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Interview mit Kölner SPD-Chefin„Wir treten an, um zu gewinnen“

Lesezeit 5 Minuten

Christiane Jäger ist Vorsitzende der Kölner SPD.

KölnDie Europawahl ist für die SPD zum Debakel geworden. Wie hat die Kölner Parteiführung die Niederlage diskutiert?

Natürlich ist das ein total enttäuschendes Ergebnis. Es ist nicht gelungen, unser Thema – den sozialen Zusammenhalt in Europa – rüberzubringen. Der Klimaschutz hat als Thema vieles überlagert. Wir werden nun aber nicht mit den Grünen in eine Konkurrenz um die beste Klimapartei einzutreten. Wir müssen unsere Kernkompetenz stärken und sozialdemokratische Inhalte setzen.

Was bedeutet das für Köln?

Alles zum Thema Henriette Reker

Es wird zu einer politischen Zuspitzung mit den Grünen kommen – nämlich immer dann, wenn es ganz konkret darum geht, was mit einer freien Fläche passieren soll. Wir brauchen Wohnungen und Schulen. Diese Diskussion werden wir mit großer Lebendigkeit und Klarheit führen. Die Sozialdemokraten werden in der wachsenden Stadt weiterhin gebraucht.

Der Klimaschutz wird also kein neues Kernthema?

Den Klimaschutz denken wir immer mit. So fordert die Kölner SPD in ihrem Steuerprogramm eine CO2 -Steuer. Aber sie muss sozial gerecht gestaltet werden.

Sie haben im Vorfeld der Wahl den Juso-Chef Kevin Kühnert verteidigt, als er sich zur Vergesellschaftung von Großbetrieben geäußert hat. Andere glauben, solche Debatten haben der SPD geschadet.

Was Kevin Kühnert gesagt hat, geht vielleicht über das Ziel hinaus. Aber die Richtung ist die richtige. Es läuft momentan etwas auseinander in dieser Republik. Es muss doch so sein, dass jemand, der sein Leben lang Vollzeit gearbeitet hat, von dem Gehalt leben kann und ihm das auch mit der Rente noch möglich ist.

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Solche Entwicklungen haben konkrete Auswirkungen für Köln. Wo sollen beispielsweise die guten Einkommen herkommen, wenn bei Ford abgebaut wird, bei Bayer, in den Zentralen der Handelskonzerne, in der Braunkohle bei RWE? Wenn diese Arbeitsplätze nach und nach wegfallen, kann die Situation irgendwann kippen.

Sie wollen die SPD in den Kommunalwahlkampf führen. Dann müssen sie als Mitarbeiterin der Stadtverwaltung Wahlkampf gegen Ihre Chefin, gegen Oberbürgermeisterin Henriette Reker machen?

Das wird schon gehen. Wenn ich die Partei in die Kommunalwahl führe, werde ich natürlich sagen, was aus meiner Sicht nötig ist. Bei manchen Sachen wird Frau Reker sagen: Das machen wir doch schon. Dann kann ich aus Sicht einer Verwaltungsmitarbeiterin sagen: Ja, es gibt Dinge, da kommen wir voran. Mit der Brille der Parteivorsitzenden sage ich aber auch: Es gibt noch vieles, wo sich zu wenig tut. Vielleicht weil die Verwaltung selbst an der einen oder anderen Stelle noch effektiver arbeiten könnte oder auch weil sie dabei – aus meiner Sicht und der Bewertung der SPD – die falschen Schwerpunkte setzt.

Bestehen für eine Beschäftigte der Stadtverwaltung nicht Loyalitätspflichten?

Natürlich gibt es die. Ich arbeite seit langem mit Leidenschaft bei der Stadtverwaltung, und ich tue es immer noch gerne. Natürlich bin ich loyal. Aber selbstverständlich kann ich auch sagen: Hier und da sind wir noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen. Dann kann ich auf andere Städte verweisen und klar machen, dass wir gemeinsam besser werden müssen.

