Köln/Mainz – Mit viel Lob für die geleistete Arbeit hat Kölns Regierungspräsidentin Gisela Walsken (SPD) die Mitarbeitenden der Bezirksregierung im Intranet in den Weihnachtsurlaub verabschiedet. Zu Recht: Die Corona-Wirtschaftshilfen und die Hochwasserkatastrophe haben der Behörde im Jahr 2021 einiges abverlangt. Die Anträge zu den Wirtschaftshilfen seien „weitgehend abgeschlossen“.
„Durch den kollegialen Zusammenhalt in unserem Haus haben wir sehr viel schaffen können“, heißt es in dem internen Schreiben. Eine Passage jedoch lässt aufhorchen. „Bei der Wiederaufbauhilfe, die auf fünf Jahre angelegt ist, stehen wir mehr oder weniger noch am Anfang der Bearbeitung“, schreibt die Behördenleitung. Man habe „in mehreren Verfahren“ zehn Kollegen und Kolleginnen gewinnen können, die nun eingearbeitet werden müssen.
Auf Nachfrage teilt die Bezirksregierung mit, dass bei der Wiederaufbauhilfe „schnellstmöglich ein Team von 15 Mitarbeitenden voll funktionsfähig sein wird“. Sobald das Land neue Stellen zuweise, werde die Gruppe „sukzessive weiter ausgebaut“.
Derzeit klafft noch eine große Lücke. Insgesamt hat das Land für den Wiederaufbau bei den verschiedenen Behörden nämlich 284 zusätzliche Stellen eingerichtet. NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) hat den neuen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) darüber hinaus aufgefordert, die Einstellung von zusätzlichem Personal zu erleichtern. Bisher dürfen neue Mitarbeitende bei den Kommunen nicht über Mittel aus der Aufbauhilfe 2021 bezahlt werden. „Herr Lindner. Lösen Sie die bürokratischen Fesseln und ermöglichen Sie den schnellen Wiederaufbau in den Kommunen“, fordert Scharrenbach.
10.537 Anträge auf Wiederaufbauhilfe sind gestellt
Doch wie hoch ist der Rückstau bei den Anträgen auf Wiederaufbauhilfe wirklich? Bis zum 20. Dezember wurden in NRW 10.537 Anträge von Privathaushalten und Unternehmen der Wohnungswirtschaft auf Wiederaufbauhilfe gestellt. Davon sind 6.604 in Bearbeitung. Das sind 62,2 Prozent. Im Bewilligungsprozess befinden sich knapp 4.500, bei rund 2.100 gibt es noch Rückfragen oder stehen Plausibilitätsprüfungen an. Rund 145 Millionen Euro an Wiederaufbauhilfen befinden sind im Auszahlungsprozess, heißt es weiter.
Von dieser Summe gehen aber allein 65,1 Millionen Euro an die Kommunen für Sanierung der Infrastruktur und die Entsorgung der gigantischen Müllberge, die die Flut hinterlassen hat.
Von den rund 83,1 Millionen Euro, die auf Privathaushalte entfallen, sollen nach zwei Erlassen des Kommunalministeriums bis zum 14. Januar rund 42 Millionen Euro in drei Tranchen ausgezahlt werden.
Der SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag geht das alles nicht schnell genug. „Offenbar stehen die Hilfen für den Wiederaufbau noch ganz am Anfang“, sagt SPD-Fluthilfe-Obmann Stefan Kämmerling. „Das ist ein krasser Widerspruch zu dem Eindruck, den Ministerin Scharrenbach fortlaufend erwecken will. Jetzt kommt raus: Von den in Aussicht gestellten 300 Stellen sind gerade einmal erst zehn besetzt. Und all die Anträge, die ‚im Prozess‘ oder ‚in der Bewilligung‘ sind, sind keine Bescheide geschweige denn Auszahlungen. Sie helfen den Betroffenen nicht.“ Das interessiere die Menschen nicht, „die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Sie wollen, dass das Geld endlich auf ihrem Konto eingeht“, so Kämmerling.
Auch an der Ahr geht es nur schleppend voran
Auch in Rheinland-Pfalz, wo nach Schätzungen rund 65.000 Menschen von der Hochwasserkatastrophe im Juli betroffen sind, 40.000 davon allein an der Ahr, kommt die Bearbeitung der Anträge auf Wiederaufbauhilfe nur schleppend voran. Die dafür zuständige Investitions- und Strukturbank (ISB) des Landes hat nach Angaben des Finanzministeriums von 9.600 Anträgen rund 7.400 komplett bearbeitet.
