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Eine Stunde ab Köln HauptbahnhofEssens Industriekultur im Grünen sieht man perfekt vom Wasser aus

Lesezeit 7 Minuten
Inmitten von Bäumen steht ein stillgelegter Förderturm am Ufer des Essener Baldeneysess.

Förderturm der ehemaligen Zeche Carl Funke am Nordufer des Baldeneysees.

Vom Kölner Hauptbahnhof zum Essener Pendant benötigt der Regionalexpress ziemlich genau eine Stunde. Warum sich die Fahrt lohnt.

Ins kollektive Bewusstsein hat es die viertgrößte Stadt Nordrhein-Westfalens vor allem durch ihr schwerindustrielles Erbe geschafft. Ikonisches Wahrzeichen: die Zeche Zollverein mit ihrem markanten Doppelbock-Fördertum im nordöstlichen Stadtteil Stoppenberg. Die weitläufige Anlage gehört seit 2001 zum Welterbe der Unesco. Sie ist auf jeden Fall Hauptanziehungspunkt Nummer eins für Besucher der – nicht nur wegen der zentralen Lage – heimlichen Hauptstadt des Ruhrgebiets. Stellvertretend für die gesamte Region war Essen 2010 europäische Kulturhauptstadt. Zudem wurde 2017 von der EU-Kommission die Auszeichnung „Grüne Hauptstadt Europas“ verliehen.

Neuer Stadtteil „Essen 51“

Typisch für das Ruhrgebiet ist ein historisch gewachsenes soziales Gefälle in Nord-Süd-Ausrichtung. Ursache hierfür ist unter anderem der Bergbau und der damit einhergehende strukturelle Wandel. So ist beispielsweise das ehemalige Areal des Stahlgiganten Krupp hauptsächlich im nördlichen Teil der Stadt angesiedelt.

Im Zuge der Stadtentwicklung entstand dort in unmittelbarer Nachbarschaft zum Helenenfriedhof und dem Förderturm der Zeche Amalie der Krupp-Park. Auf dem Gelände nördlich des Parks, das zum sogenannten Krupp-Gürtel gehört, entsteht im Rahmen des Projekts „Essen 51“ ein komplett neuer Stadtteil.

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Die Autobahn als Sozial-Äquator

Die A40 ist so etwas wie der Sozial-Äquator Essens. Sie ist die Grenze zwischen Nord- und Südteil. Es ist wenig verwunderlich, dass eines der beliebtesten Naherholungsgebiete der Region südlich der Autobahntrasse angesiedelt ist: der Baldeneysee.

Er ist der größte der sechs Ruhrstauseen und zwischen den Stadtteilen Werden, Bredeney und Heisingen am nördlichen sowie Fischlaken und Kupferdreh am südlichen Ufer aufgestaut. Ab 1927 geplant zur Verbesserung der Wasserqualität, begann die Umsetzung im Mai 1931 mit der Errichtung des Stauwehrs in Werden.

Familienresidenz als Wahrzeichen

In Bredeney ist eines der bekanntesten Essener Wahrzeichen gelegen, die als Villa Hügel bekannte ehemalige Residenz der Familie Krupp. Vom Essener Hauptbahnhof sind es mit der S-Bahn-Linie 6 zur Haltestelle „Essen-Hügel“ weniger als zehn Minuten Fahrzeit.

Südansicht der Villa Hügel in Essen mit Garten und Terrasse.

Die schlossähnliche Villa Hügel gehört zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten Essens.

Nach nur wenigen Gehminuten erreicht man den südlichen Eingangsbereich des Hügelparks. Während der Öffnungszeiten können Park und Gebäude besichtigt werden. Das Hauptgebäude ist zeitweilig veranstaltungsbedingt allerdings für Besucher geschlossen. Es empfiehlt sich, dies auf dem Veranstaltungskalender der Villa Hügel vor einem Besuch zu prüfen.

Seit 1953 für den Publikumsverkehr offen

Das zwischen 1870 und 1873 von Alfred Krupp errichtete ehemalige Wohn- und Repräsentationshaus liegt eingebettet in die liebliche Landschaft des etwa 28 Hektar umfassenden Hügelparks. Die Krupps empfingen hier Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Seit 1953 ist die schlossähnliche Villa für Publikum geöffnet.

Seit dem Tod ihres Namensgebers am 30. Juli 1967 ist die „Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung“ Eigentümerin der Villa Hügel. Im ehemaligen Gästehaus des Anwesens hat die Stiftung ihren Sitz.

