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Kölner Protest gegen Rechtsextreme40.000 oder 75.000 – wer zählt die Teilnehmer von Demonstrationen?

Lesezeit 4 Minuten
Zehntausende Menschen ziehen am Samstag, 25.1., vom Heumarkt durch die Innenstadt, um gegen den Rechtsruck im Land zu demonstrieren.

Zehntausende Menschen ziehen am Samstag, 25.1., vom Heumarkt durch die Kölner Innenstadt, um gegen die AfD und den Rechtsruck im Land zu demonstrieren.

„Köln stellt sich quer“ will am Samstag mindestens 75.000 Demoteilnehmer gesehen haben, die Polizei schätzt eher die Hälfte.

Wie viele Menschen haben am Samstag auf dem Heumarkt und in der Innenstadt gegen die AfD und den Rechtsruck in Deutschland demonstriert? Mehr als 75.000, wie die Veranstalter sagen? Eher die Hälfte, wovon die Polizei ausgeht? Wie kommen die unterschiedlichen Zahlen zustande? Hier sind die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie kommt das Bündnis „Köln stellt sich quer“ auf mindestens 75.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer?

Man habe sich die Demonstrationen auf dem Kölner Heumarkt und der Deutzer Werft vor einem Jahr als Referenz genommen, sagt der Kölner DGB-Chef Witich Roßmann von „Köln stellt sich quer“. Am 16. Januar 2024 hatten auf dem Heumarkt 30.000 Menschen gegen die AfD demonstriert, fünf Tage später waren es auf der Deutzer Werft sogar 70.000. Beide Teilnehmerzahlen wurden damals von den Veranstaltern kommuniziert und von der Polizei im Wesentlichen bestätigt. Am vorigen Samstag nun habe man diese Erfahrungswerte als Grundlage genommen, um die Teilnehmerzahl in der Innenstadt zu schätzen, sagt Roßmann. Während der Kundgebung hatte er der Menge zugerufen: „Die Polizei zählt jetzt mithilfe einer Drohne. Wir akzeptieren keine Zahl unter 75.000.“

Was sagt die Polizei dazu?

Die ließ tatsächlich eine Drohne aufsteigen, vor allem, um den Menschenstrom von oben zu beobachten und die Sicherheitslage einzuschätzen. Aber auch, um ein Gefühl für die ungefähre Teilnehmerzahl zu bekommen. In der Spitze, so ist zu vernehmen, schätzte die Polizei die Teilnehmerzahl auf ungefähr 40.000. Offiziell spricht die Behörde bis heute allerdings nur von „mehreren zehntausend“, genauer will man in der öffentlichen Kommunikation nicht werden. Das ist nicht ungewöhnlich, grundsätzlich teilt die Polizei Köln keine Teilnehmerzahlen von Demos oder Versammlungen mit.

Zu den Gründen erklärt Polizeisprecher Christoph Gilles: „Ein potenzieller Dissenz mit jeweiligen Verantwortlichen der Versammlung, deren kommunizierte Teilnehmerzahlen häufig von den polizeilichen Schätzungen abweichen“, liege nicht im Interesse der Polizei. Die geschätzte Teilnehmerzahl diene ausschließlich internen Zwecken, nämlich der „Bewältigung der Einsatzlage“.

Warum klaffen die Zahlen von Veranstalter und Polizei oft so weit auseinander?

Grundsätzlich nennen Anmelder oft höhere Zahlen als die Polizei– zum Beispiel, um für ihre Veranstaltung zu werben oder um im Überbietungswettbewerb mit Demos in anderen Städten vorne zu liegen. Jörg Detjen, der für die Linksfraktion im Kölner Stadtrat sitzt und schon unzählige Demos angemeldet hat, sagt: „Linke Menschen zählen oft die Füße, nicht die Köpfe.“ Er dagegen sei Realist und wolle wissen, wie viele Menschen tatsächlich da waren.

Lassen sich Teilnehmerzahlen überhaupt seriös ermitteln?

Höchstens annäherungsweise, etwa wenn man weiß, wie viele Menschen maximal auf einen bestimmten Platz passen. Oder wenn man davon ausgeht, dass im Schnitt zwei Personen auf einem Quadratmeter stehen und das entsprechend hochrechnet. Aber auch das können immer nur Schätzungen sein.

Für die Demo am Samstag hatte „Köln stellt sich quer“ 5000 erwartete Teilnehmer bei der Polizei angemeldet. Aber war nicht früh klar, dass es vermutlich viel mehr werden?

Hinter vorgehaltener Hand berichten erfahrene Veranstalter von Demonstrationen, dass sie bei der Anmeldung bewusst eine eher niedrige Zahl angeben, damit sie in der Innenstadt demonstrieren können. Mit dem Dom im Hintergrund verbreiten sich die Bilder später besser. Zudem sähe es „schon sehr mickrig“ aus, würde man sich im Vorfeld verschätzen und sich am Ende nur ein paar hundert Menschen auf der 70.000 Personen fassenden Deutzer Werft verlieren, sagt einer. Das Problem: In der City ist es eng, allzu große Menschenmassen finden da keinen Platz. DGB-Chef Roßmann sagt, für die Veranstalter sei es „ausgesprochen schwierig“, die erwartete Teilnehmerzahl richtig einzuschätzen. „Wir arbeiten ja nicht mit Anmeldungen und verkaufen auch keine Eintrittskarten.“

Aber: Die Polizei prüft die angemeldete Teilnehmerzahl aus Sicherheitsaspekten meist sowieso noch einmal auf Plausibilität. Kommt die Behörde zu dem Schluss, dass eine Versammlung wohl zu groß wird, um etwa auf dem Neumarkt oder dem Chlodwigplatz stattfinden zu können, bestätigt sie die Anmeldung nicht – und versucht stattdessen, die Veranstalter von einem alternativen, größeren Ausweichplatz zu überzeugen.