Köln – Diverse Karnevalssitzungen hat der Kristallsaal in der Deutzer Messe schon gesehen, Pressebälle, Preisverleihungen, einen Parteitag der Kölner CDU. Was sich am Dienstag und Mittwoch hier abspielt, dürfte von noch größerer Bedeutung sein – und wohl auch deutschlandweit Schlagzeilen machen.
Dann nämlich wird der Kristallsaal zum Gerichtssaal, in dem sich die AfD und der Verfassungsschutz gegenüberstehen. Der Prozess könnte zu einer Wegmarke in der noch gar nicht so langen Geschichte der Partei werden.
AfD klagt vor Kölner Verwaltungsgericht
Die AfD und ihre Jugendorganisation Junge Alternative nämlich haben vor dem Verwaltungsgericht Köln geklagt. Im Kern geht es darum, ob das in Chorweiler ansässige Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) – so etwas wie Deutschlands Inlandsgemeindienst – die AfD und die Junge Alternative als Verdachtsfälle oder als gesichert rechtsextremistische Bestrebungen einstufen darf.
AfD: Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien
Eine solche Einstufung hätte zur Folge, dass der Verfassungsschutz künftig oberservieren, Informanten anwerben oder unter strengen Voraussetzungen auch Telefonate und Emails überwachen darf. Dagegen wehrt sich die AfD mit der Begründung, dass in nicht vertretbarer Weise in die grundgesetzlich garantierte Chancengleichheit für Parteien eingegriffen werde. Das BfV geht davon aus, dass die verfassungsfeindliche Bestrebungen in der AfD groß genug sind, um die komplette Partei zu beobachten.
Es ist ein Prozess mit gewaltigen Dimensionen. So werden insgesamt vier Klagen verhandelt. Mit der ersten wendet sich die AfD gegen die Einordnung des inzwischen offiziell aufgelösten sogenannten Flügels als rechtsextremistischer Verdachtsfall. Mit der zweiten wollen die Kläger die Einstufung und Beobachtung der Jungen Alternative verhindern.
Eine solche Einstufung oder Behandlung dürfe zudem nicht öffentlich werden. Eine dritte Klage zielt darauf ab, dass der Verfassungsschutz nicht mehr behaupten dürfe, dem völkisch-nationalistischen Flügel hätten früher und auch heute noch etwa 7000 Mitglieder angehört. In diesem Fall ist parallel ein Eilverfahren anhängig.
Partei gibt sich siegessicher
Mit einer vierten Klage wendet sich die AfD dagegen, die Gesamtpartei als Verdachtsfall oder gesichert rechtsextremistische Bestrebung einzuordnen, zu beobachten und das auch öffentlich mitzuteilen. In diesem Fall ist ebenfalls parallel ein Eilverfahren anhängig. AfD-Chef Tino Chrupalla gibt sich vor Prozessbeginn gelassen. „Wir werden dort das erste Mal eine neutrale Bewertung unserer Partei, aber auch der Arbeit des Verfassungsschutzes erhalten. Wir können daher nur gewinnen“, sagt Chrupalla. „Das Gericht wird uns Recht geben.“
Prozess in Köln: Großes öffentliches Interesse
In mehr als 100 Aktenordnern sind alle Beweise und Vorgänge abgeheftet, alleine eines der Eilverfahren besteht aus mehr als 4000 Din-A-4-Seiten. Enorm ist auch das öffentliche Interesse, das Grund für die Verlegung aus den kleinen Sälen des Verwaltungsgerichts am Appellhofplatz in die geräumige Messe ist. 20 Plätze seien für beide Seiten reserviert, sagte eine Gerichtssprecherin, dazu kommen die vier Richterinnen und Richter der 13. Kammer.
Das Verfahren ist öffentlich, für Besucher stehen 175 Sitzplätze bereit, 63 davon für akkreditierte Journalisten. Der Vorsitzende Richter Michael Huschens kennt sich mit großem Medieninteresse aus – er hatte 2018 eine viel beachtete Verhandlung zu Dieselfahrverboten in Köln geleitet.
Verhandlung verzögerte sich
Dass sich das Verfahren überhaupt bis jetzt hingezogen hat, war zunächst nicht geplant. Zumindest über die beiden Eilverfahren sollte noch Anfang Juli 2021 entschieden werden, also mehrere Monate vor der Bundestagswahl. Diese Frist aber konnte die Kammer nicht halten, zum einen wegen der – wie es heißt – „hohen Komplexität der Verfahren“. Außerdem soll das BfV einige Verwaltungsvorgänge sehr spät bei Gericht eingesendet haben.
14 Aktenordner sind Gerichtsangaben zufolge erst dreieinhalb Monate nach der Aufforderung des Gerichts eingesendet worden. Zudem sei das Material nicht vollständig gewesen. 27 weitere Aktenordner seien nochmals anderthalb Monate später gekommen, was das Verfahren stark verzögerte.
Kölner Gericht: Wahlentscheidung nicht beeinflussen
Eine Entscheidung hätte also erst im Spätsommer fallen können – wegen der politischen Bedeutung dieses Verfahrens womöglich zu kurz vor der Bundestagswahl, entschied das Gericht. „Dies gebietet der Respekt vor der Entscheidung der Wähler“, teilte das Gericht mit.
Insofern sei zu berücksichtigen, „dass sowohl eine für die AfD positive als auch eine negative Entscheidung die Wahlentscheidung der Bürger zugunsten und zulasten der Partei beeinflussen könne“.