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WeihnachtsinterviewIn Köln kämpfen Palästinenser und Juden gemeinsam für Frieden

Lesezeit 5 Minuten
Zwei Frauen im Verlagshaus des Kölner Stadt-Anzeiger

Zeynep Karaosman (l.) und Swetlana Nowoshenowa von der Initiative „Palestinians and Jews for Peace“

Die Initiative „Palestinians and Jews for Peace“ setzt auf Dialog und Gemeinsamkeit. Die Kölner Initatorinnen erfahren immensen Zuspruch.

Der Nahostkrieg hat in Deutschland die Menschen nicht nur erschüttert, sondern teilweise auch gespalten. Auf der einen Seite gab es pro-palästinensische Demonstrationen, auf der anderen Solidaritätskundgebungen für Israel. Was vielen fehlte, war eine Form, für das einzustehen, was so schwer zu finden ist: eine Gemeinsamkeit. Die Kölner Initiative „Palestinians and Jews for Peace" hat sich gegründet, um alle in der Trauer um die Opfer zu vereinen.

Wie ist die Idee entstanden, sich gemeinsam für den Frieden zu engagieren?

Zeynep Karaosman: Der 7. Oktober war eine Zäsur für mich. Es war eine neue Dimension von Eskalation und Gewalt. Ich war schockiert und wollte etwas machen. Aber es gab keinen Raum, wo ich mit meiner Wut und Traurigkeit hin konnte. Ich habe palästinensische Wurzeln. Aber eine Pro-Palästina-Demo war für mich nicht der richtige Ort. Ich brauchte einen Ort, an dem mehr als meine palästinensische Identität Platz haben konnte. Nach einem Abend mit meiner jüdischen Freundin Kris, die genauso empfand wie ich, haben wir beide zusammen auf Instagram mit „Palestinians and Jews for Peace“ diesen Ort geschaffen.

Swetlana Nowoshenowa: Es gab da sofort diese hitzige, aggressive Debatte. Antisemitismus wurde gegen Rassismus ausgespielt. Ich hatte das Gefühl, auch mein Schmerz wird benutzt, um uns gegenseitig aufzuhetzen. Daher war es für mich als Mensch mit jüdischen Wurzeln ein Hoffnungsschimmer, dass ich diese Gruppe gefunden habe. So können wir zeigen, dass unser Ziel ein gemeinsames ist: ein Leben in Frieden und Sicherheit, in dem die Rechte aller gewahrt werden.

Die Kölnerin Zeynep Karaosman im Gespräch

Zeynep Karaosman hat palästinensische Wurzeln und lebt seit drei Jahren in Köln. Sie studiert auf Lehramt und arbeitet an der Heliosschule.

Als Sie in Köln Ende November zu einer Friedensdemonstration – ohne Fahnen und nur mit Kerzen – aufgerufen haben, sind spontan über 3000 Menschen gekommen. Sie alle wollten Traurigkeit und Solidarität mit den Opfern beider Seiten ausdrücken. Hat Sie der große Zuspruch überrascht?

Zeynep Karaosman: Es hat uns gefreut und es ist ein wichtiges Zeichen, dass Juden und Palästinenser zusammen mit allen Kölnerinnen und Kölnern, die sich der Idee verbunden fühlen, gemeinsam unterwegs sind. Frieden ist keine naive Utopie. Wir wollen, dass dieser Krieg zu Ende geht. Dazu brauchen wir den Dialog und ein Ende des Denkens in Schwarz und Weiß. Das ist unser Beitrag für den Frieden. Wir werden auch im neuen Jahr weitermachen - sowohl mit einer Demonstration als auch mit kulturellen Veranstaltungen wie Filmen mit anschließender Diskussion.

Swetlana Nowoshenowa: Wenn man sich austauscht, merkt man, wie groß die Gemeinsamkeiten sind. Ich bin in der Ukraine geboren und als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen. Ich habe viele Freundschaften mit Palästinenserinnen und Palästinensern und stelle fest, dass wir, die wir doch von der Gesellschaft als krasse Gegensätze empfunden werden, so viel gemeinsam haben. Die Biografien so vieler jüdischer wie palästinensischer Menschen sind geprägt von Vertreibung und Flucht.