Das bedeutet aber nur, dass sie vollständig vorliegen und sich die Antragsteller legitimiert haben. Bisher seien 5.300 Anträge auf den Ersatz von Hausrat in einer Höhe von 69 Millionen Euro bewilligt. „Aufgrund der verschiedenen Einzelsachverhalte sind Schätzungen zur Gesamtzahl von Anträgen derzeit noch nicht möglich“, sagt eine Sprecherin des Finanzministeriums auf Anfrage.
Hoher bürokratischer Aufwand
„Die Wiederaufbauhilfen fließen einfach nicht“, sagt Sabine Bruckner, deren Haus in Ahrweiler zum großen Teil zerstört wurde. Ein Gutachter hat den Schaden auf rund 300.000 Euro geschätzt. „Wir haben sämtlichen Hausrat wegwerfen müssen. Der Keller und das Erdgeschoss sind völlig hinüber.“
Am 18. Oktober stellen die Bruckners ihren Antrag auf Wiederaufbauhilfe bei der ISB. „Ich habe zuvor alle erforderlichen Dokumente aus dem Self-Service-Portal hochgeladen“, sagt Sabine Bruckner. Damit beginnt für die Familie ein digitaler Formularkrieg, dessen Ende noch nicht abzusehen ist.
„Am 3. November erhielt ich über das Self-Service-Portal der ISB die Nachricht, dass das Formular ‚Bestätigung der Gemeinde/kreisfreien Stadt mit Eigenerklärung des Antragstellers nach ISB-Vordruck‘ fehle“, sagt Bruckner. „Im Antrag stand nichts davon, dass dieses Formular benötigt wird. Zugleich gab es noch Fragen zur Finanzierung des Eigenanteils.“
Familie Bruckner aus Ahrweiler erlebt eine Antragsodyssee
Sabine Bruckner fragt nach, wo sie das gewünschte Formular findet und bekommt keine Antwort. Auf Umwegen findet sie es dann doch. Die Fragen zum Eigenanteil beantwortet sich noch am gleichen Tag. Das fehlende Formular lädt sie ausgefüllt und unterschrieben am 5. November auf dem Portal der ISB hoch. Es fehlt nur die Unterschrift der Stadt Bad Neuenahr/Ahrweiler.
Die Stadt unterschreibt es nicht, sondern stellt stattdessen eine weitere Betroffenheitsbescheinigung aus, „die wir ja schon hatten“. Warum, bleibt unklar. „Das liegt vielleicht daran, dass auch die Stadtverwaltung nicht sicher ist, was sie in welcher Situation zu tun hat“, vermutet Bruckner.
Die Frage ist: Wann kommt das Geld?
Am 6. November bestätigt die ISB, „dass meine Unterlagen vollständig vorliegen“. Zeitgleich kommt erneut die Nachfrage zur Finanzierung des Eigenanteils. Bruckner antwortet am gleichen Tag. Dann passiert drei Wochen nichts. Am 26. November fragt Sabine Bruckner höflich nach dem Bearbeitungsstand des Antrags und wann sie mit der Auszahlung des Geldes rechnen könne.
Einen Monat später, am 29. Dezember, erhält sie folgende Nachricht der ISB: „Die Unterlagen scheinen vollständig zu sein. Demnächst werden Sie nach abschließender positiver Prüfung den Bewilligungsbescheid erhalten. Eine Auszahlung kann erst beantragt werden, wenn über Ihren Antrag positiv entschieden wurde und Sie einen entsprechenden Bewilligungsbescheid von uns erhalten haben. Bitte kommen Sie zu gegebener Zeit nochmals wegen einer Vorauszahlung auf uns zu.“
Es sei frustrierend, dass es keinen Ansprechpartner gebe, sagt Sabine Bruckner. „Es gibt nur ein Internet-Portal und man muss hoffen, dass man irgendwann mal eine Antwort bekommt. Wir werden vergessen und im Stich gelassen.“
Finanzministerium spricht von „komplexen Verfahren“
Die Genehmigungen für Wiederaufbauhilfen der Gebäude seien sehr komplex, schließlich gehe es um große Summen. „Da werden ja keine Pauschalen ausgezahlt. Es müssen gewisse Nachfragen beantwortet werden. Da müssen wir um Verständnis bitten“, sagt die Sprecherin des Finanzministeriums in Mainz. „Das Verfahren wurde in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft. Wir setzen auf die elektronische Antragsstellung. Da hat es Startschwierigkeiten gegeben. Inzwischen sind wir einen guten Schritt vorangekommen. Dass solche Anträge gleich komplett digitalisiert problemlos durchlaufen, ist schwierig.“