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Land will mit Förderungen gegensteuernNRW verliert 160.000 Sozialwohnungen bis 2030

Lesezeit 5 Minuten
Ina Scharrenbach (CDU), Kommunalministerin und Bauministerin von Nordrhein-Westfalen, spricht in der Landespressekonferenz im Landtag.

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach. (Archivbild)

NRW will den Bau kostengünstiger Wohnungen mit staatlicher Hilfe ankurbeln. Doch der Neubau von Sozialwohnungen stagniert.

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach ist sauer. Gerade hat sie den Journalisten in Düsseldorf die aus ihrer Sicht positive Entwicklung bei der Wohnraumförderung im Jahr 2023 präsentiert, da kommen kritische Nachfragen zur prekären Lage auf dem Wohnungsmarkt. So schätzt der Mieterbund, dass in NRW 430.000 Sozialwohnungen fehlen. „Ich würde mir wünschen, dass bei solch düsteren Verbandsmeldungen mal einer das Licht anknipst“, sagt die CDU-Politikerin gereizt. „Die Zuständigen sitzen nicht da und drehen Däumchen. Im Gegenteil: Alle Daumen rotieren. Wir erleben einen Förder-Boom. Die öffentliche Wohnraumförderung ist in diesen schwierigen Zeiten ein Stabilitätsanker“, betont Scharrenbach.

NRW verliert 160.000 Sozialwohnungen bis 2030

Die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt ist ein Thema, das die Menschen fast überall in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Die Mietpreisbremse, die die schwarz-grüne Landesregierung erst kürzlich ausgeweitet hat, soll eine weitere Eskalation der Wohnkosten in den Ballungsräumen eindämmen.

Gleichzeitig könnte es für Menschen in Nordrhein-Westfalen einer Analyse des Forschungsinstituts Pestel zufolge in den kommenden Jahren deutlich schwieriger werden, eine Sozialwohnung zu finden. Zwar gab es im Jahr 2023 in NRW knapp 427.000 Sozialwohnungen. Auf 1000 Mieterhaushalte kommen hier 81 öffentlich geförderte Einheiten, nur in Hamburg ist die Relation höher. Doch NRW verliert bis 2030 160.000 Sozialwohnungen, die aus der Mietpreisbindung fallen. Sie gilt nämlich nur für einen bestimmten Zeitraum. Ist dieser abgelaufen, geht eine Wohnung auf den freien Markt über und kann teurer vermietet werden.

Alles zum Thema Ina Scharrenbach

Auch Köln verliert auf diese Weise allein in diesem Jahr rund 4500 Sozialwohnungen, fast viermal so viel wie 2024. Und das, obwohl gerade einmal 6,5 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes in der Stadt öffentlich gefördert sind. Insgesamt gibt es laut aktuellem Wohnungsmarktbericht für Köln Ende 2025 noch 37.580 Wohnungen mit gebundenen Mieten.

Nicht nur in Köln wird es immer schwerer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Auch für Wohnungssuchende in NRW rechnet Studienleiter Matthias Günther mit spürbaren Konsequenzen: „Wir laufen Gefahr, dass die fehlenden Sozialwohnungen das Mietpreisniveau weiter nach oben treiben.“ Das gelte neben Köln vor allem für Düsseldorf, Bonn, Münster, Bielefeld oder Gütersloh. Bundesweit fehlen der Studie zufolge insgesamt rund 550.000 Wohnungen. Im vergangenen Jahr seien jedoch schätzungsweise lediglich 250.000 Einheiten fertiggestellt worden.

NRW ist bei Baugenehmigungen nicht so schlecht wie andere Länder

Seit 2017 ist die Zahl der Sozialwohnungen in Nordrhein-Westfalen deutlich gesunken: Vor sieben Jahren gab es noch rund 460.000 geförderte Wohnungen, heute sind es etwa 33.000 weniger. Im gleichen Zeitraum ist NRW allerdings um rund 280.000 Menschen gewachsen. Es braucht also neuen Wohnraum, doch hohe Zinsen und Baustoffpreise, träge Genehmigungsbehörden und Fachkräftemangel belasten das Investitionsklima.

