Am Samstagabend ist der Geisterzug durch Köln gezogen. Der Zug ist traditionell immer auch eine Demo.
Trommeln, Samba, Grusel-SchminkeWarum der Kölner Geisterzug mehr als Karneval ist
Willi Ostermann geht stoisch vor den Monstern, Geistern und lebenden Toten vorweg, wie ein einsamer Anführer der gruseligen Gestalten, die ihm folgen. Dabei singt er seine Lieder: Wie kütt die Mösch, die Mösch, die Mösch, bei uns en die Kösch?
Gut, es ist nicht wirklich Willi Ostermann, sondern Erich Hermans. Er ist Zugleiter des Jeisterzochs, der am Samstagabend ab 19 Uhr durch Köln zog, in diesem Jahr durch Riehl, Niehl und Nippes. Start war der Platz zwischen Zoo und Flora, das Ziel der Wilhelmplatz in Nippes, wo die Abschlusskundgebung stattfand.
Der Kölner Geisterzug ist traditionell auch eine Demonstration
Der Geisterzug ist nämlich keine reine Karnevalsveranstaltung, sondern seit jeher eine öffentliche Versammlung. Seit 2020 handelt es sich um eine angemeldete Demonstration. Das ist auch der Grund dafür, dass der Geisterzug anders als zuvor üblich bereits am Samstag vor Karneval durch die Straßen zog: An den Karnevalstagen selbst sind keine Demonstrationen erlaubt.
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Das politische Motto in diesem Jahr: „Fastelovend es för All, – halal, koscher un liberal – mir fiere politisch“. „Wir möchten die Leute, die hier leben und nicht christlich groß geworden sind, dazu motivieren, mit uns zusammen zu feiern. Damit man sich auch über die Unterschiede der verschiedenen Religionen austauschen und sich gegenseitig besser kennenlernen kann“, sagt Hermans. Dem Zug angeschlossen hat sich etwa die Kölner Jüdisch Liberale Gemeine Gescher LaMassoret, die am Wegesrand ein Geigensolo zeigte.
Solch zarte Klänge waren beim Geisterzug jedoch die Ausnahme. Wie es sich für eine Demo gehört, war der Jeisterzoch nämlich ordentlich laut. Sambagruppen und Trommler machten jede Menge Lärm, und wer als Teilnehmer kein Instrument dabei hatte, hämmerte eben auf Kochtöpfe: Hauptsache laut und analog – Lautsprecher gab es nicht.
Mitmachen darf hier traditionell jeder und jede, eine Anmeldung ist nicht erforderlich – auch das ein Vorzug dessen, dass der Jeisterzoch offiziell eine Demonstration ist. Und so sieht man zwischen den unheimlich-spektakulär kostümierten Jecken auch Kinder mit Rollern, Erwachsene mit Fahrrädern, Menschen im Rollstuhl und Eltern mit Kinderwagen, mit und ohne Kostüm. „Jeder kann bei uns demonstrieren für das, was ihm wichtig ist – oder auch dagegen“, sagte Hermans. Das Netzwerk für Tiere Köln etwa protestierte unter dem Motto „Mir Jecke bruche kein Pääder beim Fasteleer“ gegen Pferde beim Rosenmontagszug. Statt Kamelle wird Infomaterial verteilt.
Kölner Geisterzug: Gedenken an Ukraine, Türkei, Syrien und Iran
Um die 3.500 Teilnehmer marschierten mit, schätzte die Polizei vor Ort. Immer wieder schlossen sich neue Teilnehmer an, bis der Zug an seinem Ziel ankam. Bei der anschließenden Abschlusskundgebung auf dem Wilhelmplatz erinnerte Hermans an den politischen Hintergrund des Jeisterzochs: „Deswegen müsst ihr euch jetzt auch noch ein paar Reden anhören.“ Zuvor jedoch bat er um eine Schweigeminute für die Opfer des Kriegs in der Ukraine und des verheerenden Erdbebens in der Türkei und in Syrien; die Trommeln verstummen für einen Moment.
Die anschließenden Reden von Vertretern des Vereins der Liberalen Juden, der Initiative Maria 2.0., die sich für eine Aufklärung der Missbrauchsskandale in der Katholischen Kirche einsetzt und des Vereins MCC – Kirche mit/für Vielfalt ernteten Jubel und Applaus.
Besonders bewegend aber war der Auftritt von Rosa von „Frau Leben Freiheit“ zur Lage der Frauen im Iran. „Ich liebe Köln“, sagte Rosa, die ihren Nachnamen aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich machen will. „Hier können wir zusammen anstoßen und Kölsch trinken. Im Iran würden wir damit Peitschenhiebe riskieren. Mindestens 75 – um genau zu sein.“
Die Stille auf dem Wilhelmplatz wurde während ihrer Rede immer wieder von Applaus und zustimmenden Zwischenrufen durchbrochen. „Wir kämpfen für sie weiter. Wir werden ihre Stimme sein“, rief Rosa ins Mikrofon. „Bis alle Menschen im Iran (...) endlich frei sind. Frei wie du und ich. Frau, Leben, Freiheit!“ Die Kostümierten klatschten und jubelten, Rosa reckte die Faust in die Luft. Es verdeutlichte einmal mehr, dass der Geisterzug ein ganz besonderer Karnevalsumzug ist.
Über den Kölner Geisterzug
Den Geisterzug gibt es in der heutigen Form seit 1991, er entstand damals aus einer Anti-Golfkrieg-Demo, die schon vor 32 Jahren Zugleiter Erich Hermans initiierte. Ursprünglich war der Zoch eine Tradition aus dem Mittelalter, die Hermans zu diesem Anlass wieder aufleben lassen wollte. Der Zugweg ist in jedem Jahr ein anderer, der Geisterzug versteht sich immer auch als eine Art Stadtführung und führt daher auch durch Veedel, in denen die Teilnehmer und Zuschauer seltener vorbeischauen.