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Kölner Anti-KarnevalSo war die Premiere der neuen Stunksitzung

Lesezeit 4 Minuten

Der Flaschengeist aus dem Kölschglas erfüllt dem Funken (fast) alle Wünsche.

  1. Die Stunksitzung ist aus dem Kölner Karneval nicht mehr wegzudenken. 62 Aufführungen wird es allein in dieser Session im E-Werk geben.
  2. Die Anti-Karnevals-Truppe nimmt jedes Jahr lokale und bundesweite aktuelle Themen auf und zieht sie durch den Kakao. Das gelingt mal mehr, mal weniger witzig.
  3. Wie gut sind die Stunker in diesem Jahr? Unsere Kritik.

Köln – Rosenmontagszug ohne Pferde und ein Braunkohlebagger auf der Aachener Straße, Missbrauchs-Skandal in der katholischen Kirche und ein Loch am Hauptbahnhof als lukratives Bauprojekt: Die Stunksitzung greift mit Witz und Biss, mit Komik und Musik reichlich aktuelle Themen auf und bringt sie in einer erstklassigen Kabarett- und Comedy-Show auf die Bühne. Bei der Premiere im E-Werk – insgesamt gibt es 62 Aufführungen – zeigte sich das Publikum mitten im Advent durchaus in Karnevalslaune. Die große Mehrheit schunkelte im Kostüm.

Tier- und pferdefreier Rosenmontag

Bei der Vorstellung eines Zochs ohne Pferde wendet man sich beim Festkomitee noch mit Grausen ab. Wie das funktionieren könnte, demonstrieren die Stunker („Pferde gehören nicht in den Zoch, sondern in den Sauerbraten“) und lassen ersatzweise Ganzkörper-Plüschtiere und Steckenpferde aufmarschieren. Dazu setzen die Altstädter auf iPads vor der Kutsche, politisch inkorrekt galoppiert ein Poller Negerkopp als „schwarzer Rappe“ vor einem Wagen her, und bei den Blauen Funken zieht ein stämmiger Funkenoffizier die Gulaschkanone – solange, bis er körperlich zusammenbricht. Also auch keine wirklich zukunftsweisende Lösung.

Ein Festwagen der Altstädter in möglicher Zukunft: Vor der Kutsche auf dem Tablet marschieren Pferde auf dem iPad.

Ebenso wunderschön in der Präsentation mit verblüffenden Filmprojektionen ist der Wunsch zweier Lappen-clowns, einmal mit dem Mariechen der Roten Funken zu tanzen. Das klappt mit Hilfe eines Geistes aus einem Kölschglas – leider nicht so ganz.

Alles zum Thema E-Werk

Der Kirchen-Aufreger

Drei Reinigungskräfte, die die Kathedrale vom Schiss der Dom-Tauben befreien sollen, regen sich mehr über den Missbrauch-Skandal in der katholischen Kirche auf. „Hier sollte ein Schild hin: »Vorsicht! Messdienen kann ihre Kindheit schlagartig beenden«“, heißt es.

Beim Entfernen des Taubendrecks am Dom stößt der Reinigungstrupp auf katholische Priester mit reichlich Dreck am Stecken.

Und auch zwei Steinfiguren die sich drehen und in Pfarrer verwandeln, passen da ins Bild. „Bei mir hat zuletzt einer etwas über Oralsex gebeichtet. Ich weiß gar nicht, was man da so geben soll“, fragt der eine und erhält vom Kollegen die Antwort. „Ich gebe meinem Messdiener immer ein Hanuta und einen Nintendo-Gutschein.“ Empört malt der Reinigungstrupp daraufhin eine Teufelsfratze ans Kirchenportal.

