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„So schlimm war es noch nie“Geschäftsleute beklagen Drogenszene auf Kölner Neumarkt

Lesezeit 4 Minuten
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Drogensüchtige spritzen sich am Rautenstrauch-Joest-Museum gegenüber des Neumarkts Heroin.

  1. Seit Jahren gilt der Neumarkt als Hotspot für Kriminalität und Drogen in Köln. Nun hat Henrik Hanstein vom dortigen Auktionshaus Lempertz einen Brandbrief geschrieben.
  2. Er erzählt, dass die Situation mit den Drogenabhängigen so schlimm sei wie noch nie und er sich von Polizei und Ordnungsamt im Stich gelassen fühle.
  3. Zusammen mit anderen Unterstützern kündigt er an, einen privaten Sicherheitsdienst zu engagieren. Polizei und Ordnungsamt gefällt die Idee nicht.

Köln – Henrik Hanstein nennt es einen „emotionalen Hilferuf“, einen „letzten Schrei“. Man hört die Empörung aus seiner Stimme über das, was da seiner Ansicht nach in den vergangenen Monaten am Neumarkt eskaliert ist. Zuletzt habe er fast jeden Tag die Polizei rufen müssen, die Belästigungen seien inzwischen so massiv, „wie wir es noch nie erlebt haben“. Hanstein spricht von Junkies in Hauseingängen, Drogengeschäften hinter Bauzäunen, Dreck und Verwahrlosung. „Die Situation ist zum Teil lebensgefährlich“, sagt Hanstein, „und in den letzten zwei bis drei Monaten war sie so schlimm wie nie zuvor“.

Zusammen mit anderen Hauseigentümern an der Ostseite hat der Geschäftsführer des dortigen Kunsthauses Lempertz einen Brandbrief geschrieben, der Öffentlichkeit, Politik und Polizei aufrütteln soll. Die Anklage: Der Neumarkt ist zu einem „verlotterten Ort“ verkommen, wie Hanstein sagt, auf dem sich „mit Drogen vollgepumpte Abhängige“ ungehindert ihren Geschäften nachgehen, auf dem Zustand, Architektur und Verkehr diese Szene nur noch Begünstigen.

Der Adressat heißt Andreas Hupke, ist Bezirksbürgermeister, Mitglied der Grünen und beanstandet zuerst den Stil des Briefs. „Ich bin empört, richtiggehend entsetzt und persönlich verletzt“, sagt Hupke. „Ich lasse mir das nicht gefallen.“ Er fühle sich „persönlich ans Kreuz genagelt“ und für etwas verantwortlich gemacht, was er nicht allein zu verantworten habe: „Wenn mich Herr Hanstein persönlich für den Zustand am Neumarkt verantwortlich macht, könnten mich genauso gut die Rheinschiffer für den niedrigen Wasserstand verantwortlich machen“. Das Land sei gefragt, „Köln nicht alleine zu lassen“, sagt Hupke. Geld und Personal müssten bereitgestellt werden, um die Dinge zu verbessern. Inhaltlich widerspricht Hupke nicht. Die Situation am Neumarkt sei aber „ja nichts Neues“.

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Hotspot für Kriminalität und Drogen

Seit Jahrzehnten gilt der Neumarkt als Hotspot für Kriminalität und Drogenkonsum. Vor allem werden hier, im Gegensatz etwa zum Ebertplatz, vor allem sogenannte „harte Drogen“ wie Heroin verkauft und konsumiert. Die Polizei rückt hier regelmäßig an. Die Einsatzzahlen seien auf hohem Niveau, aber leicht rückläufig, hieß es zuletzt.

Von Juli 2019 bis Juni 2020 hat die Polizei am Neumarkt etwa 1400 Personen kontrolliert und mehr als 570 Platzverweise ausgesprochen. In dieser Statistik sind auch drei Monate unter Corona-Bedingungen inbegriffen. Mit knapp 1900 von der Polizei registrierten Delikten war der Neumarkt 2019 nach den Ringen der Kriminalitätsschwerpunkt – 2018 lagen die Ringe noch hinter dem Neumarkt, wo etwa die Hälfte aller Delikte mit Drogen zu tun hat. „Wir müssen konstatieren, dass mehrere tausend Konsumenten harter Drogen in Köln – wie in jeder Millionenstadt – sichtbare Probleme schaffen“, so die Polizei. Auch für das Ordnungsamt ist der Platz ein Einsatzschwerpunkt, etwa um Mülldelikte zu ahnden und Spritzen einzusammeln.

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Nach Ansicht Hansteins sind aber regelmäßig zu wenig Sicherheitskräfte vor Ort. „Am Hauptbahnhof ist die Polizei überpräsent, am Neumarkt ist sie unterpräsent“, sagt er – und fordert auch hier eine mobile Wache. „Eine feste Wache macht aus Sicht der Polizei keinen Sinn. Ein Gebäude schafft keine Präsenz, die wir auf andere Weise jetzt schon wirkungsvoll realisieren“, sagt die Polizei, die vor Ort ein „Präsenzkonzept“ fährt: Sichtbare und verdeckte Beamte und Videobeobachtung vor Ort.

Weil sie sich von Polizei und Ordnungsamt im Stich gelassen fühlen, kündigen Hanstein und seine Unterstützer an, einen privaten Sicherheitsdienst einzuführen, wie es ihn am Josef-Haubrich-Hof gibt. Einen Mitarbeiter mit Schäferhund könne er sich auch an der Ostseite des Neumarkts gut vorstellen, sagt Hanstein. „Wir haben uns schon ausrechnen lassen, was das kostet. Im Jahr sind das etwa 60.000 Euro.“ Dafür würde er rechtlich prüfen lassen, ob er dann „immer noch die Grundsteuer in vollem Umfang zahlen muss“.

Die kurze Antwort der Polizei auf die Ankündigung einer privaten Security: „Sicherheit im öffentlichen Raum ist Aufgabe des Staates.“ Die Stadt äußert sich ähnlich: „Ein privater Sicherheitsdienst darf in der Öffentlichkeit nur nach Beauftragung durch staatliche Behörden tätig werden, beispielsweise im Auftrag der Stadt an Karneval bei den Einlasskontrollen zu den Glasverbotszonen oder wie aktuell zur Kontrolle des Verweilverbots auf dem Brüsseler Platz.“