Köln-Innenstadt – Das Vringsveedel und die Südstadt wandeln sich schnell. Und das nicht immer zum Besseren – da waren sich die rund 30 Besucher im Saal schnell einig. Denn die rasante Aufwertung des Veedels beseitige immer mehr den bunten Milieu-Mix, der das Quartier lange auszeichnete und dränge alteingesessene Bewohner hinaus.
„Die Gentrifizierung verändert die Atmosphäre im Viertel“, ist sich Beate Rapp, Südstädterin, die einen Paketshop in Bayenthal betreibt, sicher. „Noch vor vier, fünf Jahren kannte man sich hier mehr, hatte seine Anlaufstellen, es war persönlicher. Ich habe kein gutes Gefühl.“
Inzwischen postiere die Sparkasse Sicherheitskräfte an ihrem Filial-Eingang, die gezielt Obdachlose aus dem Foyer hinauskomplimentierten; gleichzeitig sehe sie oft ältere Menschen, die im Schutze der Dunkelheit Mülleimer nach Pfandflaschen durchsuchen. „Das beobachte ich bei mir zu Haus im Agnesviertel auch oft, etwa an der Krefelder Straße“, bestätigte Caritas-Mitarbeiter Clemens Zahn, einer der Moderatoren des Gesprächsabends „Arm auf der Severinstraße“ im Veedels-Begegnungszentrum „Vringstreff“.
In die Räume, wo arme und wohnungslose Menschen gegen einen eher symbolischen Kostenbeitrag zu Mittag essen und Kaffeetrinken können, aber auch „Normalverdiener“ zu etwas höheren, aber immer noch zivilen Tarifen willkommen sind, hatte die Caritas zu ihrem Gesprächs- und Diskussionsabend rund ums Thema Armut eingeladen.
„Wir hatten uns überlegt, erstmal einen kleinen Teil der Stadt herauszupicken. Wir nahmen das Severinsviertel, weil wir hier gut vernetzt sind“, erläuterte Nils Freund, ebenfalls Caritas-Fachberater. „Die Händler geben die Broschüre aus und fungieren als Multiplikatoren. Vor einigen Wochen haben Ehrenamtler die ersten 400 Hefte verteilt; rund 20 Prozent der Läden erklärten sich bereit, den Leitfaden auszulegen.“
Die Resonanz unter den Kunden sei gut, eine weitere Auflage soll bald folgen. „Vor allem die inhabergeführten Läden haben Broschüren ausgelegt; das sind oft die, die am meisten zu kämpfen haben“, ergänzte Zahn.
Viele Bürger sind verunsichert
Der Abend war in mehrere Abschnitte unterteilt: In Interviews berichteten Ehrenamtler und bei der Broschüre Mitwirkende von ihren täglichen Erfahrungen mit Armut; zwischendurch konnten die Besucher an den Tischen in freier Zusammensetzung miteinander diskutieren.
„Armut ist nicht allein mit ehrenamtlichen Engagement zu bekämpfen“, postulierte Andreas Hupke, Bezirksbürgermeister der Innenstadt, der mit City-Bürgeramtsleiter Ulrich Höver zum Erfahrungsaustausch gekommen war. „Es ist eine Frage von Gesellschaft und Politik; das Thema gehört nach Berlin und Brüssel.“
Die Hartz-IV-Gesetzgebung habe zahlreiche Menschen in materielle Not getrieben und verunsichere weite Bevölkerungsteile. „Auch die Mittelschicht ist durch die Gentrifizierung kompletter Stadtviertel extrem gefährdet.“
Kosten auf Mieter abwälzen
Hierzu trügen auch die großzügigen Möglichkeiten bei, Mietshäuser modernisieren zu lassen und die Kosten auf die Mieter abzuwälzen; so könne man alteingesessene Bewohner regelrecht „hinaus sanieren“; doch auch Vermietern, die es gut meinen und ihre Bewohner halten wollen, werde das Leben schwer gemacht.
„Ich erlebe auf Bürgerversammlungen so einiges. Einmal stand die Eigentümerin eines Altbauhauses von 1905 weinend vor mir. Sie hatte eine Brandschutz-Begehung; ihr Haus erfüllte die Standards nicht. Sie musste Zigtausende Euro investieren; beim fünften Sanierungsabschnitt ging sie in die Knie“, berichtete Höver. „Vermutlich wird das Haus nun eine Heuschrecken-Gesellschaft kaufen und luxussanieren.“
Zur Gesamtproblematik hinzu komme der Unwille in weiten Kreisen der Gesellschaft, sich mit Armut zu befassen. „Ich habe tatsächlich mal auf einer Bürgerversammlung den Vorschlag gehört, man möge doch die Obdachlosen in einen Bus packen und nach Aachen fahren“, so Hupke.Nach dem knapp zweistündigen Treffen war klar: Die Arbeit, die Bevölkerung zu sensibilisieren und ein Problembewusstsein zu schaffen, wird fortgesetzt.
„Wir führen das Projekt weiter“, kündigte Ludger Hengefeld, Leiter des Caritas-Pastoral, an. „Es war ja erstmal ein Pilotprojekt, die Erfahrungen haben Mut gemacht.“ Man suche aber auch nach weiteren Wegen, das Thema Armut in der Bürgerschaft zu verbreiten.