Weiße Flotte mit Elektroantrieb

Zurück durch das südliche Tor, unter der Eisenbahntrasse hindurch, sind es nur knapp zehn Minuten zu Fuß zum Schiffsanleger „Hügel“. Hier verkehren die Schiffe der Weißen Flotte Baldeney. Während der Fahrt mit der „MS Stadt Essen“, die seit Mai 2022 mit einem emissionsfreien Elektroantrieb ausgerüstet ist, erfährt der Besucher viel Wissenswertes über das Gewässer und seine Geschichte.

Ein Schiff der Weißen Flotte Baldeney fährt über den Baldeneysee.

Die „MS Stadt Essen“ nähert sich dem Anleger „Hügel“.

Die etwas tragisch anmutende Geschichte des Schloss Baldeney ist ein Teil davon. Dazu gleich mehr. Vorbei am Naturfreibad Seaside Beach geht die Fahrt über den Baldeneysee gemächlich in Richtung Osten, immer am nördlichen Ufer entlang, wo nun das bereits erwähnte Schloss Baldeney in Sicht kommt.

Die tragische Geschichte eines Schlosses

Gelegen im Ortsteil Bredeney war es ursprünglich eine Wasserburg, deren Anfänge sich bis ins Jahr 1226 zurückverfolgen lassen. Nach zahlreichen Umbauarbeiten wurde das Gebäude ab 1921 erst als Schullandheim, später als Restaurant genutzt. Nach einem Brand im September 2004 und der folgenden Insolvenz des Eigentümers erwarb eine Privatperson das Anwesen 2011. Auf Höhe von Schloss Baldeney sollte nach ersten Planungen das Stauwehr errichtet werden, was die Namensgebung des Sees erklärt.

Ein kleines Schloss am Ufer des Baldenysees spiegelt sich im Wasser.

Das für den Stausee namensgebende Schloss Baldeney liegt idyllisch am Wasser.

Seit 1935 finden auf dem Stausee regelmäßig Segelregatten statt, die mitunter überregionale Bedeutung erreichen. Zudem gibt es eine Regattastrecke für Ruderer und Kanuten. Am Anleger „Hügel“ steht ein 1962 errichteter Regattaturm. Zudem gibt es zahlreiche Angel- und Segelvereine, die über eigene Liegeplätze verfügen.

Die Sonnenterrasse Essens

Inmitten der Bewaldung am Nordufer kommt ein „Tomson-Bock“ genannter Förderturm der stillgelegten Zeche Carl Funke in Sicht. Die Anlage wurde 1925 von der seinerzeit aufgegebenen Zeche Victoria aus Kupferdreh hierher transportiert. Direkt gegenüber befindet sich am Südufer der Heimathafen der Weißen Flotte. Ein kleines Stück weiter ist das Haus Scheppen gelegen. Die Teilruine war einst ein Lehnshof der Abtei Werden, der erstmals im 13. Jahrhundert urkundliche Erwähnung fand. Heute ist es ein beliebtes Ausflugs-Restaurant. Ganz in der Nähe liegt die Endstation der Hespertalbahn.

Die „Stadt Essen“ bleibt am Nordufer und steuert den Anleger „Heisingen“ an. Den in einer Schleife der Ruhr gelegenen namensgebenden Stadtteil bezeichnet die Bandansage auf dem Ausflugsschiff als „die Sonnenterrasse Essens“. Eine begehrte und nicht für jedermann erschwingliche Wohnlage also.

Alte Brücke in neuer Funktion

Nach kurzem Aufenthalt umrundet das Schiff die Ruhr-Halbinsel und steuert den östlichsten Anleger „Kupferdreh“ an. Die Fahrt bis hierher hat eine knappe Stunde in Anspruch genommen. Unmittelbar neben der Anlegestelle verbindet die 1872 errichtete Eisenbahnbrücke Kupferdreh und Heisingen. Kurz vor Kriegsende 1945 von der Wehrmacht gesprengt, wurde das Bauwerk in der Nachkriegszeit eingleisig wiederaufgebaut. Mit Stilllegung der nahegelegenen Steinkohlenzechen wurde die Fachwerkbrücke im Oktober 1978 geschlossen. Seit Ende 1984 ist sie als Fuß- und Radweg wieder in Betrieb.

Vor einer Fachwerkbrücke kreuzt ein Segelboot auf dem Baldeneysee in Essen.

Die Eisenbahnbrücke Kupferdreh verbindet das Nord- mit dem Südufer.

