Innenstadt – Wie sieht es mit der geistigen Gesundheit eines 87-Jährigen aus, der sich nie zuvor etwas zu Schulden kommen lassen hat und dann aus nichtigem Anlass zur Schusswaffe greift und einen Menschen tötet? War Domenico R. bei Sinnen und damit strafrechtlich voll verantwortlich, als er an einem Abend im Dezember 2011 im Agnesviertel seine 31-jährige Nachbarin wegen angeblicher Ruhestörung erschoss? Oder leidet er aufgrund seines Alters möglicherweise an Demenz und kann für die Tat deshalb nicht zur Verantwortung gezogen werden? Das werden die zentralen Fragen im Prozess gegen den Rentner sein, der sich seit Mittwoch wegen Mordes vor dem Landgericht verantworten muss. Der Prozessauftakt verzögerte sich, weil die Verteidigung den Angeklagten für nicht - und wenn überhaupt nur für eingeschränkt - verhandlungsfähig hält und deshalb eine entsprechende Untersuchung beantragt. Warum dies nicht bereits zuvor erfolgte, begründete der Vorsitzende Richter so: "Dazu gab es bisher keine Veranlassung."
Der 87-Jährige, der in seinem Erscheinungsbild deutlich jünger wirkt und der kurzen Verhandlung offensichtlich folgen konnte, befindet sich schon seit mehreren Wochen im Justizkrankenhaus Fröndenberg. Diese Unterbringung erfolgte weniger aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil die Kölner Justizvollzugsanstalt auf so alte Menschen nicht eingerichtet ist. In den nächsten Tagen soll Domenico R. nun in der Kölner Uniklinik neurologisch untersucht werden. Die Mediziner sollen klären, ob der Angeklagte verhandlungsfähig ist und ob er an Demenz leidet. Das Gutachten soll bis zum nächsten Verhandlungstag am Dienstag vorliegen.
Der Anklage zufolge waren gleich zwei Mordmerkmale erfüllt, als der Rentner mit einer Polizeipistole Walter PPK auf die Nachbarin schoss: Heimtücke und niedere Beweggründe. Weil er wegen einer angeblichen Lärmbelästigung nicht einschlafen konnte, soll R. kurz nach 23 Uhr bei der Nachbarin geklingelt haben - mit der Waffe in der Hand, 18 Schuss Munition in der Hosentasche und einem Springmesser.
Als die Frau öffnete, gab es offenbar Sprachschwierigkeiten. Auch im Prozess muss dem Angeklagten, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, jedes Wort übersetzt werden. Dagegen sagt der 61-jährige Sohn des Angeklagten als Zeuge, sein Vater habe mit seiner zweiten Frau, einer Deutschen, mehr als 50 Jahre in Köln gelebt - und das Paar habe deutsch miteinander gesprochen.
In der Anklage heißt es, "aus Wut und Verärgerung darüber", dass er nicht verstanden worden sei, habe R. zweimal auf sein Opfer geschossen. Ein Projektil traf die Frau ins Herz. Sie starb drei Wochen später im Krankenhaus.
Zum Prozessauftakt sprach der Vorsitzende Richter die "Besonderheit des Falles" an, der so "bewegend wie dramatisch" sei. Für den Anwalt der Nebenklage, der den verwitweten Ehemann vertritt, war die Tat "eiskalter Mord". Der Rechtsbeistand zeigte sich verwundert über die neuerliche neurologische Untersuchung. Zu Beginn der Untersuchungshaft sei beim Angeklagten "sowohl Haft- als auch Verhandlungsfähigkeit" festgestellt worden.