgespeckt steht nur für das Wort unplugged, das urheberrechtlich bei MTV liegt“, erklärt Kleimann.

Die Autofahrt durchs Veedel geht zunächst Richtung Ossendorf. Im Ossendorfbad schwimmt Zeltinger im Sommer je nach Lust, Zeit und Laune gern mal ein paar Bahnen. Die Bickendorfer Riphahn-Siedlung rund um den Rosengarten und auch das Bickendorfer Kapellchen lässt er unkommentiert. Dafür gibt es aber ein Donnerwetter über die Bickendorfer Infrastruktur. „Die Ampelschaltung finde ich fürchterlich, man steht Ewigkeiten, egal ob als Autofahrer oder Fußgänger. Ist die eine endlich grün, wird die andere schon wieder rot, bevor du den zweiten Gang eingelegt hast – eine Katastrophe. Und die Venloer Straße ist enger als vor dem Bau der U-Bahn. Die sollten daraus direkt eine Einbahnstraße machen.“

Zeltinger steuert seinen Kombi Richtung Heliosturm und zeigt im Vorbeifahren auf das Ehrenfelder Bürgerzentrum: „Hier halten wir unsere Arsch-Huh-Konferenzen ab. Ich bin für Multikulti. Der ganze Rassismus, der kotzt mich an. Ich wurde mehrmals angesprochen von den Rechten. Ich habe denen gesagt: „Kinderchen, lasst mich in Ruh, mit dem braunen Sumpf will ich nix zu tun haben.“

Gegenüber liegt das E.D.P. Hier trinkt er abends schon mal ein Bier. Früher sei das eine urkölsche Kneipe gewesen. Nach dem Umbau habe sich das etwas geändert, aber die Musik sei gut, Metal, Ska, Rock und auch Punk. Inzwischen sind wir in der Heliosstraße, dem Epizentrum für Musiker, Künstler und Alternative. Im Haus mit der Nummer 6 ist ein Musikladen. „Hier gehe ich gerne hin, Uli hat immer die neuesten Gitarrenmodelle, alle Instrumente von einer Top-Qualität. Ein echter Fachmann.“

An den Wänden Fotos von Mick Jagger und Keith Richards mit Inhaber Uli Kurtinat, alle signiert. „Die kommen natürlich nicht in die Heliosstraße. Aber immer wenn die Stones in Deutschland getourt sind, haben sie angerufen, und ich habe alles besorgt, was gefehlt hat. Ich mache aber auch den Service für viele Kölner Bands. Höhner, Paveier, Black Fööss, Brings und die Jungs vom Zeltinger“, sagt Kurtinat.

Zeltinger parkt direkt gegenüber dem Underground, wo er schon häufig gespielt hat, steigt aus und sagt melancholisch: „Ich wohne am Rand von Bickendorf, aber mein Herz schlägt für Ehrenfeld. Obwohl: Mein eigentliches Veedel, das sind die Bühnen. Ich bin jetzt Rentner, aber als Musiker hört man nie auf. Wenn du mir die Musik wegnimmst, bin ich tot.“

Wir fahren in die Lichtstraße auf das Gelände der Live Music Hall. Beinahe leichtfüßig geht er die kleine Bühnentreppe hinauf und bewegt sich, als würde gleich der Sound-Check losgehen und der Chef singen: „Ich bin en Asi mit Nivoh, lese Lyrik auf dem Klo/Ich poliere Kritikern die Fresse“ – eine seiner legendären Songzeilen. „Das muss man alles nicht so ernst nehmen“, sagt er. Das gelte auch für „Ich fahr schwatz met de KVB/die Markfufzisch dät denne och nit wieh/ich fahr schwatz mit de KVB/dä Hals voll krieje de Bonze nie“. Das Lied „Müngersdorfer Stadion“ sei einfach „ein Joke“ gewesen. „Es ist sicher unsere populärste Nummer, und die Leute wollen den Song ja auch unbedingt hören“, sagt der Mann, dessen Karriere auf einer Karnevalsparty begann.

„Ich bin ein braves Mäuschen“

Das war 1979. Zeltinger hatte zuvor – „mehr aus Jux“ – ein Weihnachtskonzert im Roxy gespielt. „Da war Kostümzwang, da habe ich mich als Tunte verkleidet. Im Tigerslip und BH bin ich da reinmarschiert, da war ich noch ziemlich dünn. Das ist beim Publikum so gut angekommen, dass der Wirt uns direkt für Karneval gebucht hat“, erzählt „de Plaat“. In den knapp drei Monaten bis zum Auftritt erarbeitete sich Zeltinger mit seiner frisch gegründeten Band ein neues Repertoire, zu dem auch „Müngersdorfer Stadion“ gehörte. Ein Teil des Konzerts wurde auf einem Live-Album veröffentlicht. „Und ich war schwups die Nummer 1.“ Den Tigertanga habe er für einen guten Zweck im Berliner Hard-Rock-Café versteigern lassen, erzählt Hans Jürgen Maria Zeltinger, der im streng katholischen Westerwald geboren wurde und den Namen Maria nach der Großmutter bekam. „Wenn ich gut drauf bin, darf man mich auch mal Mariechen rufen.“

Wir sitzen wieder im Auto, fahren Richtung Stadtwald. „Ich bin jetzt 66 und ein braves Mäuschen. Die Jugend war ein bisschen hektisch, aber jetzt ist alles in der Bahn, mit mir kannst du immer ein Bierchen trinken gehen“, erzählt er. Dabei wirkt er so gar nicht wie der Mann, dem mit seinem kölschen Duktus und seinen provokanten, bisweilen vulgären Texten bereits Ende der 1970er Jahre der Sprung in das große nationale Musikgeschäft gelang. „Ich stehe um 6 Uhr morgens auf, nehme meine Herztabletten, dann döse ich bis 10 Uhr. Lese den Express, dann schaue ich meine Lieblingssendung, Two and a Half Man, da bin ich absoluter Fan. Und der Rest ist bekannt: Café Kölle, etwas Musik und am Abend zum Hauser’s.

Wir sind am Stadtwald. Die Veedelsfahrt scheint beendet, Zeltinger steigt aus, öffnet den Kofferraum. Dort liegt eine komplette Kameraausrüstung. „Ich fotografiere gerne, am liebsten Insekten. Natur eben, alles was klein ist und kriecht. Häufig in der Eifel, in Bickendorf eher selten.“

Zeltinger kann auch die sanften Töne. Vor seiner Hardrock Karriere spielte er Balladen und schwärmte für Songs von Cat Stevens. „Dieses Asi-Image macht mich manchmal traurig, aber ich habe gut davon gelebt und immer weiter gemacht. Wir sind auf dieser Welle geritten, bei den Pressefotos war Lachen verboten. So ist das, die Leute wollen den Zeltinger eben deswegen hören.“