Kölns Ex-Polizeipräsident Jürgen Mathies fordert ein schärferes Waffenrecht. Im Interview spricht er aber auch über die Silvester-Krawalle.
Kölns Ex-Polizeipräsident„Ganz Köln sollte eine Waffenverbotszone sein“
Jürgen Mathies (62) war zwischen 2017 und 2022 Staatssekretär im NRW-Innenministerium unter Herbert Reul (CDU). Davor leitete er als Polizeipräsident von Köln die polizeiinterne Aufarbeitung der Kölner Silvesternacht 2016 mit massenhaften sexuellen Übergriffen. Um das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei zurückzugewinnen und für mehr Sicherheit zu sorgen, setzte Mathies vor allem auf eine verstärkte Polizeipräsenz in der Stadt.
Was ging in Ihnen vor, als Sie vor ein paar Tagen die Bilder von Silvester aus Berlin und anderen Städten, z.B. Hagen, gesehen haben, wo Menschen Polizisten mit Feuerwerksraketen beschossen und Rettungswagen mit Gegenständen beworfen haben?
Jürgen Mathies: Die Bilder sind außerordentlich erschreckend. Ein solches Verhalten ist nicht im Geringsten akzeptabel. Ich hoffe, dass alle Städte und größeren Gemeinden jetzt unmittelbar anfangen zu beraten, welche Maßnahmen sie treffen wollen, um so etwas in der kommenden Silvesternacht zu verhindern. Dabei sind Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste einzubeziehen. Es bleibt nicht viel Zeit.
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In Köln ist es in der Silvesternacht vergleichsweise ruhig geblieben, aber auch hier gab es Szenen im Rheingarten oder am Görlinger Zentrum, wo Raketen auf Polizisten und in die Menge geschossen wurden. Manche fordern als Konsequenz ein generelles Feuerwerksverbot. Was halten Sie davon?
Ich würde das in Erwägung ziehen, man muss es prüfen, ein vollständiges Verbot von Feuerwerk wäre aber ohne entsprechendes Gesetzgebungsverfahren wahrscheinlich nicht zulässig. Auch die Suche nach Ursachen, nach möglichen Integrations- und Sozialisierungsmaßnahmen, ist langwierig. Was wir jetzt aber brauchen, sind schnelle Lösungen. Im Vordergrund steht, dass Polizei, Rettungskräfte und Feuerwehr gerade in der Silvesternacht bestmöglich geschützt werden müssen. Als Sofortmaßnahme kommt für mich die erhebliche Ausdehnung von Feuerwerksverbotszonen in Frage, also die Definition bestimmter Bereiche, wo Pyrotechnik gefährlich ist und nicht genutzt werden darf. Diese Bereiche müssten den Menschen klar kommuniziert werden. Das müssten die Städte und Gemeinden bis zum nächsten Silvester auch hinbekommen.
In Köln ist das zum Beispiel seit einigen Jahren bereits das Gebiet rund um den Dom. An welche Bereiche denken Sie noch?
Natürlich ist eine Verbotszone am besten dort durchsetzbar, wo es Einlasskontrollen gibt. Aber ich denke auch an Wohngebiete. Gerade in Großstädten, wo die Bebauung sehr dicht und hoch ist, wo große Menschenmengen zusammenkommen, da dürfte eigentlich überhaupt kein Feuerwerk gezündet werden. In den meisten Städten dieser Welt gibt es nur zentrale und keine individuellen Feuerwerke, zum Beispiel in Sydney, aber auch in Europa.
Wäre das nicht ein kaum zu leistender Aufwand für Polizei und Ordnungsdienst, in der Silvesternacht herumzufahren und zu kontrollieren, ob in dieser oder jener Wohnstraße gegen das Böllerverbot verstoßen wird?
Das ist richtig. Aber das Problem gibt es in vielen Bereichen. Viele Verbote können umgangen werden, ob es um Betäubungsmittel geht oder um Einfuhren beim Zoll. Dagegen hilft nur eines: präsent sein. Die Präsenz von Polizei und Ordnungskräften weiter zu erhöhen, wird auch in Zukunft das Thema in den Städten sein. Und: Welche Alternativen haben wir? Bislang gibt es doch nur die Gebrauchsanweisung, eine Rakete in eine Flasche zu stellen und steil in die Luft steigen zu lassen. In einer Verbotszone aber können Einsatzkräfte sofort und unter klaren Bedingungen einschreiten.
Mit großflächigen Verbotszonen träfe man auch Privatleute, die verantwortungsvoll Feuerwerk abbrennen, dies künftig dann aber womöglich nicht mehr dürften, zumindest nicht vor der eigenen Haustür.