Aber es bleibt dennoch ein Zwiespalt. Beispiel: Die immer noch fehlenden Entwürfe für Milieuschutzsatzungen. Wenn Sie kritisieren, dass Köln nicht voran kommt, könnte Frau Reker entgegnen: Aber dafür sind doch gerade Sie in ihrem Amt zuständig.

Und dann werde ich öffentlich vielleicht auch einmal sagen müssen: Darüber kann ich jetzt nicht mehr reden, weil es um Verwaltungsinterna geht. Natürlich bin ich als Mitarbeiterin in einem Apparat nicht ganz frei, wenn es um die Kritik an ihm geht. Aber damit wissen wir als Partei umzugehen.

Nach dem dritten Platz am Sonntag könnte man darüber nachdenken, ob die SPD überhaupt noch einen OB-Kandidaten braucht.

Auch wenn es heute seltsam klingt: Wir werden antreten, um zu gewinnen.

Haben Sie selber Interesse an einer OB-Kandidatur?

Ich bin nicht mit dem Ziel Parteivorsitzende geworden, um als Kandidatin anzutreten. Aber mir ist auch bewusst, dass ich in dem Auswahlprozess immer auch eine wichtige Rolle habe.

Wer soll es denn machen?

Wir suchen jemanden mit SPD-Parteibuch, profunder Erfahrung, regionaler Verbundenheit und einem gewissen Bekanntheitsgrad.

Haben Sie durch Ihre Entscheidung, Parteivorsitzende zu werden, Ihrer eigenen Karriere geschadet?

Meine eigene Karriere wurde vorher schon gestoppt. Ich arbeite ja bereits länger im SPD-Vorstand mit.

Sie waren stellvertretende Amtsleiterin bei Jürgen Roters im OB-Büro, dann im Amt für Stadtentwicklung, das Sie ein halbes Jahr auch kommissarisch geleitet haben. Jetzt sind sie nur noch Abteilungsleiterin. Ein ungewöhnlicher Vorgang.

Als die Amtsleiterstelle ausgeschrieben wurde, konnte ich mich nicht bewerben. Das geforderte Profil umfasste zwar alle möglichen Qualifikationen, meine als Wirtschaftswissenschaftlerin aber nicht. So etwas hatte es in Köln noch nie gegeben. Wenn man mich mit meiner Ausbildung nicht haben wollte, war es doch erstaunlich, dass man mir vorher die kommissarische Leitung übergeben hat.

Radikal verjüngt und deutlich weiblicher: In den geschäftsführenden Vorstand wurden Sebastian Bucher (v.l.), Kathi Letzelter, Fabian Stangier, Christiane Jäger, Susanna dos Santos und Sarah van Dawen-Agreiter gewählt.

Außerdem hatten die Oberbürgermeisterin und der zuständige Dezernent nichts an meiner Arbeit auszusetzen. Ich hätte einen Rechtsstreit gegen diese Diskriminierung anfangen können, aber das wollte ich nicht. Ich habe Frau Reker dann aber darum gebeten, mich auch vom Amt der Stellvertreterin zu entbinden, weil ich kein Vertrauen in meine Person gefühlt habe.

Und daran ist Ihr SPD-Parteibuch schuld?

Ja sicher. Es gab keinen fachlichen Grund, eine wirtschaftswissenschaftliche Qualifikation auszuschließen. Ich wollte nur eine faire Chance.

Wie gehen Sie mit so einer Enttäuschung um?

Da nimmt man erstmal den Resturlaub und fährt viel Fahrrad. Die mangelnde Wertschätzung für meine Arbeit, in dem man diese auf meine Parteimitgliedschaft reduziert, hat mich schon verletzt. Jetzt mache ich das, was meine Aufgabe als Abteilungsleiterin in der Stadtverwaltung ist, mit Leidenschaft verantwortungsvoll und gerne weiter.