In zwei Schadensersatzklagen von Missbrauchsopfern vor dem Landgericht Köln zeichnen sich Erfolge für das Erzbistum Köln als Beklagte ab.
Prozesse am LandgerichtKlagen von Missbrauchsopfern gegen Kölner Erzbistum vor dem Scheitern

Am Dienstag protestierten Missbrauchsbetroffene vor dem Kölner Landgericht mit einem von Jacques Tilly gebauten Mottowagen.
Copyright: dpa
Im Fall von Melanie F., Pflegetochter des 2022 als Serientäter zu zwölf Jahren Haft verurteilten ehemaligen Priesters Hans Ue., hat die fünfte Zivilkammer des Landgerichts Köln in einer Verhandlung am 25. März ihre Auffassung bekräftigt, Ue. habe die von ihm eingestandenen Verbrechen von Ende der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre nicht im Rahmen seines priesterlichen Dienstes begangen, sondern als Privatmann. Damit scheide eine Amtshaftung des Erzbistums aus. F. verlangt von der Kirche insgesamt 850.000 Euro.
Die Beweisaufnahme, zu der unter anderem der aus Köln stammende Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, als Zeuge geladen war, ergab keine schlüssigen Befunde, was die ehemalige Bistumsleitung unter Kardinal Joseph Höffner über Übernachtungen der damals zwölf Jahre alten F. und ihres zwei Jahre älteren Pflegebruders Erwin G. schon im Kölner Priesterseminar wusste und ob sie frühzeitig hätte gewarnt sein müssen.
Höffner hatte Ue. ausnahmsweise erlaubt, die Kinder vor seiner Priesterweihe zu sich zu holen und auch später als Kaplan die Pflegschaft für sie zu übernehmen.
Alles zum Thema Erzbistum Köln
- Abi 1965 Schülerinnen treffen sich nach 60 Jahren im Irmgardis-Gymnasium
- Hohe Zahl an Kirchenaustritten Köln verliert Spitzenplatz als größtes Bistum
- Mitglieder-Rückgang Kirchen verlieren mehr als eine Million Mitglieder
- Sexueller Missbrauch Erzbistum Köln will bei Schadensersatzklagen nicht für Mitarbeiter haften
- 300 Jahre alte Ruhestätte Historiker löst das Rätsel um ein Grab in Euskirchener Kirche
- Rosenmontagszug Weidel als „Hakenkreuz-Hexe“, Trump unten ohne – Düsseldorf provoziert mit Wagen
- Gastbeitrag Betroffenen-Vertreter nennt Kritik an Kölner Mottowagen zum Missbrauch „schäbig“
Missbrauchsopfer schilderte Begegnungen im Priesterseminar
In einer ausführlichen Vernehmung berichtete F., dass Ue. sie und ihren Pflegebruder an Wochenenden häufig mit ins Seminar genommen habe, was viele der Seminaristen mitbekommen hätten. Manche hätten sich vom Kinderlärm auch gestört gefühlt. Sie schilderte Begegnungen auf den Fluren, beim Frühstück im Speisesaal oder in der hauseigenen Schwimmhallte im Keller, im Kirchenjargon scherzhaft „Zölibad“ genannt. Der angehende Priester Ue. habe im Seminar mit ihr das Zimmer geteilt und im selben Bett geschlafen.

Berlins Erzbischof Heiner Koch war als Zeuge geladen.
Copyright: dpa
Koch, der einen Teil seiner Ausbildung zeitgleich mit Ue. im Seminar absolviert hatte, erklärte, von den Aufenthalten, bei denen die Kinder nach ihren Schilderungen zum Zeitvertreib auch schon einmal eine Schnitzeljagd im Seminar veranstalteten, habe er nichts wahrgenommen. Mit Ue. sei er nicht „sonderlich vertraut“ oder gar befreundet gewesen. Ähnlich äußerte sich ein weiterer Zeuge.
