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Interview mit der Pächterin des Stadttors„Ich habe oft Tränen in den Augen“

Lesezeit 8 Minuten

Cornelia Jülich-Rademacher vor „ihrer“ Torburg“

Innenstadt – Wo früher Soldaten Leitern und Treppen hinauf hasteten, finden heute standesamtliche Trauungen und Familienfeste statt. Cornelia Jülich-Rademacher hat die Severinstorburg lange gemeinsam mit ihrem Vater betrieben, dem von den Nazis verhafteten und gefolterten Edelweiß-Piraten und späteren Gastwirt Jean „Schang“ Jülich.

Heute ist sie alleinige Pächterin des Stadttors. Sie ist im Severinsviertel groß geworden, hat die Stollwerck-Besetzung und das Arsch-Huh-Konzert am Chlodwigplatz aus nächster Nähe erlebt und kann sich keinen schöneren Ort vorstellen als ihre Südstadt.

Zur Person

Cornelia Jülich-Rademacher ist 53 Jahre alt, seit 22 Jahren verheiratet, Mutter von drei Töchtern (27, 26, 20) und Großmutter einer Enkelin. Sie ist Pächterin der Severinstorburg und bietet die Säle im Inneren für Trauungen und Feste an. Ihr Vater und Vorgänger als Pächter war der 2011 verstorbene Edelweiß-Pirat Jean Jülich.

Frau Jülich-Rademacher, interessieren sie sich für Geschichte?

Ja, am meisten für die 1920er Jahre. Wenn man in so einem alten Gebäude arbeitet, interessiert einen aber auch die Römerzeit und das Mittelalter.

Was ist Ihre Lieblingsgeschichte über die mittelalterliche Severinstorburg?

Es ist immer wieder schön zu hören, dass sie das Empfangstor war. Prinzessin Isabella von England etwa ist hier in die Stadt eingezogen (1235 als Verlobte des Hohenstaufenkaisers Friedrich II., d. Red.). Als Kind beeindruckt haben mich die Erzählungen von den Räubern und Dieben, die durch die Severinstraße mit Knüppeln aus der Stadt gejagt wurden. Wenn sie es lebend schafften, waren sie frei, sagt man. Der Spruch „Du bist noch nicht an Schmitz Backes vorbei“, gemeint ist das Backhaus, damals am südlichen Ende der Severinstraße, ist mir lebhaft in Erinnerung.

Die Legende von Jan und Griet, dem verschmähten späteren Soldaten und der hübschen Marktfrau, spielt sich ja auch vor der Torburg ab.

Ja, die habe ich auch als Kind schon gehört. Diese Geschichten waren für mich nie etwas besonderes, weil ich mit ihnen aufgewachsen bin.

Was verbindet Sie persönlich mit der Geschichte der Torburg?

Das Arsch-Huh-Konzert auf dem Chlodwigplatz war eines der tollsten Erlebnis meines Lebens. Eigentlich wollte ich von der Burg aus zuschauen, bin aber zuerst in eine Kneipe. Als ich dann zurück zum Platz wollte, war kein Durchkommen mehr.

Was ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?

Die Stimmung, das Gefühl, dass all die Menschen eine Einheit sind. Dass wir uns alle klar gegen Rechts stellen. Eigentlich fehlt so etwas heute wieder.

Hat Ihr Vater eine Verbindung zwischen dem Abend und seiner Geschichte gesehen?

Ich denke schon. Meine ganze Familie, auch mein Vater, wir waren total ergriffen.

Hat Ihr Vater über die Nazi-Zeit, über seine Jugend gesprochen?

Ich wusste davon nicht viel, bis ich 20 war. Es gab aber immer so eine Stimmung, die in der ganzen Familie herrschte. Mein Opa saß ja schon als Kommunist unter den Nazis im Knast.

Was haben Sie denn von der Stimmung mitbekommen?

Mein Vater hatte oft traurige Momente, in denen er sich zurückzog. Da war etwas Unausgesprochenes. Das hat mich, aber auch meinen Bruder, sehr belastet. Aber unser Vater war trotzdem sehr witzig. Er war wirklich sehr albern. Und: Jahrzehnte ist er als Zeitzeuge in Schulen gegangen und hat tausenden von Schülern von seinen Erlebnissen erzählt.

Wann ist Ihnen klar geworden, dass Ihr Vater Schlimmes erlebt hat?

Das Thema schwebte immer irgendwie mit. Als ich 20 war, wurde mein Vater nach Israel eingeladen und wir sind mitgereist. Er wurde stellvertretend für die Edelweiß-Piraten in Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Da ist mir die Tragweite seiner Geschichte klar geworden. Und dass ihm Fürchterliches passiert ist.

Haben Sie dann nachgefragt?

Ja. Das war eine harte Zeit für mich. Er war gefoltert worden. Freunde von ihm waren umgebracht worden. Das EL-DE-Haus, früher Sitz der Gestapo und Gefängnis, in dem er saß, nun Sitz des NS-Dokumentationszentrums, kann ich bis heute nicht betreten. Ich bin mitbetroffen von dem, was er erlebt hat.

Hat Ihnen Ihr Vater alles erzählt?

Er hat erzählt, wie sie sich mit der Hitlerjugend geprügelt haben. Davon, dass er das Glück hatte, ein guter Läufer zu sein. Und vom Hunger. Die schlimmsten Erlebnisse hat er uns nicht erzählt und ich habe auch nicht nachgefragt.

Von der Fotolaborantin zur Pächterin einer Burg

Was hat sich für Sie verändert, als Sie mehr über Ihren Vater wussten?

