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„Schäden billigend in Kauf genommen“Neun Jahre Haft nach Brandanschlag auf SEK-Beamte in Köln

Lesezeit 4 Minuten
Der Angeklagte mit Verteidigerin Karin Bölter und zwei Wachtmeistern beim Prozessauftakt im Kölner Landgericht

Der Angeklagte mit Verteidigerin Karin Bölter und zwei Wachtmeistern beim Prozessauftakt im Kölner Landgericht

Der Urteilsspruch lautete auf versuchten Mord in sieben Fällen, besonders schwere Brandstiftung und gefährliche Körperverletzung.

In völliger Panik wäre ein SEK-Beamter beinahe aus dem Fenster eines verrauchten Treppenhauses gesprungen, um dem wohl sicheren Erstickungstod zu entgehen. In letzter Minute wurde der Elitepolizist durch die Feuerwehr gerettet. Dass es in dem Mehrfamilienhaus neben dem Görlinger Zentrum in Bocklemünd zuvor zu einer Explosion und der Ausbreitung von Feuer gekommen war, lag laut Landgericht am Bewohner im zweiten Stock. Der 57-Jährige muss nun für neun Jahre ins Gefängnis.

Köln: Gasflasche für Schrebergarten als Tatwaffe

Der Urteilsspruch am Mittwoch lautete auf versuchten Mord in sieben Fällen, besonders schwere Brandstiftung und gefährliche Körperverletzung. Die Vorsitzende Richter Sabine Kretzschmar: „Er nahm Schäden an Personen und am Wohnhaus billigend in Kauf.“ Der Gefahr des von der eigentlich für Schrebergarten vorgesehenen Gasflasche als Tatwaffe sei der Angeklagte sich sehr bewusst gewesen. „Beim Transport verzichtete er aufs Rauchen“, stellte die Richterin fest. Entlarvend sei es gewesen, dass er kurz vor angekündigt habe, in die Geschichte eingehen zu wollen. Offenbar mit einem großen Knall.

Die Staatsanwältin hatte in ihrem Plädoyer vergangene Woche bereits von einem zielgerichteten Vorgehen des früheren Schlossers und Gerüstbauers gesprochen und acht Jahre Haft gefordert. Es sei dem Zufall geschuldet gewesen, dass es zu keiner Tragödie mit toten SEK-Beamten gekommen sei. Auch hätten die zwei von Rauchgasvergiftungen betroffenen Polizisten keine bleibenden Schäden davongetragen.

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Köln: Der Freundin mit dem Entzünden einer Gasflasche gedroht

Seinen Ursprung hatte das Geschehen aus dem vergangenen November offenbar durch paranoides Erleben, hervorgerufen durch eine hirnorganisch bedingte, allerdings kurz zuvor abgeklungene Psychose. Daher ging auch das Gericht von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit aus. Die Lebensgefährtin des Mannes hatte beim Prozess im Zeugenstand berichtet, dass ihr Freund sich in den Tagen vor dem Vorfall merklich verändert hatte. Er habe verschlossen gewirkt, zuletzt nur noch auf dem Sofa gesessen und an die Wand gestarrt.

In der Tatnacht sei sie dann plötzlich von einem komischen Geruch aufgewacht, hatte die Zeugin erklärt. „Ich hörte das Zischen einer Gasflasche“, beschrieb sie die Situation. Dann habe der Mann zu ihr gesagt: „Ich nehme dich mit.“ In den Tod, meinte er damit offenbar. Die Lebensgefährtin hatte die Fenster der Wohnung aufgerissen, war schließlich geflüchtet. Die Polizei wurde verständigt, das Sondereinsatzkommando (SEK) rückte an. Die Beamten postierten sich zunächst im Treppenhaus.

Zugriff nach zweieinhalb Stunden

Etwa zweieinhalb Stunden vergingen, bis sich die Einsatzleitung zum Zugriff entschieden hatte. Offenbar unterschätzten die Beamten die Gefahr, obwohl ein Gaswarngerät im Einsatz war, das aber nicht angeschlagen hatte. Die Polizisten trugen keine Atemschutzmasken und auch die übrigen Bewohner des Wohnhauses waren nicht komplett evakuiert worden. Welche Taktik dahinter steckte, wollte der Einsatzleiter im Zeugenstand nicht verraten.

Nach einer von den Beamten gelesenen Chatnachricht an die Lebensgefährtin – „Ich bin eh tot! – hatten die SEK-Beamten gehandelt und vom Balkon ein Stockwerk tiefer zwei Blendgranaten gezündet, gleichzeitig schossen Kollegen die Wohnungstür auf.

Köln: SEK-Beamte trafen in Wohnung auf Feuerwalze

Im Moment der Erstürmung hatte der Bewohner laut Urteil das Gemisch aus der Gasflasche angezündet, ein Sofa im Wohnzimmer brannte sofort lichterloh. Während die übrigen SEK-Beamten vor dem Feuer und den Rauchschwaden flüchten konnten, war ein Kollege im Treppenhaus eingeschlossen. Der junge Familienvater wollte in Todesangst aus einem Fenster aus etwa acht Metern Höhe springen. „Warte!“, schrie ihn der Einsatzleiter an. Dann rettete ihn die Feuerwehr mit einer Drehleiter.

Vor dem Geschehen war der Angeklagte, der Bürgergeld bezog, mit Äußerungen mit Reichsbürgerjargon aufgefallen. „Er ist skeptisch, ob der Staat existiert, bei der Annahme von staatlichen Leistungen ist er aber weniger skeptisch“, kommentierte das die Richterin. Mehrfach wurde der Mann wegen Angriffen und Beleidigungen zum Nachteil von Polizisten verurteilt. Die Richterin attestierte dem 57-Jährigen generell einen „schlechten Stil“ im Umgang mit Polizeibeamten.

Rechtskräftig ist das Urteil des Landgerichts noch nicht, es besteht die Möglichkeit der Revision zum Bundesgerichtshof. Verteidigerin Karin Bölter hatte im Plädoyer eine milde Bestrafung gefordert, etwa sei es für den Mandanten nicht absehbar gewesen, dass sich das Feuer so rasant in der Wohnung ausbreiten würde. Im letzten Wort hatte sich der 57-Jährige für seine Tat entschuldigt. Er selbst war vor der Feuerwalze geflüchtet und vom Balkon gesprungen. Nach einem komplizierten Beinbruch wurde ihm schließlich der linke Unterschenkel amputiert.