Das Landgericht hat über eine Klage von Kardinal Woelki gegen die „Bild“ zu urteilen. In der Verhandlung zeichnet sich eine klare Tendenz ab.
Kardinal im Kölner LandgerichtWoelkis nächster Rechtsstreit beginnt mit Protokollvermerk für Bild-Journalisten
Auch vor Gericht gibt es die Momente, in denen die Hauptsache zur Nebensächlichkeit wird. Am Mittwochvormittag soll es vor der Pressekammer des Landgerichts Köln – wieder einmal – um Rechtsstreitigkeiten von Kardinal Rainer Woelki mit der „Bild“-Zeitung gehen. Der Kölner Erzbischof will einen Bericht aus dem Jahr 2022 nicht hinnehmen, wonach er es absichtlich unterlassen haben soll, das Bistum Dresden-Meißen über den Missbrauchsfall des früheren „Sternsinger“-Präsidenten Winfried Pilz in Kenntnis zu setzen. Tatsächlich wurde die Information erst mit großer Verspätung 2021 nachgeholt.
Doch statt mit dem Fall kämpft die Pressekammer des Landgerichts Köln unter Vorsitz von Richter Dirk Eßer-da Silva mit der Technik. Erst misslingt Springer-Anwalt Manuel Banck die Einwahl in die Videokonferenz. Dann teilt „Bild“-Autor Nikolaus Harbusch als Beklagter per Video mit, dass er der Verhandlung von Budapest aus beiwohnt, was - so der Richter - gegen die Hoheitsrechte des Staates Ungarn verstoße und daher unzulässig sei.
Köln: Richter schaltet beklagtem Bild-Journalisten das Mikro stumm
Mit ausdrücklicher Duldung von Woelki-Anwalt Carsten Brennecke aus der Kölner Kanzlei Höcker soll der Journalist zumindest „passiv teilnehmen“ – also zuhören – dürfen. Als Harbusch sich doch in die Verhandlung einmischt, schaltet Eßer-da Silva kurzerhand das Mikro stumm. Mit Vermerk im Protokoll. Wie sich das gehört.
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Nach Ablauf einer halben Stunde verabschiedet sich dann auch noch umstandslos das Videokonferenz-System: Meeting-Zeit abgelaufen. „Kalt erwischt“ worden sei die Kammer von dieser Kapriole, sagt Eßer-da Silva. „Ich mache das jetzt seit drei Jahren, aber das ist erst einmal vorgekommen.“
Positionierung des Gerichts zu Kardinal Woelkis Gunsten
Inhaltlich hat sich da allerdings schon recht deutlich abgezeichnet, wie das Gericht sich positioniert: nämlich zugunsten des Klägers, also des Kardinals. Im Bericht der „Bild“ sieht die Kammer keinen sachlichen Anknüpfungspunkt für die Behauptung gegeben, dass Woelki für eine „klare Dienstpflichtverletzung“ - die Nicht-Weitergabe der Informationen zum Fall Pilz nach Dresden - ein „Motiv“ gehabt habe. Die „Bild“ zitierte dazu 2022 den Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller mit den Worten: „Pilz stand wegen seiner Prominenz bei Woelki unter Denkmalschutz.“
In einem eigenen Gerichtsverfahren machte Schüller hierzu geltend, er habe mit diesem Satz gerade kein Motiv angegeben, sondern lediglich eine Erklärung dafür, warum zum Beispiel nach Pilz‘ Tod 2019 seitens des Erzbistums ein lobpreisender Nachruf ohne jede Erwähnung der Missbrauchsvorwürfe veröffentlicht wurde. Für seine Einschätzung berief sich Schüller die grundrechtlich geschützte Freiheit der Meinungsäußerung.
Gibt es ein Motiv für Fahrlässigkeit?
Im Streit mit der „Bild“ moniert Brennecke vor Gericht, sie habe Woelki fälschlich unterstellt, von der unterlassenen Information an das Bistum Dresden gewusst und sich aktiv dazu entschieden zu haben, die Weitergabe nicht nachzuholen.
Ob Woelki dieser Vorwurf gemacht werden könne oder nicht, sei für das Urteil über die Klage unerheblich, führt Eßer-da Silva aus. Entscheidend sei, ob der „Bild“-Bericht Schüllers Aussagen zu einem angeblichen Motiv Woelkis im Kontext zutreffend wiedergegeben habe.
Ausführlich diskutieren die Anwälte und das Gericht, was unter einem Motiv zu verstehen sei, und ob man ein Motiv nur bei vorsätzlichem Handeln annehmen dürfe oder auch schon bei einer bloßen Fahrlässigkeit. Eßer-da Silva: „Es gibt kein Motiv für eine Fahrlässigkeit.“ Vielmehr werde bei fahrlässigem Handeln etwas getan oder unterlassen, im konkreten Fall eine Information pflichtwidrig nicht weitergeleitet, „ohne um die Brisanz zu wissen“. Ein Motiv zu haben, hätte in der Sicht des Richters bedeutet, dass Woelki sich mit der Informationsweitergabe befasst habe. Sich dann dagegen zu entscheiden, wäre kein fahrlässiges Unterlassen. „Dann ist es eine Vorsatz-Tat.“
Dass das alles reichlich kompliziert klingt, ist allen Beteiligten bewusst. „Es kommt darauf an, was in der Zeitung steht und wie der Leser es versteht“, resümiert der Richter deshalb und beteuert überdies: „Wir versuchen unser Möglichstes, uns in den durchschnittlichen ‚Bild‘-Leser hineinzuversetzen.“ Woelki-Anwalt Brennecke seinerseits reklamiert für die rechtliche Beurteilung des „Bild“-Berichts die Notwendigkeit „pinzettengenauen Arbeitens“.
Eine ganz andere Frage ist, ob das kosmetische Zupfen überhaupt noch für irgendjemanden außerhalb des juristischen Schönheitssalons erkennbar, geschweige denn verständlich ist. Die (wenigen) Zuhörer in Saal 227 des Landgerichts hatten da unzweifelhaft gehörige Mühe.
Ihr Urteil will die Kammer am 22. November verkünden.
Aktenzeichen 228 O 117/23