- Wir haben mit Hans-Peter H., der vom Priester Nikolaus A. sexuell missbraucht wurde, über den Inhalt des Briefs gesprochen – und auch darüber, ob er die Entschuldigung des Erzbischofs akzeptiert.
- Lesen Sie hier die Hintergründe.
Köln – Kardinal Rainer Woelki hat sich bei einem Opfer des Priesters und Sexualstraftäters Nikolaus A. persönlich entschuldigt. Wie der 64 Jahre alte Kölner Hans-Peter H. dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ mitteilte, erhielt er mit Datum vom 28. Februar einen Brief Woelkis, nachdem er im Januar zwei Gespräche mit der Interventionsbeauftragten Malwine Marzotko geführt und einen Antrag auf Anerkennung des erlittenen Leids gestellt hatte.
„Mir persönlich ist es nun ein Anliegen, Ihnen mein aufrichtiges Mitgefühl zu bekunden und mich im Namen der katholischen Kirche im Erzbistum Köln für das an Ihnen begangene Verbrechen durch den nunmehr ehemaligen Priester Nikolaus A. zu entschuldigen“, schreibt der Erzbischof. „Im Bewusstsein, dass diese Entschuldigung das Ihnen zugefügte Leid nicht wieder gutmacht kann, hoffe ich trotzdem, Ihnen damit bei Ihrer ganz persönlichen Verarbeitung dieser einschneidenden und traumatisierenden Erlebnisse ein wenig helfen zu können. Wir lernen aus den Fehlern der Vergangenheit, und ich möchte Ihnen versichern, dass ich mich auch weiterhin dafür einsetzen werde, dass diese sich nicht wiederholen und vor allen Dingen weiteren Kindern und Jugendlichen Ihr Schicksal nicht zuteil wird.“
Mann akzeptiert Entschuldigung
H. und seine Frau zeigten sich im Gespräch zufrieden mit Woelkis Schreiben. H. sagte, er akzeptiere die Entschuldigung, auch wenn sie kein Wort über den Umgang der Bistumsleitung mit seinem Fall enthalte, den er dem Erzbistum bereits 2008 angezeigt hatte.
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Der damalige Kaplan A. hatte H. als Kind in Köln-Porz über mehrere Jahre hinweg zu sexuellen Handlungen genötigt, die im staatlichen Recht als schwere Sexualstraftat gelten. Lange Zeit verdrängte H. die Geschehnisse, bis die Erinnerungen im Erwachsenenalter wieder aufbrachen. Immer wieder habe er sich gefragt, warum damals niemand gegen A. eingeschritten sei. „Porz war ein Dorf. Es müssen Leute mitbekommen haben, was da lief.“ Zumal sich A. – wie H. heute weiß – auch an anderen Kindern und Jugendlichen verging.
Zwischen Bistümern gewechselt
Der Fall des Geistlichen machte Schlagzeilen, weil er trotz mehrerer Vorstrafen über Jahrzehnte zwischen den Bistümern Köln, Münster und Essen hin und her wechselte und immer wieder in der Seelsorge eingesetzt wurde. Ein vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ im November publiziertes Sondergutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl aus dem Jahr 2019 kommt zu dem Schluss, dass Verantwortliche mehrerer Bistümer ihre Pflichten verletzt und sich nicht hinreichend um den Schutz möglicher Opfer gekümmert hätten. Woelki untersagte A. die Ausübung des priesterlichen Dienstes und entließ ihn Ende 2020 aus dem Klerikerstand.
„Ich wurde belogen“
H. sagte, die Bestrafung des Täters sei für ihn auch ein Stück Genugtuung. Allerdings habe das Erzbistum erst viel zu spät reagiert. Als er seinen Fall 2008 dem Bistum anzeigte, habe er sich bei der zuständigen Ansprechperson, einem Prälaten aus der Bistumsverwaltung, ausdrücklich danach erkundigt, ob Pfarrer A. noch als Seelsorger eingesetzt sei. „Der Vertreter des Erzbistums verneinte das. Heute weiß ich: Das war gelogen.“
Das damalige Gespräch habe er als „reines Abwiegeln“ empfunden. „Man hörte mir zu, nur um herauszufinden, wo ich stehe. Dann signalisierte man mir: Was wollen Sie denn, es geht Ihnen doch ganz gut.“ In einem anschließenden Brief an H. vom 14. Oktober 2008 schrieb der damalige Personalchef Stefan Heße (heute Erzbischof von Hamburg), aus den Personalakten von A. hätten sich für die Jahre von 1964 bis 1970, in denen der Geistliche als Kaplan in Porz eingesetzt war, keine Hinweise auf Sexualdelikte oder „diesbezügliche Beschwerden“ ergeben. Erst nach 1970, A. war inzwischen Pfarrer in Essen-Kettwig, „erreichten uns einschlägige Hinweise“.
