Nun verlässt auch Marion Gierden-Jülich die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals im Erzbistum Köln. Am Tag zuvor war bereits Stephan Rixen gegangen.
ErzbistumNächster Austritt – Kölner Kommission zur Aufarbeitung nicht mehr arbeitsfähig
Nach dem Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen verlässt mit der früheren NRW-Staatssekretärin Marion Gierden-Jülich auch das zweite vom Land NRW benannte Mitglied der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) im Erzbistum Köln das Gremium.
Mit dem Ausscheiden der beiden vom Land entsandten Vertreter sei die UAK bis auf Weiteres nicht mehr arbeitsfähig, sagte Rixen dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Ich schätze Frau Gierden-Jülich außerordentlich. Sie ist eine kluge und hellsichtige Frau mit klarem Urteil. Dass auch sie die Kommission verlässt, wundert mich nicht im Geringsten.“
Gierden-Jülich schreibt in einer vom Erzbistum Köln verbreiteten persönlichen Erklärung, sie habe die Tätigkeit in der UAK von Anfang an als sehr herausfordernd erlebt. Trotz guter Ansätze für strukturelle Veränderungen mache „die besondere Situation im Erzbistum Köln eine konstruktive und sachbezogene Auseinandersetzung im Aufarbeitungsprozess nahezu unmöglich“.
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Die Landesregierung in Düsseldorf bedauerte die Rücktritte Rixens und Gierden-Jülichs. Die Staatskanzlei erachte die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs für dringend erforderlich, erklärte ein Sprecher auf Anfrage des Kölner Stadt-Anzeiger. Die Benennung neuer unabhängiger Experten werde vorbereitet. „Die Landesregierung wird darüber hinaus eine landesweite Vernetzung der Aufarbeitungskommissionen anregen, um ein besseres gemeinsames Verständnis der Grundlagen einer unabhängigen Aufarbeitung zu erzielen“, so der Sprecher weiter.
Sollten sich daraus Anregungen für eine Verbesserung der Aufarbeitungsstrukturen ergeben, werde die Landesregierung damit an die Bistümer und die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) in Berlin herantreten.
Die Kölner UAK besteht aus sieben Mitgliedern. Zwei werden gemäß einer Vereinbarung zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung aus dem Jahr 2020 vom Land NRW benannt und drei vom Erzbistum. Überdies sitzen zwei Betroffenen-Vertreter in der UAK.
Am Montag hatte Rixen überraschend den im August übernommenen Vorsitz niedergelegt und seinen Austritt aus der UAK erklärt. Seine anfänglichen Zweifel an einer unabhängigen und effektiven Arbeit des Gremiums hätten sich bestätigt, sagte er zur Begründung. Ein Gespräch der Kommission mit Kardinal Rainer Woelki in der vergangenen Woche habe bei ihm ein „massives Störgefühl“ hinterlassen. „Mir fehlt das Vertrauen, dass eine Aufarbeitung, die auch Kardinal Woelki selbst betrifft, wirklich gewünscht ist.“ Sein Eindruck sei, dass die Mehrheit in der Kölner Kommission vor allem Woelki schützen und nicht mit der Führungsspitze des Erzbistums in Konflikt geraten wolle.
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sprach von einer rasanten Erosion des Aufarbeitungsverfahrens, die nicht nur in Köln offenkundig sei. „Man hat 2020 nicht genügend bedacht, dass die Kirche in den Kommissionen die Kontrolle behalten will und damit keine Unabhängigkeit garantiert ist“, sagte Schüller dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er empfahl eine Komplett-Revision unter Beteiligung der Missbrauchsbeauftragten des Bundes, Kerstin Claus.
Mit Blick auf die Eskalation der Lage in Köln sagte Schüller, eine Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs könne nicht sinnvoll arbeiten, wenn sie berechtigte Zweifel an der Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit der Bistumsverantwortlichen haben müsse. Die Austritte aus der UAK spiegelten „tiefes Misstrauen gegenüber einem Erzbischof wider, der auch juristisch so sehr mit dem Rücken zur Wand steht, dass er gar nicht mehr ehrlich sein kann“.
Gierden-Jülich führte weiter aus, sie sei zu der Überzeugung gekommen, dass eine stärkere Koordination aller Unabhängigen Aufarbeitungskommissionen in den Bistümern notwendig sei, um gemeinsam den Auftrag und die Zielsetzung zu klären. Dadurch wäre eine effektive und nachhaltige Arbeit besser möglich. Hier müsste auch die Politik mehr Verantwortung übernehmen. Gierden-Jülich betont, dass sie die Zusammenarbeit in der Kommission als „offen und bereichernd“ empfunden habe.
Auch Rixen unterstrich, die Mitglieder der Kommission seien einander nach seinem Empfinden allesamt wertschätzend begegnet. „Aber ich hatte den Eindruck, dass wir zum Teil unterschiedliche Ansichten dazu hatten, was Aufarbeitung bedeutet, und die Situation im Erzbistum, da hat Frau Gierden-Jülich völlig recht, hat die Arbeit nicht leichter gemacht.“
Vor dem Bekanntwerden von Gierden-Jülichs Rückzug hatte die UAK in einer auf Montag datierten Erklärung lediglich festgestellt, dass Rixens Rücktritt „zu akzeptieren“ sei und dass seine Expertise zukünftig fehlen werde. Im Übrigen wurde der Wille zur Weiterarbeit bekundet. In der nächsten bereits geplanten Sitzung werde dann über Rixens Nachfolge im Vorsitz entschieden. Dies dürfte nunmehr hinfällig sein.
Der Leiter des Katholischen Büros in Düsseldorf, Antonius Hamers, nannte es äußerst bedauerlich, dass sich anerkannte Persönlichkeiten wie Rixen und Gierden-Jülich aus der UAK zurückzögen. „Damit stellen sie natürlich auch nochmal infrage, inwieweit die Konstruktion dieser Aufarbeitungskommission wirklich gut durchdacht war“, sagte Hamers dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.