Ich habe danach eine große Unsicherheit gespürt, eine diffuse Angst, es könnte etwas Schreckliches passieren. Die war in der Familie wohl schon immer da. Aber ab da habe ich mich offen damit auseinandergesetzt. Ich habe auch das Manuskript für sein Buch gelesen. Aber wissen Sie, er hatte so viel mehr Facetten.

Er war ein erfolgreicher Gastronom. Sie sind über der Kneipe Em Blomekörvje in der Josefstraße aufgewachsen, einer Musikkneipe, die Ihrem Vater gehörte. Sie selbst sind nun auch in der Branche. Stand das von vornherein fest?

Ich wollte das nie. Ich habe eine Ausbildung zur Fotolaborantin gemacht und wollte Fotografin, vielleicht anschließend Kamerafrau werden. Dann habe ich aber gemerkt, dass das damals wirklich Knochenarbeit war – allein die riesigen Scheinwerfer zu schleppen. Eine Zeitlang habe ich dann als Verkäuferin in einer Boutique gearbeitet. Als ich 22 war, habe ich eine Umschulung zur Speditionskauffrau begonnen. Zehn Jahre habe ich bei einem Unternehmen im Niehler Hafen gearbeitet.

Hat Ihnen das Spaß gemacht?

Die Organisation hat mir sehr viel Spaß gemacht. Auch mit den Lkw-Fahrern zu arbeiten, war toll. Die sind alle geradeheraus, sagen was Sache ist, und machen kein Chichi.

Und dann sind Sie Ihrem Vater aber doch gefolgt.

Ja. Er und mein Bruder Marco Jülich haben 1997 die Stadthalle in Mülheim übernommen und gefragt, ob ich die Torburg übernehmen kann, die er seit 1979 von der Stadt gepachtet hat. Ich hatte gerade das zweite Kind bekommen und habe mir das eine Woche lang überlegt. Dann habe ich zugesagt, in drei Jahren einzusteigen, wenn meine Tochter im Kindergarten ist.

Konnten Sie mit Ihrem Vater gut zusammenarbeiten?

Wir haben uns in der ersten Zeit überhaupt nicht verstanden und es hat heftig geknallt zwischen uns. Wir haben uns gestritten wie noch nie. Danach aber war es gut.

Warum haben Sie sich gestritten?

Ich bin ihm sehr ähnlich, glaube ich. Wir sind beide Frohnaturen und gute Geschäftsleute. Ich habe ständig neue Ideen für die Torburg. So war er auch. „Geht nicht“ gibt es für uns nicht. Schade, dass wir das erst so spät gemerkt haben.

Was waren das für Ideen?

Mein Vater hat die Bläck Fööss in seiner Kneipe Em Blomekörvje auftreten lassen, zu einer Zeit, als noch nicht jeder ihre Lieder mochte. Von mir stammt die Idee, in der Torburg Trauungen zu ermöglichen. Da waren wir die ersten, die das außerhalb des Rathauses gemacht haben. Das ging 2005 nur, weil die Torburg ein städtisches Gebäude ist. Mittlerweile sind Trauungen auch in nicht-städtischen Gebäuden möglich.

Was bedeutet Ihnen die Torburg?

Ich hänge an der Burg, vor allem wegen der Hochzeiten. Ich habe oft Tränen in den Augen bei den Trauungen. Viele Brautpaare, die hier heiraten, kommen aus der Südstadt und später treffe ich sie dann auf der Straße. Das ist toll. Wir müssen aber auch zusehen, dass das Gebäude in Schuss bleibt.

Wie sehen Sie die nächsten Jahre?

Lange habe ich nicht so viel Zeit gehabt. Das ändert sich gerade. Meine drei Töchter haben quasi das Haus verlassen, leben aber alle in der Südstadt. Ich will mehr Zeit mit meinem Mann verbringen. Und ich will mich gerne mehr sozial engagieren. Das finde ich wichtig. Ich versuche auch, die Torburg für Paare erschwinglich zu machen, die nicht so viel Geld haben. Ich versuche, das bodenständig zu halten.

Ist das wichtig in der Südstadt?

Ja. Sehen Sie, am Anfang, als ich den Betrieb übernommen hatte, war der Rheinauhafen ein großes Thema. Ich habe ihn als Ruine geliebt, war oft dort spazieren. Als die Krankenhäuser gebaut wurden und die ersten Rollkoffer kamen, hatte auch ich Angst, dass die Anzugträger das Viertel übernehmen. Aber das Viertel erfindet sich immer wieder neu, dank all der jungen mutigen Gastronomen und dank der neuen kleinen Läden zum Beispiel in der Merowingerstraße. Die Anzugträger sitzen jetzt neben den Altpunks und es fällt einfach nicht mehr auf.

Haben Sie keine Angst, die steigenden Mieten könnten das Viertel auf Dauer verändern?

Doch, ich fürchte, dass die Kreativität verloren geht. Aber im Moment sehe ich das nicht. Deshalb wegzuziehen, kann ich mir nicht vorstellen. Ich liebe dieses Viertel einfach.

Die Südstadt ist...

ein weltoffenes, tolerantes Fleckchen. Bestes Beispiel: Im Kindergarten meiner Tochter sind 43 Nationen vertreten.

Was gefällt Ihnen nicht?

Da fällt mir nicht wirklich etwas Entscheidendes ein.

Wo gehen Sie am liebsten aus?

Meine Lieblingskneipe ist die Torburg von Hülya und Martin Wolf. Die Musik ist gut, das Publikum ist eine bunte Mischung. Jung und alt – ich treffe da Bekannte von meinem Vater und von meinen Töchtern. Essen gehe ich gerne im Maison Blue. André Niediek macht dort tolles Essen.

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