Man könnte überall dort, wo bestimmte Bedingungen gegeben sind, privates Feuerwerk zulassen, um nicht gleich von vornherein alles zu verbieten. Aber auch diese Bereiche müssten die Städte und Gemeinden vorher klar kommunizieren, damit sich die Bürgerinnen und Bürger darauf einstellen können.
Intensiv wird zurzeit darüber debattiert, wer die Silvester-Täter in Berlin und anderswo waren und woher sie stammen. Dieselbe Debatte gab es in Köln nach der Silvesternacht 2015/16, in der massenhaft Menschen vor dem Hauptbahnhof sexuell belästigt, beraubt und bedroht wurden. Welche Rolle spielt ein Migrationshintergrund bei diesen Taten?
Unsere Erfahrungen aus der Kölner Silvesternacht ein Jahr später, also 2016/2017, haben gezeigt, dass damals sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund betroffen waren von polizeilichen Maßnahmen. Ich hatte seinerzeit eine Arbeitsgruppe eingerichtet und diese Zusammenhänge dezidiert untersuchen lassen. Dazu wurden auch Wissenschaftler und Sozialarbeiter befragt. In der jetzigen Debatte ist in den Medien zu lesen, dass zu mehr als 70 Prozent, teilweise auch zu mehr als 80 oder 90 Prozent Männer mit Migrationshintergrund beteiligt waren. Das Ergebnis unserer Untersuchungen von 2017 ist also offenbar immer noch aktuell.
Zu welchen Schlussfolgerungen kam Ihre Arbeitsgruppe?
Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass es keine organisierte Anreise dieser jungen Männer nach Köln gab. Wahrscheinlich wird das jetzt in Berlin und in den anderen Städten ähnlich gewesen sein. Viele werden sich mehr oder weniger spontan dazu entschieden haben: Wir feiern Silvester in dieser oder jener Stadt, da ist etwas los, da fahren wir hin – und haben das untereinander über soziale Medien mitgeteilt.
Was schlagen Sie vor?
Wir sprechen immer über Integration und Sozialisierung, aber ich frage mich: Machen wir die Regeln auch hinreichend bekannt? Wir haben 2017 festgestellt, dass es wichtig ist, früh zu kommunizieren, möglichst in mehreren Sprachen und in verschiedenen Städten, wie hier in Deutschland Silvester gefeiert wird. Dass es eben nicht erlaubt ist, Raketen und Böller auf andere zu werfen. Um auch Personen mit Flüchtlingshintergrund zu erreichen, müssen diese Informationen gezielt auch in Asylunterkünfte gegeben werden. Es würde sich in vielen Städten anbieten, in größerem Umfang als bisher sogenannte Kulturmittler einzusetzen, damit diese unter anderem auch richtiges Verhalten an Silvester erklären. Man könnte jetzt sagen, es müsste sowieso jeder wissen, welche Verbote bestehen, aber trotzdem ist klare Kommunikation mit Hinweisen darüber erfolgskritisch. Man könnte außerdem überlegen, an Silvester Angebote zu unterbreiten, Bereiche zu schaffen, wo gefeiert werden kann. Möglicherweise ein zentrales Feuerwerk anzubieten.
Abgesehen von den Ausschreitungen an Silvester zieht die Polizei vor allem an den bekannten Feierhotspots auch in Köln immer wieder Messer und andere Waffen aus dem Verkehr. Daran ändern offensichtlich auch die neuen Waffenverbotszonen nichts. Was ist zu tun?
Eigentlich braucht man keine Waffenverbotszonen, weil es komplett widersinnig ist, überhaupt mit Waffen herumzulaufen. Die ganze Stadt sollte eine Waffenverbotszone sein. Ich erkenne keinen vernünftigen Anlass, warum junge Männer mit Messern durch die Gegend laufen sollten. Denen geht es ja nicht darum, sich unterwegs einen Apfel zu schälen, sondern sie als Waffe einzusetzen. Auch eine Schreckschusswaffe hat nur eines zum Ziel: andere zu bedrohen. Ich teile die Auffassung des Bundesinnenministeriums und von NRW-Innenminister Herbert Reul, dass das Waffenrecht weiter verschärft werden muss. Für mich ist es eindeutig: Die Erlaubnis, in der Öffentlichkeit eine Waffe zu tragen, haben nur Angehörige der Sicherheitsbehörden, insbesondere die Polizei, darüber hinaus einige wenige, ausgewählte und zuverlässige Personen, deren Funktion es erfordert. Alles andere sollten wir ausschließen.