Da ist es schon eine Erfolgsmeldung, wenn der Negativtrend in NRW nicht so schlecht ausfällt wie anderswo. Bundesweit sei die Zahl der Baugenehmigungen um 19 Prozent zurückgegangen, berichtet Ministerin Scharrenbach. „In NRW liegt der Wert bei 7,1 Prozent“, so die Politikerin aus Kamen. Von Januar bis November 2024 seien für knapp 37.000 neue Wohnungen Baugenehmigungen erteilt worden. Auch beim Ausbau des sozialen Wohnungsbaus sieht Scharrenbach Licht am Horizont. 2024 wurden in Köln laut der Ministerin 187,4 Millionen Euro (2023: 143,8 Millionen Euro) für den Ausbau und die Modernisierung von 788 Wohnungen (2023: 548 Wohnungen) bewilligt.

Tatsächlich lassen sich aus der NRW-Wohnungsbaustatistik für 2023 auch positive Nachrichten generieren. Das Land kämpft mit einer Rekordsumme an Fördermitteln gegen den Schwund von Sozialwohnungen. Mit insgesamt rund 2,3 Milliarden Euro habe die öffentliche Wohnraumförderung im vergangenen Jahr eine bisherige Bestmarke erzielt, so Scharrenbach. Knapp 12.850 Wohneinheiten seien damit gefördert worden, ein Plus von 8,5 Prozent gegenüber 2023.

Mit Sanierungsprogrammen leiste das Land auch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. „Seit 2019 haben wir mit der Modernisierungsoffensive dazu beigetragen, unsere Umwelt vor einem weiteren Austoß von rund 108.000 Tonnen CO2 zu schützen“, sagt die Bauministerin. Junge Familien würden durch Zuschüsse beim Erwerb von Eigentum profitieren. Rund 80 Prozent der Maßnahmen seien dem Erwerb von bestehendem Wohnraum und damit dem Prinzip „Jung kauft Alt“ zuzuordnen“, so die Ministerin.

Gerade das Förderprogramm „Jung kauft Alt“ wird von Experten immer wieder kritisch kommentiert. Die aktuelle Förderung laufe auf eine Spitzenförderung hinaus, da die Anforderungen an eine Sanierung so gestellt sind, dass sie den Wert der Förderung in der Regel weit übersteigen. Dies ist dann eher ein Programm für Haushalte, die ohnehin eine sehr umfangreiche energetische Sanierung geplant haben und dann selbstverständlich die Förderung „mitnehmen“, kritisiert beispielsweise das Verbandsbündnis „Soziales Wohnen“.

Die Jubel-Arie von Wohnungsbauministerin Scharrenbach ist absolut nicht nachvollziehbar
Sebastian Watermeier, bau- und wohnungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion

Für die Opposition im Landtag gehen die Initiativen der Landesregierung erwartungsgemäß nicht weit genug. „Die Jubel-Arie von Wohnungsbauministerin Scharrenbach ist absolut nicht nachvollziehbar“, kritisiert Sebastian Watermeier, bau- und wohnungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag. Die Bilanz von Schwarz-Grün sei angesichts des enormen Bedarfs der Menschen an bezahlbarem Wohnraum „mehr als enttäuschend“. „Der Sinkflug“ bei den Sozialwohnungen halte an, so Watermeier.

Deutschland bräuchte mindestens zwei Millionen Sozialwohnungen

Die Landesregierung versucht, diesem Trend auch durch den Ankauf von Belegungsrechten und Bindungsverlängerungen bei Sozialwohnungen entgegenzusteuern. Insgesamt konnten 2024 damit mehr als 1620 Wohnungen wieder langfristig zu günstigen Mieten zur Verfügung gestellt werden. Allein in Köln waren es 480 Wohnungen. Zum Vergleich: 2023 wurden in NRW 930 Wohnungen mit diesen Maßnahmen in die Mietpreisbindung gebracht oder darin gehalten.Scharrenbach sprach angesichts mehrerer Studien mit unterschiedlichen Prognosen zum Bedarf an sozialem Wohnraum von „ein bisschen Kaffeesatzleserei“. „Mir kommt es darauf an, dass wir mietpreisgebundene Wohnungen kriegen. Es ist fast egal, wie ich sie bekomme.“