Köln – Noch eine Woche bis zu den Ferien. Eine Woche voll mit Klassenarbeiten und Klausuren – und geprägt von dem großen Weihnachtswunsch, infektionsfrei durchzukommen und sich rüber zu retten in die freie Zeit. Weihnachten in Quarantäne wäre nach diesem so fordernden Jahr für Familien die Höchststrafe. Aber vorzeitige Schulschließungen vor den Weihnachtsferien, so viel ist sicher, wird es in Nordrhein-Westfalen nicht geben.
Mit Testungen an drei der vier letzten Schultage will das Schulministerium stattdessen die Weihnachtsfeier in der Familie absichern. Und auch wenn sich laut einer Umfrage der NRW-Landeselternkonferenz 54 Prozent der Eltern vorzeitige Schulschließungen oder ein Aussetzen der Präsenzpflicht wünschen: Nach Ansicht von Jörg Dötsch, Leiter der Uni-Kinderklinik Köln und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, ist das derzeit definitiv nicht nötig: „Ein früherer Ferienbeginn macht nach dem augenblicklichen Stand keinen Sinn, da Omikron derzeit in den Schulen noch keine Rolle spielt“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Konstante Infektionszahlen
In der Tat sind die Infektionszahlen einigermaßen konstant. In Köln liegen sie an den Schulen seit einem Monat um die 1000 infizierte Schüler. Lediglich in den vergangenen Tagen stiegen sie auf 1065. Fazit: Das wirkliche Problem wartet nach den Ferien. Spätestens dann wird Omikron nach Ansicht der Fachleute mit voller Wucht in Deutschland angekommen sein – auch die Schulen wird es treffen.
In Düsseldorf und Duisburg, wo bereits die ersten Fälle in NRW aufgetreten sind, konnte man sehen, was das bedeutet: Dort schickte das Gesundheitsamt eine ganze Klasse – egal ob geimpfte oder ungeimpfte Schüler – in Quarantäne.
Und auch in Köln meldete das Gesundheitsamt am Donnerstag den ersten Omikron-Fall an Schulen: Bei einem Grundschulkind wurde die Variante nachgewiesen. Es habe sich allerdings zum infektiösen Zeitpunkt nicht in der Schule befunden. Daher sind nur Eltern und Geschwister mit in Quarantäne.
In Dänemark, wo sich die Zahl der Omikron-Fälle ebenso wie in England derzeit alle zwei bis drei Tage verdoppelt, sind die Schüler landesweit im Distanzunterricht, weil Omikron dort ohne Kontaktbeschränkungen nicht einzudämmen war. Es werde genau beobachtet, was die Auswertungen in Großbritannien ergeben, erläutert Dötsch. Davon werde viel abhängen, auch für das Vorgehen in den Schulen. Derzeit gebe es zumindest eine gute Nachricht: „Omikron scheint – anders als zunächst angenommen – für Kinder und Jugendliche nicht gefährlicher zu sein als Delta. Aber eben erheblich ansteckender.“
Booster als Schlüssel
Das, was nach derzeitigem Wissensstand wirksam hilft, ist die Booster-Impfungen weiter zu beschleunigen, da nur drei Impfdurchgänge sowohl gegen Delta als auch gegen Omikron schützen. Schülerinnen und Schülern hilft dieser Tipp aktuell wenig. Obwohl diese Altersgruppe sehr viele Kontakte hat, hat die Ständige Impfkommission (Stiko) die Booster-Impfung in Deutschland bislang nur für doppelt Geimpfte ab 18 Jahren empfohlen. Das heißt: Die größer werdende Zahl der im Sommer geimpften und damit seit fünf Monaten voll immunisierten Schülerinnen und Schüler ist davon ausgenommen – obwohl die Schulen durch Omikron vor einer besonderen Herausforderung stehen.
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Dötsch sieht die Boosterung von Kindern und Jugendlichen positiv. „Es ist ein wichtiges Thema, mit dem sich die Stiko auch derzeit beschäftigt. Ich hoffe, dass wir dazu in kurzer Zeit eine Aussage bekommen werden.“ Dötsch setzt darauf, dass die Stiko ihre Empfehlung nach ihrer Datenauswertung zügig ausweitet. Österreich hat diesen Schritt jetzt vollzogen: Dort empfahl das Nationale Impfgremium am Mittwoch die Boosterung für Zwölf- bis 18-Jährige.
Dötsch riet Eltern allerdings dazu, im Einzelfall nicht darauf zu warten, dass „einer etwas allgemein anordnet“. Wichtig sei das Beratungsgespräch mit dem Arzt des Vertrauens. In individueller Entscheidung könne dann durchaus schon jetzt eine Booster-Impfung verabreicht werden.
Studie der Uni Köln
Die Boosterung für Jugendliche wäre ein wichtiger Bremsfaktor im neuen Jahr. Aber auch die bereits jetzt genutzten Instrumente in der Schule zeigen Wirkung. Das belegt eine Studie, die die Kinderklinik der Uniklinik Köln gemeinsam mit dem Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung im Auftrag der Kulturministerkonferenz verfasst hat. Dötsch und seine Kollegin Berit Lange haben das Infektionsgeschehen an Schulen von März 2020 bis August 2021 vermessen und die Maßnahmen bewertet.
Am Donnerstag wurde die Studie veröffentlicht und ist im Kern ein Plädoyer für offene Schulen: Die Hygienemaßnahmen an den Schulen seien in der Gesamtheit sehr erfolgreich gewesen, fasst Dötsch zusammen. Während das Infektionsrisiko für Schüler zu Hause im Laufe der Pandemie deutlich anstieg – etwa wegen der Verbreitung der Delta-Variante – blieb das Risiko an den Schulen trotz Delta weitgehend konstant.
Der Schlüssel zum Erfolg waren laut Studie Masken und regelmäßige Testungen. Vorübergehende Lockerungen der Maskenpflicht in einigen Landkreisen hätten sich sofort auf die Infektionszahlen niedergeschlagen und seien in der Folge von den zuständigen Ministerien zurückgenommen worden.
Masken zeigen Effekt
Ein Effekt, der sich aktuell auch in Köln beobachten lässt: Seit die Maskenpflicht wieder eingeführt wurde, ging die Zahl der Kinder in Quarantäne um drei Viertel zurück: Waren kurz vor der Wiedereinführung noch 861 Schul- und Kitakinder in Quarantäne, sind es aktuell nur 232.
Auch das regelmäßige Testen reguliert signifikant das Infektionsgeschehen: Nach den Sommerferien hatte es eine enorm hohe Anzahl infizierter Schülerinnen und Schüler gegeben, die das Virus aus den Ferien in die Schule trugen. Diese seien durch die Testungen entdeckt worden. „So konnten innerhalb weniger Wochen die Infektionszahlen signifikant gesenkt werden.“
Die Hoffnung ist, dass das diesmal nach den Weihnachtsferien wieder so gelingt. Dötsch plädiert dringend, die Schulen auch in der vierten Welle offen zu lassen, eben weil die psychischen, sozialen und körperlichen Folgen von Schulschließungen enorm seien. Aber ob das mit Omikron gelingt, bleibt offen und hängt von der Dynamik ab.
Die Virologin Sandra Ciesek vom Uniklinikum Frankfurt gab die weihnachtliche Devise aus, es gelte „zu hoffen und zu beten“, dass sich die Krankheitsschwere tatsächlich als geringer erweise. Wenn Omikron sich allerdings als bedrohlicher erweisen sollte, dann seien Schulschließungen nicht ausgeschlossen. Aber nur, meint Dötsch, wenn man sich entscheide, auch das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben stillzulegen.