Nach einem kurzen Fußmarsch erreicht man den Alten Bahnhof Kupferdreh. Das denkmalgeschützte ehemalige Empfangsgebäude der Bahnstrecke Wuppertal-Vohwinkel – Essen-Überruhr wird heutzutage gastronomisch genutzt. In unmittelbare Nähe befindet sich der Startpunkt der historischen Hespertalbahn, die wechselnd im Diesel- oder Dampfbetrieb unterwegs ist. Auf der Strecke wurden bis 1973 Kohle, Abraum und Menschen transportiert. Seit 1975 kümmert sich ein Verein um den Erhalt dieses Industriedenkmals. Für den Heimweg empfiehlt sich die ebenfalls nahegelegene S-Bahn-Haltestelle „Essen Kupferdreh“, von wo aus der Hauptbahnhof mit der S9 oder dem RE49 in weniger als einer Viertelstunde erreicht werden kann. Das Ende einer Runde durch das Naherholungsgebiet, das eine interessante Symbiose zwischen Natur und Industriekultur bildet.

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Gastronomie

Neben einem Besuch im Alten Bahnhof Kupferdreh lohnt sich ein Abstecher in die bekannte Essener Traditionsgaststätte „Ampütte“ an der Rüttenscheider Straße 42. Die nächstgelegene Haltestelle ist „Rüttenscheider Stern“, erreichbar etwa mit der Linie U11. Die „Ampütte“ ist ein Familien-Unternehmen, welches 1901 von Heinrich Ampütte gegründet wurde und derzeit in vierter Generation von Patric Ampütte geführt wird.

Innenansicht einer historischen Gaststätte mit schwarz-weiß kariertem Fußboden.

Hauptgastraum der Essener Traditionsgaststätte „Ampütte“ im Stadtteil Rüttenscheid.

Regelmäßig gibt es Live-Musik, die Küche hat meist bis spät in die Nacht geöffnet. So kann man hier am Wochenende bis 4 Uhr in der Früh noch Steaks und Schnitzel, Reibekuchen oder Currywurst bestellen. Im Hauptgastraum ist eine geschwungene Theke der Mittelpunkt, um den sich gemütliche Nischen und urige Stammtische gruppieren.

Wanderungen

Um den Baldeneysee schlängelt sich ein 14,3 Kilometer langer Rundweg. Die Route wird als moderat eingestuft und kann zumeist in knapp drei Stunden bewältigt werden. Etwas herausfordernder ist der Baldeneysteig. Ebenfalls ein Rundwanderweg, der sich über 26,7 Kilometer erstreckt und 2017 im Rahmen des Projekts „Grüne Hauptstadt Europas“ eröffnet wurde. Die Route gilt in vielen Teilen als anspruchsvoll und erfordert Kondition. Insgesamt sind 600 Höhenmeter zu überwinden.

Das Werksschwimmbad der Zeche Zollverein leuchtet aus der Luft gesehen blau zwischen der Industriearchitektur.

Das Werksschwimmbad der Zeche Zollverein leuchtet aus der Luft gesehen blau zwischen der Industriearchitektur.

Sehenswürdigkeiten

Neben der bereits erwähnten Zeche Zollverein hat Essen noch einiges mehr zu bieten. Dazu gehört der Botanische Garten im Grugapark, der am 24. Mai 1927 eröffnet wurde und den Ursprung der Parkanlage darstellt. Als besondere botanische Attraktionen gelten u.a. das Alpinum, ein westfälischer Bauerngarten, ein Staudenhang und die Nadelgehölzsammlung.

Das Museum Folkwang wurde 1902 ursprünglich in Hagen eröffnet und ist seit 1921 in Essen. Der Schwerpunkt liegt auf Moderner und Zeitgenössischer Kunst. Am Hauptbahnhof grüßt bereits auf dem gegenüberliegenden Handelshof der Schriftzug: „Essen. Die Folkwangstadt.“ Am 23. August findet dort ab 18 Uhr ein großes Sommerfest statt – der Eintritt ist frei.

Die Siedlung Margarethenhöhe im Essener Süden gilt als Deutschlands erste Gartenstadt und wurde 1906 von Margarethe Krupp zur Feier der Hochzeit ihrer Tochter Bertha gestiftet. Ein Rundgang über die Margarethenhöhe lohnt sehr, denn der Charme der Anlage ist außergewöhnlich. Wer genau hinsieht, wird erkennen, dass sich Architekt Georg Metzendorf bei der Gestaltung der Häuser immer wiederkehrender Elemente bediente.