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Interview zu Missbrauch im Erzbistum Köln„Alles gehört an die Öffentlichkeit“

Lesezeit 3 Minuten
Kölner Dom dpa 270920

Der leere Kölner Dom

  1. Kirchenrechtler Thomas Schüller zum Sondergutachten um den Fall des Priesters und Sexualstraftäters Nikolaus A.

Herr Professor Schüller, das Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl zum Fall des Kölner Priesters und Sexualstraftäters Nikolaus A. erfasst zwar einen besonders schrecklichen Fall, ist aber doch nur ein kleiner Ausschnitt eines großen Ganzen. Worin sehen Sie das spezielle öffentliche Interesse?Thomas Schüller: Die Bedeutung dieses unter hohem Zeitdruck erstellten Sondergutachtens liegt darin, dass dem Kölner Kardinal schlagartig vor Augen gestellt wurde, welche Rechtsverstöße und Pflichtverletzungen sein Vorgänger und dessen engste Mitarbeiter begangen haben. Das belegen nicht zuletzt Kardinal Woelkis jüngste Aussagen (Mehr dazu lesen Sie hier). Dieses Gutachten hat die heutigen Akteure aufgerüttelt und sie veranlasst, Pfarrer A. der kirchlichen Strafgerichtsbarkeit zuzuführen. Auf der Grundlage dieses Gutachtens hat Kardinal Woelki den Fall im Oktober 2019 der Glaubenskongregation in Rom gemeldet, die daraufhin – ungeachtet der längst eingetretenen Verjährung – einen Strafprozess gegen Pfarrer A. eröffnet hat.

Trotzdem hält das Erzbistum Köln den Text unter Verschluss. Gehört er in die Öffentlichkeit?

Alles gehört an die Öffentlichkeit, was zur Aufklärung beiträgt. Gerade der Fall A. zeigt: Es ist höchste Zeit, dass bereits erstellte Studien das Licht der Öffentlichkeit erblicken, damit diese sich ein eigenes Urteil darüber bilden kann, was im Erzbistum Köln in den vergangenen Jahrzehnten los war.

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Wie erklären Sie sich dann die ablehnende Haltung der Bistumsleitung?

Das hat keine sachliche Rationalität. Man hat sich gegen wachsenden Druck aus der Kirche und auch von staatlicher Seite für das Verschanzen in der eigenen Wagenburg entschieden. Nur insofern ist es dann konsequent, auch das Sondergutachten unter Verschluss zu halten, obwohl man mit wesentlichen Inhalten auch nach außen hin operiert. Kommunikativ und inhaltlich ist das desaströs. Es ist der Versuch von Gesichtswahrung nach dem Motto: Wir waren stur, wir bleiben stur – und geben nichts nach draußen, bis das neue Gutachten am 18. März 2021 die Wahrheit ans Licht bringen wird.

Zur Person

Thomas Schüller, geboren 1961, ist Professor für Kirchenrecht an der Universität Münster. Von 1993 bis 2009 leitete er die Stabsstelle für kirchliches Recht im Bistum Limburg.

Das Sondergutachten zum Fall A. gründet allein auf der – zum Teil sehr lückenhaften – Aktenlage. Ist diese Basis nicht zu schmal?

Im Prinzip ja. Nur hatte das Gutachten einen ganz bestimmten Zweck: eine sehr zeitnahe Prüfung der Fakten und eine Klärung der daraus folgenden rechtlichen Schritte. Der Kölner Kardinal hat auf den Befund dann ja auch umgehend reagiert. Was persönliche Befragungen angeht, ist es ein großes Manko aller bisherigen Studien und Gutachten, dass die Täter außen vor bleiben. In der 2013 gestoppten Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer für die Deutsche Bischofskonferenz war das übrigens ein eigenes Forschungsvorhaben. Es wäre wichtig, um besser verstehen zu können, wie Priester zu Sexualstraftätern wurden. Die Einlösung dieses Auftrags steht bis heute aus.

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Wird der 18. März 2021 der Tag der Wahrheit in Köln?

Der neue Gutachter, Professor Björn Gercke, hat ja vollmundig erklärt, sein Votum werde ungemütlich für den Kardinal und das Erzbistum. Wenn er das so sagt, habe ich daran natürlich zunächst keine Zweifel. Ich glaube aber, seinem Gutachten droht am Ende das gleiche Schicksal wie dem ersten: nämlich der Versuch von belasteten Verantwortlichen, es mit juristischen Querschüssen zu Fall zu bringen. Darauf möchte ich wetten.

Was macht Sie da so sicher?

In Gerckes Bericht werden doch keine anderen Namen vorkommen als in dem ersten Gutachten. Der Kardinal will die Namen von Vertuschern nennen. Die Vertuscher wollen das nicht. Das ist ein nicht auflösbarer Widerspruch.