Köln – Das Foto, das den Untergang der Subbelrather Straße in Bickendorf vor einem Jahr so beeindruckend dokumentiert wie vielleicht kein zweites, hat Detlef Nitz am 15. Juli 2021 aus seinem Wohnzimmerfenster aufgenommen. Es ist der Tag nach dem historischen Starkregen. Das Foto zeigt einen Mann in schwarzem T-Shirt mit Regenschirm in der Hand, der bis zur Hüfte im Wasser versunken ist. Mühsam kämpft er sich vorwärts. Von zwei geparkten Autos am Straßenrand ragen nur noch die Dächer aus den Fluten.
Fast ein Jahr später, an einem bewölkten Vormittag Anfang Juli, steht Detlef Nitz vor seinem Haus, neben ihm sein Nachbar Michael Schmitz. Am Tag zuvor hatte es eine Stunde heftig geregnet. Kein Vergleich zum 14. Juli 2021 zwar, aber hier in Bickendorf wird man nun etwas schneller nervös. „Ehrlich gesagt habe ich Angst, dass sich das alles wiederholt. Dass wieder Wasser in unsere Häuser läuft“, sagt Schmitz. „Und wenn das passiert, können wir nur hoffen, dass unsere Maßnahmen ausreichen.“
Die Kreuzung Subbelrather Straße/Teichstraße trifft es bei Starkregen immer besonders hart. Der Bereich liegt in einer Senke, früher war hier der Dorfteich, der Kradepohl (Krötenpfuhl). Drei elektrische Pumpen der Stadtentwässerungsbetriebe (Steb) befördern Schmutz- und Regenwasser zwar vom Tiefpunkt der Kreuzung in einen Sammelkanal unterhalb der Äußeren Kanalstraße, der zum Großklärwerk nach Stammheim führt. Aber bei den Wassermassen im Juli 2021 waren die Pumpen heillos überlastet. Aus den Gullydeckeln sprudelte das Wasser wie bei einem Geysir, erinnert sich Michael Schmitz.
Der 14. Juli 2021 war ein Mittwoch. Vom Himmel fiel an diesem Tag eine Wassermenge, die 20 Prozent des Jahresniederschlags in Köln entspricht. Bei der Feuerwehr gingen am Abend und in der folgenden Nacht 9000 Notrufe ein. In einer normalen Nacht sind es weniger als 100. Keller und Erdgeschosswohnungen liefen voll, Straßen und Unterführungen wurden überspült. Bickendorf, aber auch Teile von Höhenhaus, waren besonders betroffen. In Longerich und Bocklemünd starben zwei Menschen, als sie in ihren Kellern nach dem Rechten sehen wollten.
Köln: Nach dem Unwetter tagelang kein Strom
Rund um die Teichstraße in Bickendorf stapelten sich in den Tagen danach durchnässter Hausrat, Möbel und kaputte Elektrogeräte auf den Gehwegen. Tagelang war in manchen Häusern der Strom abgeschaltet – bis jeder einzelne Sicherungskasten in den vollgelaufenen Kellern getrocknet, instandgesetzt und überprüft war. „Am ersten Abend saßen wir bei Kerzenschein in unserer Wohnung, kein Fernsehen, kein Licht, und fühlten uns wie die ärmsten Schweine“, erinnert sich Michael Schmitz. „Was zum Beispiel an der Ahr Furchtbares passiert war, hatten wir da noch gar nicht mitbekommen.“
Zwei zentrale Fragen trieb die Menschen auf der Subbelrather Straße vor einem Jahr besonders um: Auf welchen Kosten bleiben wir sitzen? Und: Wie lässt sich vermeiden, dass sich so etwas wiederholt? Auch ein Jahr später gibt es auf beide Fragen noch keine klaren Antworten, manche Anwohner warten noch auf Gutachten von Sachverständigen, von denen Versicherungsleistungen abhängen.
Die Versicherung habe bislang die Kosten für die Schäden an der Elektrik im Haus übernommen, an der Heizungsanlage und am Mauerwerk sowie für das geliehene Trocknungsgerät im Keller, berichtet Detlef Nitz, der in einem fast 100 Jahre alten Mehrfamilienhaus wohnt. Die Stromkosten für die Trocknung, rund 1600 Euro, hat die Eigentümergemeinschaft bezahlt, ebenso die Aufräumarbeiten. Weitere 5000 Euro zahlten die Bewohner unter anderem für zusätzliche Abdichtungen – und für ein Hochwasserschutztor, das künftig Schutz bieten soll. Die Metallschienen sind an der Haustür angebracht, fünf Elemente zum Aufeinanderstapeln lagern griffbereit im Hausflur. Auch die Eigentümer mindestens zweier Nachbarhäuser haben in Hochwasserschutztore investiert.
Enttäuscht, wenn nicht verärgert, reagieren viele Anwohner, wenn die Sprache auf die Stadtverwaltung und die Stadtentwässerungsbetriebe kommt. Auf einer Bürgerversammlung im November habe ein Abteilungsleiter der Steb ihnen Tipps und Broschüren zur Selbsthilfe gegeben und versprochen, „Maßnahmen“ zu ergreifen, um das Wohngebiet besser zu schützen – geschehen sei bis heute aber nichts, klagen Detlef Nitz und andere Anwohner.
Auf Anfrage teilt die Steb mit, man sei sehr wohl tätig geworden, habe in den vergangenen Monaten die Hydraulik verbessert und dadurch den Abfluss des bestehenden Kanalsystems „optimiert“, berichtet Sprecherin Birgit Konopatzki. Außerdem sei untersucht worden, wie Wassermengen künftig anderweitig baulich zwischengespeichert werden könnten. Im Klartext heißt das: wie und wo Retentionsraum geschaffen werden kann – möglicherweise zum Beispiel auf dem Grundstück der Förderschule Lindweiler Hof an der Rochusstraße. Dies aber sei „von der Entscheidung über die Zukunft der Städtischen Schule abhängig“, sagt Konopatzki.
Köln: Zukunft der Förderschule Lindweiler Hof unklar
Die Schule war durch das Unwetter vor einem Jahr so stark beschädigt worden, dass das Gebäude seitdem leer steht. Der Unterricht wurde nach Longerich ausgelagert. Ob und wann renoviert wird und Schülerschaft und Kollegium zurückkehren können, steht noch nicht fest. Aktuell würden abschließende Gutachten gesichtet, teilte eine Stadtsprecherin mit, anschließend bereite die Gebäudewirtschaft eine Beschlussvorlage für die politischen Gremien vor.
Michael Schmitz setzt bei der Prävention auf einen Dreiklang: dass die Pumpen unter der Subbelrather Straße künftig zuverlässig arbeiten, dass Versickerungsflächen geschaffen und der alte Dorfteich als Retentionsraum wiederhergestellt wird. Denn eines, sagt Schmitz, sei klar: Unwetter wie das im Vorjahr kämen künftig häufiger. Seit 1960 wohnt er schon an der Subbelrather Straße, insgesamt viermal sei die Senke seitdem überflutet worden – viermal in den vergangenen vier Jahren.