Die Spurensicherung arbeitet am Tag der Geiselnahme.
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Die 14-jährige Lika wurde bei der Geiselnahme am Kölner Hauptbahnhof am 15. Oktober schwer verletzt. Sie liegt nach sieben Operationen immer noch im Krankenhaus.
Ob das Mädchen mit ihren schweren Verbrennungen jemals wieder laufen kann, ist unklar. Ihre Mutter hat dem „Kölner Stadt-Anzeiger” von dem Leid der Familie erzählt – und der finanziellen Not.
Köln – Julia M. hat ein mulmiges Gefühl an jenem Montagmorgen vor fünf Wochen. Ihre Tochter Lika, 14, möchte mit dem Zug nach Köln fahren. Mit ihren Eltern und dem jüngeren Bruder Jastin (13) war Lika schon häufiger in Köln. Am 15. Oktober aber, dem ersten Tag der Herbstferien, möchte das Mädchen aus Hennef zum ersten Mal alleine mit einer Freundin fahren. „Ich war dagegen“, sagt Julia M. heute. Die 44-Jährige sitzt in der Kantine eines Kölner Krankenhauses. Sie hat sich eine Stunde Zeit genommen für ein exklusives Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Radio Köln“.
Länger, sagt sie, möchte sie ihre Tochter oben im Zimmer nicht alleine lassen. Das Mädchen hat schwere Verbrennungen an beiden Beinen, vor allem am rechten. Zehn Prozent ihrer Haut sind verbrannt. Vorigen Donnerstag wurde Lika zum siebten Mal operiert, jedes Mal unter Vollnarkose.
Julia M. starrt vor sich auf die Tischplatte. „Hennef ist klein“, sagt sie leise. „Da sind die Leute freundlich und hilfsbereit. Köln macht mir Angst. Es ist so groß, es passiert immer was.“ Schließlich aber gab sie dem Drängen ihrer Tochter nach und erlaubte ihr den Ausflug mit der Freundin.An jenem Mittag nach 12 Uhr ruft Lika ihre Mutter an. „Sie sagte, sie und Jasmin seien gerade im Mc Donald’s im Hauptbahnhof und wollten einen Burger essen.“ Anschließend planten die Mädchen, zum Dom zu gehen und Fotos zu machen, die sie bei Instagram einstellen wollten.
Eine Viertelstunde später der zweite Anruf. „Mach dir bitte keine Sorgen, Mama“, sagt Lika. „Es ist alles okay mit mir.“ Dann legt sie auf. Ihre Mutter spürt sofort, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. „Likas Stimme war so ruhig“, erinnert sie sich, „so habe ich meine Tochter noch nie sprechen hören“. Aber Lika geht nicht mehr ans Telefon. Die Mutter ahnt nicht, dass ihr Kind in einem Rettungswagen liegt und mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren wird. Jastin, der Bruder, kriegt die Freundin ans Telefon: „Lika wurde angezündet“, sagt die.
Lika aus Hennef ist das Mädchen, das bei dem Brandanschlag und der Geiselnahme im Hauptbahnhof Mitte Oktober schwer verletzt wurde. Ein womöglich geistig verwirrter Mann hatte im Mc Donald’s Benzin ausgeschüttet und angezündet. Lika konnte nicht mehr rechtzeitig fliehen. Anschließend stürmte der Mann mit einer Pistole in die benachbarte Apotheke und nahm eine Angestellte als Geisel. Beamte eines Spezialeinsatzkommandos streckten ihn zwei Stunden später mit sechs Schüssen nieder und befreiten die 42-jährige Frau.
Gäste flüchten in Panik
Lika M. war der 55-jährige Täter in dem Restaurant sofort aufgefallen. Ein merkwürdiger Typ, dachte die Gymnasiastin noch. Sie sah, wie er Flüssigkeiten auf den Boden schüttete. Auf dem Tisch vor ihm lag eine Pistole. „Beides hat sie den Verkäufern hinter dem Tresen gesagt“, erzählt ihre Mutter. Die hätten sich daraufhin flüsternd beraten. Dann habe Lika ihre Bestellung aufgegeben. Im nächsten Moment ein Knall, ein Feuerball schießt durch das Restaurant. Gäste und Angestellte bringen sich in Sicherheit, manche flüchten in Panik durch die Eingangstür auf den Breslauer Platz, auch Jasmin.
Julia M. verbringt Tag und Nacht bei ihrer Tochter in der Klinik.
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Lika M. hat weniger Glück. Sie steht an der Theke mit dem Rücken zu dem Täter und bekommt von dem Feuer im ersten Moment nichts mit. Als sie sich umdreht und weglaufen will, rutscht sie auf der Benzinpfütze aus. Die Schuhe fangen Feuer. Es gelingt dem Mädchen nicht, sofort aufzustehen. „Sie hat ihre schwere Tasche weggeschmissen, erst dann konnte sie mit letzter Kraft aufstehen und wegrennen“, schildert Julia M.
Schreiend läuft die 14-Jährige ins Freie. Fassungslos berichten Augenzeugen später, dass das Mädchen immer weiterlaufen wollte, es sei gar nicht ansprechbar gewesen, so schwer habe es offensichtlich unter Schock gestanden. Die Flammen schlagen an Likas Beinen hoch bis zur Hüfte. Ein Passant hält Lika fest, zieht ihr die brennenden Schuhe aus. Doch sie reißt sich los, läuft weiter. „Sie wollte nur weg“, sagt ihre Mutter. Ein anderer Zeuge hält das Mädchen auf, zieht ihm die brennenden Socken aus. Eine Apothekenangestellte eilt hinzu und leistet erste Hilfe, andere Menschen löschen die Flammen schließlich mit Wasser und rufen einen Notarzt.
