Früher machte Jürgen Becker sich über Politiker in seinen Programmen lustig, heute wirbt er für Verständnis.
Jürgen Becker über Kabarett und Populismus„Monika Gruber und Dieter Nuhr schießen wild und ungezielt um sich“
Herr Becker, Ihr Kabarett hat sich verändert: Früher haben Sie sich oft und bissig über die Fehler der Politik lustig gemacht. Inzwischen sagen Sie, dass sie die Politik eher in Schutz nehmen müssten. Gab es einen Moment, an dem Sie gedacht haben: Meine Rolle muss eine andere sein?
Jürgen Becker: Das geschah, als die AfD stärker wurde, 2015/16, als viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen und Angela Merkel für ihren „Wir-schaffen-das“-Satz verbal verprügelt wurde. Da habe ich gemerkt, dass es mir gegen den Strich geht, wie viele einfach draufdreschen und sagen: Du kannst alle Politiker in einen Sack stecken und triffst immer den richtigen. Es gab plötzlich massenweise Kritik, die völlig unter der Gürtellinie war, populistisch und menschenfeindlich.
Und da wollten Sie gegensteuern?
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In gewisser Weise ja. Ich habe gespürt, dass wir uns von der Attitüde verabschieden müssen, eigentlich gegen die Gesellschaft zu sein. Nun müssen wir Sie verteidigen, sonst droht etwas zu kippen. Wir sollten den Feinden der Demokratie nicht das Wort reden. Die Finger in Wunden legen, das ist unsere Aufgabe als Kabarettisten, wir müssen kritisieren, wenn die Politiker unserer Meinung nach etwas falsch machen, aber nicht mehr so pauschal und auch nicht mehr so brutal, differenzierter.
Würden Sie sagen, politisches Kabarett, hatte immer auch populistische Elemente – sollte sich aber in Zeiten wie diesen lieber davon verabschieden?
Man hatte das Wort Populismus als Kabarettist gar nicht im Kopf früher – aber im Nachhinein würde ich die Art, wie wir uns lustig gemacht haben, schon auch als populistisch bezeichnen, ja.
Wie gucken Sie auf Kolleginnen und Kollegen wie Monika Gruber und Dieter Nuhr, die schonmal den rechtsextremen Björn Höcke mit Luisa Neubauer von Fridays for Future vergleichen oder eine Frau mit Migrationshintergrund in den Kontext einer Nazi-Jugendorganisation stellen?
Dass Nuhr Neubauer mit diesem Nazi verglichen hat, ist unsäglich. Gruber und Nuhr schießen wild und ungezielt um sich – ich würde das als klassischen Populismus bezeichnen. Wenn die beiden die extreme Linke mit den Rechtsextremen vergleichen, liegen sie sicher falsch, denn wenn wir gerade ein Problem nicht haben, dann stark werdenden Linke oder Linksradikale. Ich glaube, das Beste an Nuhr ist, dass man jedem Rechten, der meint „ARD und ZDF sind rot-grün-versifft“ antworten kann: "Ne, schalt mal Nuhr ein. Da kommst Du auf Deine Kosten.“
Bei der ZDF-„Heute Show“ mit Oliver Welke fällt auf, dass der Osten immer mal wieder gebasht wird – da werden gern Witze über den hohen AfD-Anteil dort gemacht.
Das würde ich so pauschal nicht machen, das halte ich für kontraproduktiv. Aber wenn Björn Höcke in Thüringen in Umfragen bei 35 Prozent liegt, dann äußere ich mich dazu. Wichtig finde ich vor allem, immer wieder zu betonen, dass die Mehrheit in den ostdeutschen Bundesländern nicht AfD wählt. Und dass nicht alle AfD-Wähler rechtsextrem sind, sondern viele die aus Frust wählen. Und mit denen kann man ins Gespräch kommen.
Wann haben Sie zuletzt mit AfD-Wählern gesprochen?
Das war nach der ersten Demonstration gegen Rechtsextremismus in Köln im Brauhaus. Da war ein Mann, der meinte, Deutschland müsse die Grenzen komplett dicht machen. Wir haben das lange diskutiert – und es war gut. Wir haben Argumente ausgetauscht, waren freundlich, der Mann war ein Fall von: aus Frust würde ich auch mal AfD wählen.
Und wie kommen Sie als Kabarettist mit solchen Leuten ins Gespräch. Die kommen ja vermutlich eher nicht in ihr Programm?
Das stimmt. Ich glaub nicht, dass AfD-Wähler ins Kabarett gehen - oder zu mir zumindest nicht, zu Dieter Nuhr schon eher. Ich kann nur versuchen, die nachdenklich zu machen, die schwanken. Da gibt es eine Chance, daran glaube ich fest.
Können durch die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus Menschen, die zur Rechtsextremen tendieren, zurückgewonnen werden?
Die wirklich Rechtsextremen nicht, bei den anderen hoffe ich das schon. Da gibt es jetzt zumindest eine Trendwende. Das Gute an der Correctiv-Recherche ist, dass sie gezeigt hat, was die wirklich wollen: Nämlich auch unsere Friseurin und unseren Handwerker und die Freundinnen unserer Kindern abschieben. Das hat zurecht eine Welle der Empörung und Solidarität ausgelöst. Und es hat gezeigt, wie wichtig guter Journalismus ist.
Was kann vor Ort getan werden, damit diese Welle nicht schnell wieder abebbt?