Die Zeugenvernehmung ergab aber auch, dass sich nach Höffners Erlaubnis zur Übernahme der Pflegschaft offenbar kein Bistumsverantwortlicher mehr um die Lebensverhältnisse Ue.s und seiner beiden Pflegekinder kümmerte. Der ehemalige Pfarrer von Alfter, Bernhard Auel, mit dem Ue. als Diakon gemeinsam mit den Pflegekindern im Pfarrhaus wohnte, sagte, er habe es „nie als seine Pflicht betrachtet, zu kontrollieren, wo und wie jemand lebt“. An etwaige Besuche von Bistumsvertretern in Ue.s Haushalt konnten sich auch die früheren Pflegekinder nicht erinnern. Beide erklärten, Ue. habe das Schlafzimmer unter dem Dach des Pfarrhauses mit Melanie F. geteilt.
Ist ein katholischer Priester immer im Dienst?
Melanie F.s Anwälte monierten, das Gericht lasse in seiner Bewertung des Falls das katholische Amtsverständnis außer Acht. Demzufolge ist ein Priester immer im Dienst. Also müsse sich das Erzbistum als Dienstgeber auch das Handeln seiner Priester zurechnen lassen. Der Vorsitzende Richter Dominik Theisen räumte ein, dass es zu dieser Frage wenig einschlägige Rechtsprechung gebe. „Das ist ein offenes Feld.“ Die Kammer bleibe aber bei der Auffassung, dass auch bei einem Priester nicht jegliches Agieren als Amtshandlung zu gelten habe.
Wiederholte Einwände parierte Richter Theisen schließlich mit dem Satz: „Wir drehen uns im Kreis.“ Klägerin-Anwalt Christian Rossmüller warf dem Gericht im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ Rechtsverweigerung vor: Die Kammer sei verpflichtet, ihrer Entscheidung die kirchliche Definition von Umfang und Reichweite des Priesteramts zugrunde zu legen. Das Gericht will seine Entscheidung am 6. Mai verkünden.
In einem weiteren Verfahren hält das Gericht die Amtshaftung der Kirche – gegen die Rechtsauffassung des Erzbistums - zwar für gegeben. Allerdings machte die Kammer deutlich, dass ihr hinreichende Beweise für die von der Klägerin geltend gemachten Taten und deren Folgen fehlten.
Die heute 38-Jährige war als Messdienerin von einem Gruppenleiter missbraucht worden. Wegen vier dieser Vergehen, von denen zwei erwiesenermaßen im kirchlichen, zwei im familiären Kontext stattfanden, erhielt der Täter 1998 eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Die Klägerin und ihre Anwälte trugen vor, dass es über mehrere Jahre hinweg zu mindestens 280-fachem Missbrauch gekommen sei. Bistumsanwalt Jörn Quadflieg bestritt dies im Auftrag des Erzbistums „mit Nichtwissen“.
Richter Theisen erklärte, im Grundsatz müsse die Kirche für die Taten haften. Auch der ehrenamtliche Leiter einer Messdienergruppe nehme teil am pastoralen Wirken der Kirche. Die Messdienerarbeit falle in den „Kernbereich des Gemeindelebens“, und ein Gruppenleiter handele hier auf Weisung und „als verlängerter Arm“ des Pfarrers.
Allerdings betonte die Kammer für die behauptete Häufigkeit der Taten eine Beweispflicht im Prozess. Gleiches gelte für die erlittenen Folgeschäden. Die Klägerin verlangt vom Bistum ebenfalls eine Gesamtsumme von 850.000 Euro. Während die Anwälte der Klägerin auf ärztliche Diagnosen, Behandlungen sowie Klinikaufenthalte ihrer Mandantin hinwiesen, sprach das Gericht von einem bislang „nicht substanziierten Vortrag“. Darüber kam es zum Streit zwischen Richter Theisen und Anwalt Eberhard Luetjohann. Dieser sagte, das Gericht habe die Klägerseite „ins Messer laufen lassen.“ Am Ende ließ die Kammer die Möglichkeit offen, in einem weiteren Verhandlungstermin die Klägerin selbst anzuhören. Die Entscheidung über das weitere Vorgehen will das Gericht am 29. April bekanntgeben.