Nach zwei Jahren Corona ist das Ensemble der alternativen Karnevalssitzung zurück im Kölner E-Werk. Die Premiere im Advent wurde mit stehenden Ovationen gefeiert.
„Des Teufels Kardinal“Kölner Stunksitzung keilt nicht nur gegen Woelki – So war die Premiere
„Endlich Fastelovend!“ singt „Köbes Underground“-Frontmann Ecki Pieper dem vollbesetzten E-Werk zur Melodie von „Let me entertain you“ entgegen. Es ist die Premiere der Stunksitzung, und noch vor dem eigentlichen Intro „1980-f“ stimmen die „Stunker“ mit ihrer Hausband das Publikum auf die erste reguläre Session nach zwei Jahren Corona-Zwangspause ein. Die Spielfreude ist sowohl der Band, dem Ensemble, als auch Sitzungspräsidentin Biggi Wanninger deutlich anzumerken. „Wir freuen uns wie jeck, dass wir wieder spielen dürfen“, sagt Wanninger.
In Zeiten multipler Krisen wie Corona, dem Ukraine-Krieg und der Klimakatastrophe hoffe man auf bessere Nachrichten für das kommende Jahr: „Auf dass die Revolution im Iran gelingen möge – und die Frauen dort Weiberfastnacht einführen und den Mullahs die Bärte abschneiden!“ Kann man so stehen lassen.
„Kompost Putin“ hat den „Kölsch Stream 1“ abgestellt
Die Stunksitzung ist zurück, und sie bleibt bissig. Kein großes Thema unserer Zeit wird ausgespart. Es geht um Feminismus, Gendern, die Klima-Krise, das Erzbistum, die Energie-Krise, den Ukraine-Krieg. Besonders gut gelingt die Abbildung der aktuellen politischen Lage im „Hänneschen Welttheater“. Dort streiten sich die Weltpolitikerinnen und Weltpolitiker im „UN Vereinslokal“ des Kleingartenvereins, weil „Kompost Putin“ (Bruno Schmitz) den „Kölsch Stream 1“ abgestellt hat und den Garten vom „Schellenski“ für sich vereinnahmen will.
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Die Situation schaukelt sich hoch: das „Bärbockchen“ (Doris Dietzold) traut sich nicht ganz einzuschreiten; wenn „Bubi Scholz“ (Didi Jünemann) spricht, schlafen alle ein; und sowohl das „Merkelchen“, Präsident „Schleimmeier“ und Ex-Kanzler „Schröderkowski“ wollen in der Vergangenheit nichts falsch gemacht haben. Am Ende stehen sich China und Russland sowie die Ukraine und die USA bewaffnet gegenüber. Doch statt Schüsse kommen aus den Gewehren Blumen geflogen. „Wenn es doch alles so einfach wäre, wie im Hänneschen Theater“, sagt Speimanes Martina Klinke. Das Publikum seufzt zustimmend.
Dabei werden auch die Stunksitzungsbesucherinnen und –besucher selbst vom Spott nicht verschont. Der Spiegel wird auch dem Publikum vorgehalten, das sich vielleicht für besonders aufgeklärt halten mag. In „Zurück aus der Zukunft“ reisen Martina Bajohr, Bruno Schmitz und Christian Rzepka aus dem Jahr 2070 an und schwelgen in Erinnerungen an das Jahr 2027, in dem man zu Fuß durch den Rhein gehen konnte, weil er so ausgetrocknet war, Thüringen und Sachsen sich als ungarische Teilrepubliken abspalteten und der FC Champions-League-Sieger wurde – Gejohle im Saal.
Die Gäste aus der Zukunft berichten aber auch von ausgestorbenen Eisbären oder einem untergegangenen Venedig. Am Publikum der Stunksitzung könne es ja aber wohl kaum liegen: „Hier hat bestimmt keiner einen Amazon-Account, alle sind heute mit Bus und Bahn angereist, und Fleisch esst ihr auch nur ganz, ganz selten!“
Kölns nachhaltigstes Bühnenbild ist aus Wolle und handgestrickt
Dass die Stunksitzung es mit der Nachhaltigkeit selbst besser machen will, zeigt sich im Stück „Wolle“: Sowohl das komplette Bühnenbild, das eine Unterwasser-Welt im Rhein zeigt, als auch alle Kostüme sind per Hand gestrickt. Das sieht nicht nur fantastisch aus, sondern lässt sich am Ende der Session auch wieder „rückabwickeln“.
Die stärksten Nummern befinden sich eindeutig in der ersten Hälfte des Abends. Aus stadtpolitischer Sicht widmet man sich dem wohl umstrittensten Thema: dem Verkehr. Es treffen „bis aufs Blut verfeindete Gruppen“ aufeinander: Radfahrende, E-Scooter-Fahrer, Fußgängerinnen, Autofahrer. Selbst der Verkehrsdezernent (Didi Jünemann) rastet am Telefon mit Henriette Reker aus: „Ich wünsche mir doch einfach nur eine Untertunnelung von Rodenkirchen bis nach Niehl, eine Rheinpromenade nur für Fußgänger, eine funktionierende U-Bahn! Sie nennen das utopisch? Ich nenne das Düsseldorf!“
Einige Nummern haben die Stunker aus dem fertigen Programm des letzen Jahres recycelt. Die waren bisher aber nur in den „Mitternachtsspitzen“ und auf der Volksbühne zu sehen. Aktuell sind sie bei der E-Werk-Premiere immer noch. So „Des Teufels Kardinal“, in der Woelki gemeinsam mit dem Teufel versucht, alle Katholiken aus der Kirche zu vertreiben, oder „Krieg der Sternchen“, in der Prinzessin Leia (Martina Klinke) und die transgeschlechtliche Luke/Lucy Skywalker (Christian Rzepka) für eine geschlechtergerechte Sprache kämpfen.
Dass es lohnt, sie noch einmal auf die Bühne gebracht zu haben, zeigt die Reaktion des Publikums. Nicht ganz zünden mag im großen Saal hingegen die Steffen-Baumgart-Imitation von Bruno Schmitz, der die Bundespolitiker vehement anfeuert, aber allein auf der Bühne etwas verloren wirkt.
Zum Ende hin verlieren die Stunker nach einem fulminanten Start etwas den Schwung, Nummern wie „Pflege“ oder „Deutsche Bahn“ ziehen sich. Gelungen in der zweiten Hälfte sind hingegen „Das Grünste Gericht“, die Winfried-Kretschmann-Parodie von Doro Egelhaaf, die final zum Wassersparen den Waschlappen besingt und Biggi Wanningers verquere Rede als „Thinktank“ Stivvels-Jupp.
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Generell sind die musikalischen Darbietungen wie immer ein Highlight: Für den Mülltrennungs-Song „Tonne“, angelehnt an Rammsteins „Sonne“ von Ozan Akhan, Winni Rau und Köbes Underground wird eine Zugabe verlangt, auch das „Tambourkorps Heisterbacherrott“, das für einen Auftritt beim Heavy-Metal-Festival Wacken probt, wird vom Publikum gefeiert. Zum großen „Ukulele-Finale“ verabschiedet sich das Ensemble. Eine gelungene Premiere in eine endlich wieder normale Session.
Stunksitzung, E-Werk, Schanzenstraße, Köln-Mülheim. Es gibt noch Karten für einige Termine, eine Übersicht gibt es unter www.koelnticket.de/stunksitzung-tickets. Der WDR zeigt am 6. Februar 2023 um 22.10 Uhr Ausschnitte und die gesamte Sitzung in der Nacht auf Karnevalssonntag am 18.2. um 0.15 Uhr.