Der Titel des Stadtdechant beschreibt den Repräsentanten der katholischen Kirche in der Stadt Köln. Robert Kleine trägt den Titel seit September 2012.
In einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat er Kardinal Rainer Woelki und dessen Umgang mit dem Missbrauchsskandal erstmals öffentlich kritisiert.
Was daran das Besondere ist und wie die Gemeinde darauf reagiert? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Der 53 Jahre alte Kleine ist nicht nur der höchste kirchliche Repräsentant auf Kölner Ebene, sondern auch Mitglied des Domkapitels, das den Erzbischof wählt. Er ist das erste Mitglied der Bistumsleitung, das offen auf Distanz zu Woelki geht.
Kleine unterstützt aus eigenem Erleben die Lagebeurteilung der Laiengremien, die von einem völligen Verlust der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens in die Bistumsleitung sprechen. Durch die Zurückhaltung des Münchner Rechtsgutachtens zum Missbrauchsskandal sei der vom Kardinal bekundete Aufklärungswille „desavouiert“.
Was meint der Stadtdechant mit seiner Kritik an einer „desaströsen Außenwirkung“?
Als vorläufig letztes Glied in einer Kette von „Kommunikationsfehlern“ nennt Kleine das Video-Statement von Weihbischof Ansgar Puff, in dem dieser Medienberichte über die Kirche mit Methoden der NS-Propaganda in Verbindung gebracht hatte. Puff entschuldigte sich nach heftiger Kritik für seinen Vergleich. „Die Nazi-Keule herauszuholen, finde ich nie gut“, sagt Kleine. Eine Video-Aufnahme sei eine überlegte Äußerung. „Da kann und muss man ausschließen, dass etwas falsch verstanden werden kann. Am besten, indem man solche Vergleiche gar nicht erst anstellt.“ Wie beim Schneeballeffekt vergrößerten und verstärkten solche Vorkommnisse den Unmut und den Frust, so Kleine.
„Mir selbst geht es da nicht anders als den Seelsorgern, den ehrenamtlich Tätigen und ungezählten Gläubigen: Wenn ich morgens die Zeitung aufschlage oder die Nachrichten höre, denke ich ein ums andere Mal: »Um Himmels willen, doch jetzt nicht auch noch das! Wann hat das Ganze denn mal ein Ende?«“ Ausdrücklich betont Kleine, dass er damit nicht die Arbeit der Medien meine. „Für das Desaster tragen diejenigen Verantwortung, die es anrichten, nicht die davon berichten.“
Was sagt der Katholikenausschuss zu Kleines Kritik?
Gregor Stiels, der Vorsitzende des Katholikenausschusses, nimmt das Interview als Beweis für ein gutes Einvernehmen zwischen Vertretern der Amtskirche und den Laien. „Wir denken hier gleich.“ Dass der gegenüber der Bistumsspitze stets „sehr loyale“ Stadtdechant sich so kritisch positioniere, sei „ein deutliches Zeichen, dass die Hütte brennt“, so Stiels.
Wie sind die Reaktionen in den Gemeinden?
„Was Stadtdechant Robert Kleine gesagt hat, das denken alle“, sagt Innenstadtpfarrer Thomas Frings. Zu den Forderungen nach personellen Konsequenzen wolle er sich als Gastpriester im Erzbistum nicht äußern. Für tiefgreifender halte er ohnehin den in der vorigen Woche beschlossenen Ausstieg der Laien im Erzbistum Köln aus dem von Kardinal Woelki initiierten Reformprozess namens „Pastoraler Zukunftsweg“. „Das hat gesessen, und damit steigt der Druck aufs System immens.“ Dass die Laien fast einstimmig verkündeten, dass sie vorläufig keine Basis mehr für das Zusammenwirken mit der Bistumsleitung sähen, „das hat Veränderungspotenzial“, so Frings. Die vielen Kirchenaustritte und jetzt der Rückzug der Laien zeigten: „Wenn die Herde abhaut, ist der Hirte nichts.“
Peter Möhrke, Pfarrgemeinderatsvorsitzender von Bickendorf und Ossendorf kritisiert – wie Kleine – das Warten auf die für den 18. März geplante Vorlage eines Ersatzgutachtens zum Missbrauchsskandal. „Es weiß ja eh jeder, welche Personen wann Verantwortung getragen haben. Besser wäre es, schon jetzt aus der Deckung zu kommen.“ Die Pfarrgemeinderäte von Ehrenfeld, Bickendorf und Ossendorf hatten sich in diesem Sinne bereits Ende November mit einem offenen Brief an Woelki gewandt. Auch Möhrke betont, dass es im Erzbistum um ein strukturelles Problem gehe. Das ist nicht zu Ende, wenn wir Personal auswechseln. Wenn wir das nicht angehen, fahren wir den Pastoralen Zukunftsweg vor die Wand.“
Für die Reformbewegung Maria 2.0 begrüßt Bernadette Rüggeberg es, dass selbst hohe Würdenträger wie Kleine jetzt Konsequenzen forderten. Diese müssten für Missbrauchstäter ebenso gelten wie für alle, die Vergehen gedeckt hätten. „Jeder weiß, was er unterlassen hat. Dafür braucht es auch kein Gutachten mehr und auch kein Warten auf ein Urteil des Papstes.“ Viel Hoffnung auf Schuldeingeständnisse von Verantwortlichen habe sie freilich nicht: „Es scheint, dass das, was man von den Schafen erwartet, von den Hirten nicht eingeübt wurde. Rüggeberg betonte die Notwendigkeit von Gewaltenteilung in der Kirche. „Priester sind Menschen, wie alle nur Menschen sind. Und Versagen gehört dazu. Aber ohne Gewaltenteilung haben sich manche offensichtlich immun gemacht gegen Kritik an ihren Verfehlungen.“
Wie soll es weitergehen?
Nach Ansicht von Gregor Stiels „haben wir im Erzbistum die Talsohle erreicht. Tiefer geht’s nicht mehr.“ Die Frage müsse deshalb sein: Wie kommen wir aus dieser Lage wieder heraus? Er sei inzwischen davon überzeugt, dass wir das im Erzbistum nicht mehr alleine schaffen, sondern nur mit einer Mediation von außen brauchen. Ich appelliere deshalb an die Deutsche Bischofskonferenz und an den Vatikan, uns Hilfe zu schicken.“
Welche Möglichkeiten zum Eingreifen hat Rom?
Zur Klärung von Konflikten und Krisen in einem Bistum kann der Papst einen Apostolischen Visitator (Aufseher) mit besonderen Befugnissen schicken. Hält der Papst den Ortsbischof für unfähig, seine Führungsaufgaben weiter wahrzunehmen, kann er vorübergehend einen Apostolischen Administrator einsetzen oder dem Bischof im äußersten Fall einen Koadjutor an die Seite stellen, der dauerhaft die Amtsgeschäfte des Bischofs wahrnimmt und dann rechtmäßig auch die Nachfolge antritt. In Deutschland geschah dies zuletzt 1985 im Bistum Osnabrück.
Und was sagt der Erzbischof?
Eine Bitte des „Kölner Stadt-Anzeiger“ um Stellungnahme blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.