Köln – Die Auffrischungsimpfungen gegen Corona laufen in den Altenheimen und Arztpraxen bereits seit Wochen. Über 185 000 Menschen in Nordrhein-Westfalen haben laut Robert Koch-Institut (RKI) bereits eine Auffrischungsimpfung erhalten. Binnen eines Tages kamen knapp 14 300 Auffrischungen hinzu. Dabei empfiehlt die Ständige Impfkommission eine Auffrischung nur eingeschränkt – obwohl der Schutz bei einigen Gruppen bereits entscheidend abnimmt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Für wen sind Drittimpfungen aktuell empfohlen?
Das zuständige Gremium, die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die „Booster-Impfung“ bislang ausschließlich Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Darunter fallen Immundefekte und die medikamentöse Beschränkung des Immunsystems – letzteres ist im Fall von Autoimmunerkrankungen oder nach Transplantationen üblich. Laut des Stiko-Vorsitzenden Thomas Mertens soll innerhalb dieser Gruppen je nach Ausmaß der Erkrankung differenziert werden. Besonders stark Betroffenen wird bereits vier Wochen nach der Zweitimpfung zu einer dritten Spritze geraten.
Die Kölner Infektiologin Clara Lehmann begrüßt die Teilempfehlung. „Unter den Menschen, die unter einer starken Immunschwäche leiden, hat etwa die Hälfte nach der zweiten Impfung nicht genug Antikörper“, sagt Lehmann: „Mit der dritten Impfung zeigt sich ein besseres Ansprechen auf die Impfung.“
Was sagen die Gesundheitsminister?
Auf der Gesundheitsministerkonferenz wurde beschlossen, Drittimpfungen auf weitere Gruppen auszuweiten – trotz bislang ausbleibender Stiko-Empfehlung. So können sich Menschen in Pflegeheimen und weiteren Einrichtungen, in denen vulnerable Personen leben, ein drittes Mal impfen lassen. Frühestens sechs Monate nach der Grundimmunisierung können diese Gruppen eine weitere Dosis erhalten. In Nordrhein-Westfalen gilt dies sogar für alle über 80-Jährigen. Für die Ältesten „erwarte ich bald eine Empfehlung“, sagt Lehmann. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVN), teilt diese Einschätzung.
Bislang reichen der Stiko die vorhandenen Daten jedoch nicht aus. Clara Lehmann betont: „Diese Gruppe hat schon jetzt die Möglichkeit, sich ein drittes Mal impfen zu lassen. Auch die Daten für alte Menschen zeigen: Nach sechs Monaten sind oft weniger Antikörper vorhanden. Es spricht einiges für eine Auffrischungsimpfung bei den Ältesten, ich persönlich würde das auch empfehlen.“ Dass Gesundheitsminister und Stiko derzeit unterschiedlich kommunizieren, sei „ein bisschen unglücklich. Das führt zu Verwirrung. Ich will aber keiner Institution einen Vorwurf machen. Die Lage ist eben kompliziert.“
Was würde sich mit einer erweiterten Stiko-Empfehlung ändern?
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagt, er habe bereits ein Schreiben an alle über 80-Jährigen in Nordrhein-Westfalen verfassen lassen, das sein Ministerium wegen der bislang fehlenden Empfehlung jedoch nicht verschicken könne. Er unterstütze die Stiko grundsätzlich, derzeit trete man aber ein wenig auf der Stelle, so Laumann weiter.
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Es ist zu erwarten, dass im Anschluss an eine Empfehlung deutlich mehr Drittimpfungen durchgeführt würden als derzeit. Einer Statistik der KVN zufolge machten die Auffrischungen in den Arztpraxen der Region vergangene Woche 22 Prozent aller Corona-Impfungen aus. Nach Absprachen der Gesundheitsminister der Länder werde bei den Auffrischungsimpfungen in den Altenheimen nicht auf die Empfehlung der Stiko gewartet, sagt Laumann.
Ist ein Antikörper-Test vor einer Drittimpfung ratsam?
Clara Lehmann hält Antikörper-Tests als Grundlage für Drittimpfungen „derzeit für falsch“. Antikörper-Tests seien entwickelt worden, „um zu schauen, ob es einen Kontakt mit dem Virus oder Virusprotein gab. Sie sind nicht entwickelt und validiert worden, um den Immunschutz zu kontrollieren“, sagt Lehmann. Es brauche „natürlich einen solchen Test mit genauen Grenzwerten.“ Dieser werde derzeit entwickelt. Bei Menschen mit einer starken Immunschwäche wiederum sei es „sehr sinnvoll“ die Tests nach einer Drittimpfung einzusetzen – um zu kontrollieren, ob es überhaupt eine Reaktion gebe. Dieses Vorgehen wird von der Stiko empfohlen.
„Ohne Antikörper zu diesem Zeitpunkt wären die Betroffenen trotz Impfung besonders vulnerabel, das sollten sie dann auch wissen, damit sie sich weiterhin entsprechend vorsichtig verhalten“, sagt Lehmann. Sie betont, dass es auch Geimpfte gebe, bei denen keine Antikörper festgestellt werden, die aber dennoch durch ausgebildete T-Zellen vor schweren Verläufen geschützt seien. „Man darf mit Blick auf die Antikörper nicht pauschal urteilen“, betont sie.
Fehlt der Impfstoff woanders, wenn in Deutschland Drittimpfungen laufen?
Einen direkten Zusammenhang zwischen Drittimpfungen und der globalen Impfstoff-Knappheit sieht Clara Lehmann nicht. „Dass ärmere Länder zu wenig Impfstoff haben, ist ein riesiges Problem“, sagt die Medizinerin. „Indem wir hier auf Impfungen verzichten, helfen wir nicht unmittelbar woanders. Viel wichtiger ist es, die Produktion politisch voranzutreiben und in der Logistik zu unterstützen.“ (mit dpa)