Mit dem Rettungswagen geht es in die Klinik. Dort wird Lika sofort operiert. Seitdem hat sie das Krankenhaus mehr nicht verlassen. Der Heilungsprozess ist kompliziert. Die Ärzte haben Teile ihrer Kopfhaut auf die verbrannten Beine transplantiert. Doch immer wieder treten Probleme auf. Wunden entzünden sich, Folgeoperationen werden nötig. Ein Ende der Behandlung ist im Augenblick nicht absehbar. Wann Lika das Krankenhaus wieder verlassen kann, ist völlig unklar, berichtet ihre Mutter. Gehen könne ihre Tochter derzeit nicht, stehen und sitzen nur unter Schmerzen. Julia M. ist bei ihr im Zimmer eingezogen, sie weicht ihr kaum von der Seite.
Lika trauert um ihre langen Haare
Abgesehen von den gesundheitlichen Problemen sei es besonders schlimm für Lika, dass man ihr wegen der notwendigen Transplantationen ihre langen, glatten schwarzen Haare abschneiden musste. Julia M. zeigt ein Foto von früher. Bis zu den Ellenbogen fielen die Haare. „Lika war sehr stolz auf sie.“ Und noch etwas setzt der 14-Jährigen zu: Ihre knallroten Adidas-Schuhe sind bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. „Lika hatte die Schuhe erst seit kurzem, sie hatte sehr lange dafür gespart“, erzählt die Mutter. „Dass die jetzt kaputt sind, hat sie wahnsinnig geärgert.“
Belastend sei die Situation indes für die ganze Familie. Lika und ihr Bruder seien ein Herz und eine Seele, erzählt Julia M. „Sie hängen sehr aneinander. Lika weint, wenn Jastin nicht bei einer ihrer Operationen dabei sein kann, weil er in die Schule muss.“
Der Koffer des Täters
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Jeden Tag kommt Vater Alexander mit Jastin von Hennef nach Köln ins Krankenhaus. Das Spritgeld zehrt an den Finanzen der Familie. Alexander ist Busfahrer. Weil er im Schichtdienst arbeitet, ist Jastin zu Hause oft auf sich allein gestellt. Der Junge steht manchmal morgens alleine auf und geht in die Schule – auch wenn Onkel und Oma helfen, so oft sie können. Julia M. ist in ihrem Minijob seit fünf Wochen krankgeschrieben, um in Köln für ihre Tochter da zu sein.
Und noch etwas bereitet der Familie Sorge: Erst kürzlich haben die Eltern in Hennef ein altes Häuschen gekauft, das abbezahlt und womöglich bald noch umgebaut werden muss. Denn die Kinderzimmer sind in der ersten Etage. Aber niemand weiß zurzeit, wie schnell und wie gut Lika sich erholen wird, ob und wann sie wieder laufen kann.Über die Tat oder den Täter spreche Lika kaum, erzählt die Mutter. Das spiele offenbar keine große Rolle für ihre Tochter, zumindest nicht im Moment. Nur bei den beiden Männern, die ihr Schuhe und Socken ausgezogen haben, möchte ihre Tochter sich unbedingt bald bedanken. „Das Gesicht von dem zweiten Mann hat sie noch genau vor Augen, aber sie weiß nicht, wer er ist.“
Im Krankenhaus vertreibe Lika sich die lange Zeit mit Lesen, vor allem Teenager-Liebesromane hätten es ihr angetan. „Sobald es geht“, sagt die Mutter, möchte ihre Tochter einen Familienurlaub in der Sonne machen, „um diesen schlimmen Tag zu vergessen“. Am liebsten in der Türkei. „Ich glaube, sie möchte da shoppen gehen“, sagt Julia M. und lacht.Über den zweiten Wunsch ihrer Tochter sei sie selbst überrascht gewesen. Lika hört gerne Musik, vor allem Hip Hop. „Wenn das hier vorbei ist“, sagt die 44-Jährige, möchte das Mädchen gerne tanzen lernen. Ihre Mutter, sagte Lika, solle sie schon mal in einer Tanzschule anmelden.
Spendenaufruf
Der Anwalt der Familie hat ein Spendenkonto für die 14-jährige Lika eingerichtet. Wer dem Mädchen und seiner Familie finanziell helfen möchte, kann dies unter Angabe folgender Bankverbindung tun:
Spendenkonto LikaVolksbank Köln Bonn eGBIC: GENO DE D1 BRS
IBAN: DE17 3806 0186 4601 4980 28Verwendungszweck: Lika
Geiselnehmer liegt noch im Koma
Dass der mutmaßliche Geiselnehmer Mohammad R. sich jemals für seine Tat vor Gericht verantworten muss, gilt derzeit als eher unwahrscheinlich. Beim Notzugriff schossen SEK-Beamte sechsmal auf ihn, eine Kugel traf seinen Kopf. Der 55-Jährige wurde noch vor Ort reanimiert und liegt seit einer Notoperation im künstlichen Koma. Es scheint fraglich, ob er noch einmal zu sich kommt. Wenn überhaupt, so berichtete ein hochrangiger Ermittler dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dann sei mit Folgeschäden zu rechnen. Womöglich wird er nie vernommen werden können.
Unterdessen versucht eine Ermittlungsgruppe der Kölner Polizei weiterhin, das Motiv aufzuklären. Wegen Verdachts auf einen radikal-islamistischen Hintergrund ermittelt der Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Bislang soll sich der Terrorverdacht jedoch nicht bestätigt haben, heißt es aus Ermittlerkreisen. (ts)
