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Eine Jahrhundert-Gemeinschaft

Lesezeit 4 Minuten

Das Haus Zülpicher Straße 380: In den 50er Jahren (l.) und die heutige Ansicht (r.). Die charakteristischen vier Säulen an der Fassade blieben erhalten.

Lindenthal/Sülz – . 1919 wird aus Cöln wieder Köln, zumindest legt die Verwaltung dies für ihre eigene Schreibweise fest. Frauen sind erstmals stimmberechtigt und dürfen an der Wahl der Stadtverordneten teilnehmen. Gleichzeitig wird das Wahlalter auf 20 Jahre gesenkt. Im selben Jahr ist Churchill zu Gast am Rhein und Oberbürgermeister Konrad Adenauer lässt die Wiedereröffnung der Kölner Universität groß feiern. Viele Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg kehrten zu dieser Zeit zurück in ihre Heimat und trafen auf große Wohnungsnot. Der Stadtkern ist hoffnungslos überbevölkert. Die Vororte Sülz und Lindenthal wasind zu dieser Zeit noch überschaubar: Das alte Sülz endet an der Sülzburgstraße, darüber hinaus gibt es nur Felder.

Den Häusern der damaligen Zeit fehlt es nicht nur an Bädern und Waschküchen. Eine Wohnungskultur im heutigen Sinne gibt es nicht. Meistens gibt es in der Wohnung nur eine Wasserstelle in der Küche, Toiletten befinden sich im Hausflur, Grünanlagen mit Bäumen und Sträuchern sind kaum vorhanden. Die wenigen Häuser sind überbelegt, statt 6 oder 8 Parteien wohnt dort die doppelte Anzahl an Familien.

Am 30. August 1919 kommen Männer und Frauen in der Gaststätte „Saddeler“ (Bachemer Straße 219) zusammen, um die Köln-Lindenthaler Wohnungsgenossenschaft zu gründen. Die Arbeiter, Angestellten, Handwerker und Beamten wollen gemeinsam mit ihrem wenigen Geld Ein-und Mehrfamilienhäuser bauen. Die Ersparnisse reichen für etwas Bauland draußen vor der Stadt im Kölner Westen. Erste Häuser entstehen, die Mitgliederzahlen steigen rasch. Das Konzept vom günstigen Wohnen in grüner Umgebung hat sich schnell herumgesprochen.

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100 Jahre später sind es 1255 Mitglieder. Ein Teil von ihnen hat sich jetzt in der Wolkenburg zu einem Galaabend getroffen, um das Jubiläum mit einem Festakt zu begehen. Ein Jahrhundert später hat sich viel verändert, einiges ist aktueller denn je: Der Wunsch nach einem Zuhause, „nach meinem Zuhause“, wie Geschäftsführer Paul Schweda in seiner Festrede erklärt. „Gemeinschaft leben, Sicherheit spüren, Vertrautheit empfinden, das macht die Verbundenheit aus“, betont Schweda vor den 140 geladenen Gästen. „Das gemeinsame Ziel und die Gleichheit der Mitglieder sind Stärken der Genossenschaft“, hebt er später im Gespräch hervor. Das Interesse ist auch nach all den Jahren ungebrochen. „Genossenschaften waren nie unzeitgemäß und langweilig. Auch wenn so ein Wohnmodell wenig in der Öffentlichkeit präsent ist, das Bewusstsein im Veedel ist vorhanden“, erklärt der Geschäftsführer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind viele Häuser zerstört und unbewohnbar. So liegt der Fokus zunächst darauf, den Mitgliedern schnell wieder ein Dach über dem Kopf anbieten zu können. Nach kaum mehr als zehn Jahren ist nicht nur der Vorkriegszustand erreicht, sondern sogar verbessert worden.

Inzwischen hat sich die Aufgabenstellung weiter stark verändert. Wo früher günstig Bauland von der Stadt erworben werden konnte und neue Häuser entstanden, liegt der aktuelle Schwerpunkt nun in der Bestandssicherung. Langsames Wachsen ist die Devise.

Das Haus Zülpicher Straße 380: In den 50er Jahren (l.) und die heutige Ansicht (r.). Die charakteristischen vier Säulen an der Fassade blieben erhalten.

Der Markt, speziell im Kölner Westen, ist bekanntermaßen schwierig. Man versucht mit dem Ausbau von Dachgeschossen und dem kooperativen Baulandmodell neuen Wohnraum zu schaffen. Der vorhandene soll qualitativ instand gehalten werden. Trotz der hochpreisigen Lage will man im Lindenthaler Umfeld angemessene Konditionen anbieten.

Dabei wird versucht, den Gemeinschaftsgedanken der Wohnungsgenossenschaften jedem potenziellen neuen Mitglied im persönlichen Kennenlerngespräch nahe zu bringen. Mal dem Nachbarn helfen, die Musik auf eine erträgliche Lautstärke stellen und sich im Haus vorstellen, sind Verhaltensweisen, die Schweda neuen Mietern mit auf den Weg gibt. Auch wenn er schmunzelnd zugeben muss, „dass viele im Büro nur auf die Schlüsselübergabe warten“. Der 100 Jahre alte Genossenschaftsgedanke soll jedenfalls ein klein wenig in die Zukunft weitergetragen werden.

Paul Schweda, Geschäftsführer

Keine Partei, keine Gewerkschaft

Genossenschaftliches Wohnen hat nichts mit der Zugehörigkeit zu einer Partei oder einem Arbeiterbund zu tun. Es bezeichnet eine mehr als 100 Jahre alte Wohnform mit dem Prinzip der Selbstverwaltung. Mitglieder zahlen in der Regel Anteile und sind an Gewinnausschüttungen beteiligt. Mit dem Erwerb erhalten sie ein lebenslanges Nutzungsrecht an einer Genossenschaftswohnung. Überschüsse werden reinvestiert und für Instandhaltung und Renovierung verwendet. Viele Kölner Wohnungsgenossenschaft haben mittlerweile einen Aufnahmestopp verhängt. (tj)