Sünden der Lokalpolitik

Richtig großartig ist die Parodie auf die TV-Sendung „Höhle der Löwen“, die auf dem Stunk-Podium zur „Höhle der Blöden“ wird. Mit Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Höhner-Frontmann Henning Krautmacher, Ex-SPD-Strippenzieher Martin Börschel, Fußballer Lukas Podolski und Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach als potenzielle Investoren. Keine Chance hatten Vorschläge zu einer kostenfreien und gut durchdachten Köln-App („Bruche mer nit“) und zu einem Presswolf in den Müllbehältern. „Wir pressen selbst schon reichlich Müll auf Platte und CD“, wiegelt Krautmacher ab und Reker sagt: „Müll in den Straßen und Parks ist doch fester Bestandteil des kölschen Lebensgefühls.“ Dagegen rissen sich die Investoren um einen Bauarbeiter, der mit einer Schüppe ein großes Loch neben dem Hauptbahnhof buddeln will. „Sie haben keinen Plan? Und das noch nie gemacht? Prima, wir haben einen Deal.“

Beim eher planlosen Bauarbeiter (3.v.r.) stehen die Investoren Schlange: Krautmacher (v.l.), Börschel, Reker, Laugwitz-Aulbach und Podolski

Ähnlich gelungen auch das Solo von Bruno Schmitz als Baggerfahrer von RWE, der sich vom Hambacher Forst aus schon auf der Aachener Straße bis nach Braunsfeld vorgearbeitet hat. „Dann machen wir den Hahnwald platt, und wir roden Kirchen.“

Fußball ist unser Leben

Ist der Ex-Nationalspieler nun der Mann oder der Loser des Jahres? Als glupschäugiger Mesut Özil zieht Ozan Akhan Bilanz. Was denn die Debatte über ein Foto mit Erdogan solle? Thomas Müller habe sich auch schon mit einem wahnsinnigen Typen fotografieren lassen – mit Uli Hoeneß. Und als Moslem habe er mit der Nationalhymne („Die ist ja von einem Haydn geschrieben“) sowie mit Weihnachten und Ostern nichts am Hut. „Car-Woche ist für mich, wenn ich ein neues Auto kaufe.“

Ozan Akhan als glupsch-äugiger Mesut Özil

Auch der Videobeweis kriegt sein Fett weg. Äußerst amüsant wie Hans Kieseier und Didi Jünemann Spielszenen und gar ganze Spiele vertauschen. Zwar ist es peinlich, wenn man feststellt, dass dem zurückgenommenen Tor gar kein Abseits vorangegangen war und Julian Brandt fälschlicherweise wegen Meckerns vom Platz gestellt worden war. „Der hatte zwar Recht, aber das lassen wir durchgehen, es wäre ja ein Tor für Leverkusen gewesen.“

Bundespolitik auf kölsche Art

Das Flüchtlingsproblem wird vom Mittelmeer an den Kalscheurer Weiher verlagert, auf dem Tretbootfahrer, die einen Ertrinkenden retten, wegen Schlepperei angezeigt werden. In einer AfD-Schulung für Parteimitglieder in spe sitzen fast nur Mitarbeiter von Verfassungsschutz und LKA, der neue CSU-Chef glänzt mit „Södercherns Mondfahrt“ und die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles erweist sich als Paraderolle für Stunksitzungs-Präsidentin Biggi Wanninger. „Alle haben gesagt, ich kann das nicht. Stimmt. Ich mache es aber trotzdem. Bätschi!“

Biggi Wanninger als streitbare Andrea Nahles

Musik und Gesang

Die gewohnt gut aufgelegte Hauskapelle Köbes Underground um Frontmann Ecki Pieper begeistert mit zahlreichen Parodien. Besungen werden Straßenjongleure und Männergrippe, aus „Sweet Caroline“ wird das „Blutspende-Schwein“ und aus der „Kaffeebud“ die „Mucki-Bud“. Das Ensemble feiert 50 Jahre 68er im Stil des Abba-Musicals „Mama Mia“ und trommelt sich zu „No Roots“ von Alice Merton durchs Finale. Dazu schaffen es Tom Simon und Anne Rixmann, aus Namikas grässlichem Sommerhit „Je ne parle pas français“ eine herrlich komische Version zu machen: „Spreche kein Kölsch“. Da wurde eine Zugabe eingefordert. Zu Recht.