Zum einen muss die AfD inhaltlich gestellt werden. Was bedeuten deren Inhalte für die Rente, für die Landwirtschaft, was würde ein Austritt aus der EU für Deutschland bedeuten? Da kommen viele schnell ins Grübeln. Als Künstler würde ich immer versuchen, auch die Menschen in den Stadtteilen mit einzubinden, in denen viele keine Kohle haben. Einen kölschen Hit wie „Guten Morgen Barbarossaplatz“ von Querbeat auch mal über Chorweiler, Finkenberg oder den Kölnberg fänd‘ ich super. Bin da schon mit Musikern im Gespräch, denn die Musik ist ein wichtiger sozialer Kitt. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ müsste seine Veranstaltungen auch öfter in diesen Vierteln machen. Was die Proteste angeht, die ja weitergehen: Ich wünsche mir, dass wir mit Düsseldorf und Bonn zusammen eine große Kundgebung machen. Es geht ja nicht darum, in welcher Stadt mehr Leute kommen oder ob Alt oder Kölsch besser schmeckt: Je mehr kommen, desto besser.
Mit der Antwort auf die Frage, was denn eigentlich besser würde, wenn das Wahlprogramm der AfD umgesetzt würde, ließe sich auch einiges erklären…
Genau. Wäre die Rente sicherer, wenn keine Menschen aus dem Ausland mehr nach Deutschland kämen? Wie würde sich die Wirtschaft bei einem Dexit entwickeln? Ist die so genannte Alternative wirklich eine Alternative für Benachteiligte? Ist die AfD in Wahrheit nicht noch neoliberaler als die FDP? Und: Wollen die Menschen, die aus guten Gründen müde oder frustriert sind, die mehr Zuwendung brauchen, wirklich eine Partei, die mit Menschenfeindlichkeit Politik macht?
Sie waren 1992 bei der ersten Arsch-huh-Kundgebung gegen Rassismus und Rechtsextremismus mit 100.000 Menschen auf dem Chlodwigplatz dabei. Damals brannten Asylbewerberheime. Was hat sich seitdem verändert?
Der Rassismus ist in die Mitte der Gesellschaft eingesickert. Das war damals noch nicht so, das konnte man besser lokalisieren. Die Rechten sehen heute auch anders aus als früher. Die tragen keine Glatzen und Springerstiefel mehr, die sitzen im Anzug im Bundestag. Für leider gar nicht so wenige sind die Rechtsextremen salonfähig geworden. Eigentlich müssten die Demos heute also noch viel größer werden.
Sie haben gerade von der Wichtigkeit von gutem Journalismus gesprochen. Wie haben sich Ihre eigenen Mediengewohnheiten mit der Digitalisierung verändert?
Ich abonniere mehr. Oder schicke nach so einer Recherche eine Spende an Correctiv. Als es mit dem Internet losging, habe ich wie die meisten erstmal versucht, alles umsonst zu lesen, das war ja wie ein Wunder, alles gratis lesen zu können. Wir hatten gar nicht überlegt, wie das alles finanziert werden soll. Inzwischen denke ich frei nach dem Satz „Ein Volk, das seine Wirte nicht ernähren kann, hat es nicht verdient, Nation genannt zu werden“: Eine Gesellschaft, die demokratisch bleiben will, muss auch ihre Journalisten bezahlen. Und die Journalisten sollten sich – ähnlich wie wir Kabarettisten – daran erinnern, die Politik zu kritisieren, wenn sie Murks macht, aber auch zu schreiben, wenn etwas gut läuft. Und sich hin und wieder zu erinnern, dass Politik ein sehr schweres Geschäft ist, wie wir ja gerade täglich sehen können.
Über vermeintliche Fehler zu geifern, ohne bessere Antworten zu haben, ist ein klassisches Prinzip von Populisten, das sich über Social Media und Trolle prima verbreiten lässt…
… und dem muss die demokratische Gesellschaft etwas entgegensetzen. Jeder sollte damit anfangen, sich zu fragen: Könnte ich es wirklich besser? Wäre ich als OB besser als Frau Reker? Ich kann das für mich mit einem klaren Nein beantworten. In kleineren Städten, in denen ich auftrete, lerne ich oft die Bürgermeisterinnen kennen: Zuletzt in Windeck, Wipperfürth oder Waldbröl zum Beispiel. Die Frauen dort arbeiten trotz aller Anfeindungen wahnsinnig viel. Ich habe auch Herbert Reul und Mona Neubaur gefragt, die erzählten mir, Sie steigen um 8 Uhr morgens ins Auto um komme um Mitternacht zurück. Henriette Reker sagte mir, sie arbeite jeden Tag 17 Stunden außer Sonntags. Da sind es nur zehn. Natürlich passieren bei solch einem Pensum auch mal Fehler. Wer aber glaubt, es besser zu können, der sollte sich engagieren.
Haben Sie Sorge, dass es in Deutschland in einigen Jahren rechtsextreme Regierungen gibt?
Für den Bund nicht. Unsere Gesellschaft zeigt gerade, dass sie das nicht will. Für einige ostdeutsche Bundesländer habe ich schon Sorge – wenn es dazu kommen sollte, bin ich aber zuversichtlich, dass die Menschen erfahren werden, dass mit Hass und Ausgrenzung nichts besser wird. Im Gegenteil.
Jürgen Becker wurde 1959 in Köln geboren. Er machte zunächst eine Lehre als grafischer Zeichner und studierte später Sozialarbeit. Er gehörte 1983 zu den Gründern der Kölner Stunksitzung, deren „Präsident“ er von 1984 bis 1995 war. Seine Karriere als Kabarettist startete er in dem Trio 3Gestirn Köln 1. Seit den frühen 1990er Jahren tritt er als Solokünstler auf. Von 1992 bis 2020 moderierte er die „Mitternachtsspitzen“ im WDR. Mit seinem neuen Programm „Deine Disco - Geschichte in Scheiben“ ist er ab März auf Tour. Am 13. April, 20 Uhr, tritt er damit im Theater am Tanzbrunnen auf. (amb)