Köln – „Freude schöner Götterfunken“ spielt ein Demonstrant auf der mitgebrachten Trompete. Hinter ihm werden bemalte Pappkartons durch die Stadt getragen: „Nationalismus ist uncool“, „Rettet das Friedensprojekt Europa“ oder „Ohne EU ist alles doof“, steht da geschrieben. Man sieht heute mehr als nur die üblichen Fahnen und Transparente, die sonst bei Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit gezeigt werden. Der lange Protestzug, der vom Roncalliplatz über die Deutzer Brücke zieht, ist bunt gemischt. Nicht nur die Mitglieder von Gewerkschaften, Parteien oder kirchlichen Organisationen sind dem Aufruf des Kölner Trägerkreises der bundesweiten Aktion „Ein Europa für alle - Deine Stimmen gegen Nationalismus“ gefolgt. Viele Familien und junge Leute ziehen mit. „Ich bin so pisst, ich habe sogar ein Schild dabei“, hat eine Teilnehmerin auf eben dieses Schild geschrieben. Es geht um eine ernste Sache – aber die lässt sich auch mit Spaß auf die Straße bringen.
Der Demozug vom Roncalliplatz ist einer von vieren. Aus Kalk, vom Chlodwigplatz und vom Rudolfplatz kommen ebenfalls Demonstranten zur Kundgebung auf der Deutzer Werft. Der Platz ist bereits gut gefüllt, als der Zug aus der Südstadt über die Severinsbrücke zieht. Dort hatten die Veranstalter die kölsche Band „Kempes Feinest“ auf einen Wagen gestellt, der mit den Demonstranten fuhr. „Ein Riesenspaß“ sei das gewesen, sagte Sängerin Nici Kempermann nach dieser improvisierten und imposanten Tanzdemo für eine bessere Welt.
Viel Zeit für Demozüge durch die Stadt haben die Veranstalter nicht vorgesehen, zu viele wollen auf der großen Bühne in Deutz sprechen und Musik machen. Fünf Stunden soll die Kundgebung mit vielen Kölner Bands und Künstlern von Brings über das Stunksitzungs-Ensemble und Cat Ballou bis zu Tommy Engel und Gerd Köster dauern. Gegen 16.15 Uhr muss die Veranstaltung allerdings wegen des heranziehenden Gewitters abgebrochen werden. Bläck Fööss, Wolfgang Niedecken und Höhner können nicht mehr wie geplant auftreten. Die Zeit reicht noch für die kölsche Protesthymne „Arsch huh, Zäng ussenander“. Sie hat ihre Aktualität auch 27 Jahre nach ihrer Uraufführung nicht verloren. Tausende singen mit.
Nirgendwo in Deutschland waren nach Angaben der Veranstalter mehr auf der Straße als hier. Das sei ein „starkes demokratisches Signal aus Köln nach Europa gegen Hetze, Rassismus und Abschottung“, lobt OB Henriette Reker. In ihrer Rede nimmt sie Bezug zur aktuellen Regierungskrise in Wien. „Wenn wir nach Österreich blicken, wissen wir, warum es so wichtig ist, wählen zu gehen. Es geht darum, die Freiheit zu verteidigen.“
Demonstrationen werden in Köln schnell zum Volksfest
Wenn in Köln Tausende demonstrieren, wird das schnell zum Volksfest. Auch Europa kann eine ganz sinnliche Angelegenheit werden, die hier gegen die Angriffe von Rechtspopulisten und Rechtsextremen verteidigt werden soll. Doch bei aller Begeisterung für das europäische Projekt gibt es auch viel Anlass zur Kritik. Europa sei unsere Heimat, sagt Kabarettist Jürgen Becker, um dann darüber nachzudenken, was damit denn wohl gemeint sein könnte. „Heimat ist der Ort, den man liebt, auch wenn da alles total katastrophal ist.“ Die Kölner wüssten, wie so was geht. Und so wird bei dem Fest für Europa nichts verschwiegen, was bei aller grundsätzlicher Sympathie für Ärger sorgt.
Dass sich die europäischen Werte immer wieder in der Praxis bewähren müssen, wird beim Auftritt von Pia Klemp fast schmerzhaft deutlich. Wie steht es um Menschenwürde und Menschenrechte, wenn die EU Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lässt? Klemp ist die Kapitänin der „Sea Watch 3“, die mit ihrer Crew mehr als 1000 Flüchtlinge gerettet hat und sich nun in Italien gegen den Vorwurf der „Beihilfe zur illegalen Einwanderung“ wehren muss. „Die Rettung von Menschen ist eine Pflicht und gewiss kein Verbrechen. Mit jedem Ertrinkenden ertrinkt die Würde jedes Europäers.“
Andere Redner kritisieren die militärische Aufrüstung, den unzureichenden Klimaschutz, Umverteilung und Ungleichheit. „Wir kämpfen für ein soziales Europa“, so Katharina von Hebel, die für den DGB und das Bündnis „Köln stellt sich quer“ redet. Als Ford-Betriebsrätin beschreibt sie den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Arbeit in Deutschland und der internationalen Zusammenarbeit. Es sei wichtig, am Sonntag zur Wahl zu gehen, damit Rechtspopulisten und Nationalisten das „gelebte Europa“ nicht „kaputt“ machen. Klar sei aber auch, dass noch viele Fortschritte erstritten werden müssen.