Verärgert über „Scheinheiligkeit“
Viel ist in Heßes Brief von „großem ehrlichem Bedauern“ die Rede, von Erschütterung, Scham und vom Zorn der Bistumsleitung über die „verbrecherischen Handlungen“ von Priestern, die einen „Verrat an ihrem Wirken“ darstellten. Man sei um Aufklärung und Hilfestellung bemüht. Doch bei diesen Worten blieb es dann auch. „Indem ich Ihnen und Ihrer Familie den besonderen Schutz und Segen unseres Herrn wünsche und Ihnen mein Gebet für Sie verspreche, bin ich Ihr…“ So endet Heßes Schreiben.
„Alles Gute wünschen und raus aus der Nummer“, sagte H.s Frau. Danach sei dann nichts mehr gekommen. „Wenn ich das lese, regt mich diese Verlogenheit und Scheinheiligkeit noch immer auf. Das Erzbistum hat weder aufgeklärt noch geholfen noch andere Kinder geschützt.“
Eine Entschuldigung Woelkis dafür sei „wohl zu viel verlangt“, sagte H. hörbar resigniert. Dennoch habe ihm der persönliche Brief des Kardinals weitergeholfen. „Niemand kann das Geschehene rückgängig machen, aber eine Entschuldigung war mir wichtig.“ Er wolle nun nicht das Bild einer heilen Kirchen-Welt vermitteln. „Vieles ist auch in meinem Fall überhaupt nicht gut gelaufen. Aber ich finde, die andere Seite sollte nicht unerwähnt bleiben.“
Woelki: Schäme mit für Mitbrüder
Im Brief an H. schreibt der Kardinal, es tue ihm „aufrichtig leid zu hören, welch großes Unrecht und Leid Ihnen durch einen Priester des Erzbistums Köln, den damaligen Kaplan Nikolaus A., zugefügt wurde“. Sexueller Missbrauch Minderjähriger sei in seinen Augen eines der schlimmsten Verbrechen, und dies erst recht, wenn durch eine Vertrauensperson verübt. „Als Priester und Erzbischof schäme ich mich zutiefst für jeden meiner Mitbrüder, der Kindern und Jugendlichen so etwas angetan hat. Ich bin jedem Betroffenen und daher auch ganz besonders Ihnen für den mutigen Schritt dankbar, sich an uns zu wenden und dieses persönliche und schreckliche Schicksal zu teilen.“
Zwei seiner wesentlichen Anliegen, sagte H., seien mit diesen Zeilen erfüllt: die Anerkennung als Opfer und die Entschuldigung der Kirche. Einen zusätzlichen Antrag auf finanzielle Anerkennung hat H. jetzt gestellt. 2008 sei diese Möglichkeit von den Bistumsvertretern noch nicht einmal erwähnt worden. Seit Januar 2021 gelten nun in allen Bistümern neue Regeln für eine Entschädigung. Sie sehen einen finanziellen Rahmen von jeweils bis zu 50.000 Euro vor. Eine unabhängige Kommission befindet über die Summe in jedem Einzelfall. Für den Antrag genügte es, dass H. ein Protokoll seines Gesprächs mit der Interventionsbeauftragten beifügte. „Er musste nicht noch einmal eine Beweisführung mit allen Befragungen über sich ergehen lassen“, sagte seine Frau. Der Bescheid der Kommission steht aus.
Wie das von Kardinal Woelki in Auftrag gegebene Missbrauchsgutachten das Verhalten der Bistumsleitung im Fall A. bewertet, wird am Donnerstag bekannt werden. Dann stellt der Kölner Strafrechtler Björn Gercke die Ergebnisse seiner Untersuchung vor.