Köln – Mit einer bemerkenswerten Rede hat die Kölner SPD-Parteichefin, Christiane Jäger, ihre Genossen dazu aufgefordert, die parteiinternen Streitigkeiten zu beenden. „Ich werde hier nicht wie Annegret Kramp-Karrenbauer die Vertrauensfrage stellen“, sagte sie in Anspielung auf den CDU-Bundesparteitag in Leipzig. „Aber eins ist klar: Ein ,Weiter so‘ kann es nicht geben, wird es mit mir nicht geben.“ Man müsse zurück zu einem fairen und respektvollen Umgang finden. Nur so werde man kraftvoll in die Kommunalwahl im nächsten Jahr gehen können. „Wir können nicht Solidarität predigen und einfordern und sie selbst nicht praktizieren.“
Vergewaltigungsvorwürfe ließen Streit eskalieren
Jäger bezog zur Überraschung der meisten Delegierten beim Kölner SPD-Parteitag, der sich am Samstag in Chorweiler traf, sehr offen Stellung zum Umgang mit den Vergewaltigungsvorwürfen gegen einen hochrangigen SPD-Funktionär.
Von der Jugendorganisation der SPD, den Kölner Jusos, aber auch von Gegnern im eigenen Parteivorstand wurde Jägers Vorgehen kritisiert, die den Persönlichkeitsschutz des mutmaßlichen Täters und der Anzeigeerstatterin zum wichtigsten Gebot im Umgang mit den Vorwürfen gemacht hatte. Parteiführung und Fraktionsführung im Rathaus hatten höchst unterschiedlich auf die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft reagiert.
Die Vergewaltigungsvorwürfe haben offensichtlich einen Streit um Macht und Einfluss in Partei und Fraktion eskalieren lassen, der nach dem Rückzug des mächtigen, langjährigen Führungsduos Martin Börschel und Jochen Ott ausgebrochen war.
Ermittlungen belasten Parteiarbeit
Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft noch nicht entschieden hat, ob sie Anklage erhebt oder das Verfahren einstellt, belastet die kommunalpolitische Arbeit seit Monaten. Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hieß es vor dem SPD-Parteitag am Wochenende, dass noch unklar sei, ob es überhaupt zu einer Zeugenvernehmung kommen wird.
Die Behörde ermittelt weiterhin sowohl gegen den SPD-Funktionär wie auch gegen die Anzeigeerstatterin, deren Handy beschlagnahmt wurde, um Chats, Mails und Einträge in sozialen Medien zu überprüfen. „Die SPD kämpft seit 150 Jahren für den Rechtsstaat“, so Jäger am Samstag in Chorweiler. Da müsse man „aushalten können“, wenn dieser seine Arbeit macht, „auch wenn es schwer fällt“.
„Wir haben Bock auf Inhalte"
Nach Jägers offenen Worten reagierten einige der indirekt Kritisierten, in dem sie den Appell für einen besseren Umgang unterstützten. „Das, was wir erlebt haben, darf nicht fortgesetzt werden“, sagte Fraktionschef Christian Joisten, der sich seinerseits seit Monaten wegen seines Führungsstils in der Fraktion Kritik ausgesetzt sieht.
Etwas schwerer taten sich die Jusos, die in den vergangenen Wochen mit einem Wahlkampfboykott und einer Veröffentlichung des Namens des mutmaßlichen Vergewaltigers gedroht hatten. Juso-Chefin Lena Snelting verteidigte die umstrittene Juso-Kampagne in den sozialen Medien, beteuerte aber, „das gleiche zu wollen“, was es Jäger gefordert hatte. „Wir haben vor allem Bock auf Inhalte“, so Snelting.
Bezahlbarer Wohnraum soll wichtigstes Thema werden
Von diesen Inhalten gab’s auf dem Parteitag eine ganze Menge: Die SPD verabschiedete bereits jetzt ihr Wahlprogramm für die Kommunalwahl im nächsten September, das nach einem breiten Beteiligungsverfahren mit Hunderten Mitgliedern entstanden war. Das Thema Nummer Eins soll bezahlbares Wohnen in der Stadt werden. Die Quoten für den sozialen Wohnungsbau sollen erhöht, "soziale Vermieter" gefördert werden. Die Stadt dürfe ihre Grundstücke nicht mehr zu Höchstpreisen verkaufen. Unter der Überschrift "Wir denken groß" wird unter anderem ein sozial-ökologisches Hochhauskonzept " vorgeschlagen. Die Stadt könne "an geeigneten Stellen in die Höhe wachsen, ohne die soziale Spaltung zu fördern".
Kostenloser Nahverkehr für alle Schüler
Die SPD will für kostenfreie Kitas und Ganztagsschulen werben, desweiteren fordert sie unter anderem die Einführung eines 365-Euro-Jahresticket für den Nahverkehr.Schüler sollen überhaupt nichts mehr für die Nutzung von Bussen und Bahnen bezahlen müssen. Ungewöhnlich ist der neue Stil des Programms. Die Kölner Wähler werden im ersten Entwurf geduzt, manche Formulierung kommt recht locker daher („Zusammen leben. Aber hallo!“).