Swetlana Nowoshenowa im Gespräch

Swetlana Nowoshenowa ist Soziologin. Sie kam vor 25 Jahren als jüdischer Kontingentflüchtling aus der Ukraine nach Deutschland.

Wie geht es Ihnen persönlich am Ende dieses schwierigen Jahres?

Zeynep Karaosman: Ich bin extrem müde und wir alle schlafen wenig. Wir haben Angst und sind in Sorge, wie es weitergeht. Zumal sich die Lage vor Ort weiter zuspitzt: Die Friedensaktivistinnen, die derzeit in Israel für Waffenstillstand demonstrieren, gehen inzwischen ein hohes Risiko ein, von der Polizei verhaftet zu werden.

Swetlana Nowoshenowa: Gleichzeitig ist der Aktivismus für uns der Weg, mit dieser großen Ohnmacht produktiv umzugehen. Wir selbst spüren ja, wie sich die Spannungen in Form von Rassismus und Antisemitismus äußern. Ich lebe seit 25 Jahren in Deutschland und habe noch nie so krassen Antisemitismus erlebt wie in den letzten Monaten. Ich werde als „Scheiß-Jüdin“ beschuldigt für das, was die israelische Regierung macht. Dabei habe ich noch nicht mal Wahlrecht in Israel. Und wenn man sich als Jüdin für Waffenstillstand ausspricht, wird man als Pseudo-Jüdin beschimpft und mit Gewaltphantasien überzogen.

Überall spürt man diese starke Polarisierung. Für viele ist es schon ein radikaler Akt, zumindest das Leid der anderen Seite zu sehen. Warum ist das so schwer?

Zeynep Karaosman: Ich frage mich das auch. Warum sind viele so wütend? Auch auf uns. Wir fordern augenscheinlich das Narrativ des Schubladendenkens heraus.

Swetlana Nowoshenowa: Ich habe viel Verständnis für Menschen, die gerade Angst und Wut haben, weil sie als Palästinenser oder Jüdinnen sehr viel durchmachen. Wenig Verständnis habe ich für die, die von außen Öl ins Feuer gießen und versuchen, uns gegeneinander aufzuhetzen. Wir sitzen symbolisch zwischen den Stühlen. Dafür werden wir als naiv oder gemütlich kritisiert. Aber es ist zwischen den Stühlen überhaupt nicht gemütlich. Das Brückenbauen ist anstrengend und trotzdem der einzige Weg zum Frieden.

Weihnachten ist eine besondere Zeit. Gibt es für Sie beide eine Weihnachtshoffnung, die Sie trägt?

Swetlana Nowoshenowa: Meine größte Hoffnung ist, dass durch diese tragische Eskalation jetzt endlich alle begreifen, dass es so nicht weiter geht. Dass es keine Alternative gibt zu einem gerechten Frieden, mit dem alle Menschen dort leben können. Und dass wir daran arbeiten und nicht wegschauen dürfen. Wenn wir mit Initiativen wie „Palestinians and Jews for Peace“ mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass wir keine Feinde sind, kann das Hoffnung geben und dazu führen, dass sich mehr Menschen uns anschließen.

Zeynep Karaosman: Ich habe Hoffnung, sonst würde ich diese Arbeit nicht machen. Der 7. Oktober war eine schreckliche Zäsur im Ausmaß an Gewalt. Ebenso der darauf folgende Krieg. Die Vorstellung, Israelis könnten sicher sein, ohne dass Palästinenser als Menschen anerkannt und ihre Rechte gestärkt werden, hat sich als Illusion erwiesen. Genauso haben viele Palästinenser realisiert, dass ihr Leben der Hamas egal ist. Dass die Hamas eine schreckliche Terrororganisation ist, der es nur um Machterhalt geht. Ich habe die Hoffnung, dass die Menschen aus diesem absoluten Tiefpunkt Lehren ziehen. Dass sie erkennen, dass die Sicherheit Israels abhängig ist von der Freiheit der palästinensischen Menschen und die Freiheit der palästinensischen Menschen abhängig ist von der Sicherheit der Israelis.