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„Fatalismus“, „resigniert“, „unglücklich“Kölner Parteien und OB-Kandidaten kritisieren Reker-Aussagen

Lesezeit 7 Minuten
Müll im Straßenbild der Stadt: Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker beklagt eine „zunehmende Verwahrlosung“ in der Stadt (Archivbild).

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker beklagt eine „zunehmende Verwahrlosung“ in der Stadt (Archivbild).

Wie steht es um die Stadt? Wir haben die Kölner Ratsfraktionen und OB-Kandidaten gefragt, ob die Stadt wirklich verwahrlost. Diese Lösungen schlagen sie vor.

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker beklagt eine „zunehmende Verwahrlosung“ in der Stadt, die sie seit bald zehn Jahren anführt. „Die Mittel, dieser Verwahrlosung zu begegnen, sind sehr restriktiv. Einige Städte vertreiben die Obdachlosen und Drogenabhängigen aus der Stadtmitte. Dafür gibt es in Köln keine Mehrheit“, sagte sie im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Ist die Verwaltung also machtlos und kann kaum etwas tun für Sauberkeit und Sicherheit in der Stadt, weil die Politik sich nicht einigt oder nicht härter durchgreifen will? Wer kann Ordnung herstellen, wenn nicht die Oberbürgermeisterin? Reker sagte: „Mit den Mitteln, die uns aktuell zur Verfügung stehen, niemand. Und wir als Stadt auch nicht allein. Da braucht es dann auch die Unterstützung der Polizei.“

Wir haben nachgefragt bei den Parteien des Ratsbündnisses, die der parteilosen Reker (68) ins Amt geholfen haben, genauso wie bei der Opposition und bei den OB-Kandidaten der drei großen Parteien. Bei den Kommunalwahlen am 14. September wird auch eine neue Oberbürgermeisterin oder ein neuer Oberbürgermeister bestimmt. Reker stellt sich nicht für eine dritte Amtszeit zur Wahl, das bestätigte sie im Interview.

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Das sagen die drei Fraktionen des Bündnisses im Rat der Stadt Köln

„Es stimmt, dass für uns Grüne die restriktive Vertreibung von wohnungslosen und suchtkranken Menschen aus dem öffentlichen Raum kein Weg ist, um Ordnung und Sicherheit in der Stadt herzustellen“, sagte am Freitag Christiane Martin, die Fraktions-Vorsitzende der Grünen: „Das Problem würde dann ja nur lokal verlagert.“ Es bräuchte vielmehr „noch mehr Hilfe- und Unterstützungsangebote für diese Menschen“. Und sie betonte: „Wir finden aber auch, dass die Kölnerinnen und Kölner alle mitverantwortlich dafür sind, wie ihre Stadt aussieht. Leider vergessen sie das manchmal.“

Die Ratsfraktion der CDU stellte sich am Freitag hinter die Aussagen von Reker. „Köln hat ein zunehmendes Problem mit Verwahrlosung und Vermüllung“, sagte Fraktionschef Bernd Petelkau: „Besonders offene Drogenszenen an Hotspots wie Wiener Platz, Neumarkt und Ebertplatz müssen entschlossener bekämpft werden – andere Städte zeigen, dass es geht.“ Es brauche „eine Verschärfung und engere Auslegung der Stadtordnung“, für die es aber keine politische Mehrheit gebe. Petelkau verwies auf die Masterpläne Sicherheit und Sauberkeit, mit denen seiner Ansicht nach immerhin „deutliche Akzente“ gesetzt werden konnten.

Wer nicht mit verbundenen Augen durch die Stadt geht, werde den Eindruck von Verwahrlosung sicherlich teilen, sagte Jennifer Glashagen. Sie ist Vorsitzende der Volt-Fraktion, dem neben Grünen und CDU dritten Partner im Mehrheitsbündnis im Stadtrat. Glashagen verteidigte, was Köln in den vergangenen Jahren unternommen hat, darunter der Masterplan Sauberkeit, Drogenkonsumräume, Ausbau der öffentlichen Toiletten und die Verpackungssteuer. „Praktisch haben wir aber zu wenig Personal im Ordnungsamt“, sagte Glashagen – und dann nimmt auch sie die Bürger in die Pflicht: Sie sollten ihren Müll in den Abfalleimer werfen oder „sogar mit anpacken, um unsere Stadt sauber zu halten“.

Münchens OB Reiter will keine „Drogendealer, Alkoholkranke und Junkies“

Eine Stadt, die Petelkau mit seinem Verweis meinen könnte, ist München. Der dortige OB Dieter Reiter (SPD) geht beispielsweise schon seit geraumer Zeit mit Repressionen gegen die Drogenszene und Obdachlose vor. Am Stachus, dem zentral gelegenen Karlsplatz, ließ Reiter schon 2023 mehrmals Schlafstätten Obdachloser entfernen. Vor allem rund um den Hauptbahnhof und in nahen Parks, in denen Drogen gehandelt werden, wurde die Zahl von Kontrollen durch das Ordnungsamt und auch die Polizei massiv erhöht.

Bei der Eröffnung eines Biergartens, in dem nur alkoholfreie Getränke ausgeschenkt werden, sagte Reiter der Münchener „Abendzeitung“ im vergangenen Sommer: „Wir hoffen, dass ab sofort die nicht mehr kommen, die wir hier nicht haben wollen: Drogendealer, Alkoholkranke und Junkies.“

Das sagen die Kölner OB-Kandidaten von SPD, CDU und Grünen

„Es kann nicht sein, dass die Stadtverwaltung den Kopf in den Sand steckt und resigniert“, befand Torsten Burmester, der OB-Kandidat der Kölner SPD. Er habe festgestellt: „Es gibt zwar großen Frust über die derzeitige Situation, aber es gibt eine ebenso große Bereitschaft, weiterhin aktiv an Lösungen mitzuwirken.“ Burmester richtet den Blick nach Zürich oder Wien, dort gebe es „sehr gute Lösungsansätze für die Probleme der offenen Drogenszene, der Obdachlosigkeit und der Verschmutzung des öffentlichen Raums“.

Er plädiere für „mehr Prävention und Hilfsangebote“, eine „weitere Verbesserung der Arbeit der AWB“ und ein Ausschöpfen der „vorhandenen ordnungsbehördlichen und polizeilichen Möglichkeiten“.

Markus Greitemann, aktuell Baudezernent, bewirbt sich für die CDU um das Amt des Kölner Oberbürgermeisters. „Für mich steht fest“, sagte er am Freitag, „wir werden den Ordnungsdienst in seiner Handlungsfähigkeit und Durchsetzungskraft stärken und den öffentlichen Raum besser pflegen müssen.“ Ein sicheres und sauberes Köln werde „auch ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein“, versprach er: „Unsere Stadt ist leider nicht in dem ordentlichen Zustand, wie sie sein könnte.“

Aus Sicht von Berivan Aymaz, OB-Kandidatin der Grünen, hat die „Verwahrlosung viele Facetten und unterschiedlichste Ursachen. Es gibt zu viel Müll, Dreck und Gerümpel in unserer Stadt, genauso aber auch nicht enden wollende Baustellen und verlassene Orte, die dazu einladen zugemüllt zu werden. Dagegen müssen wir dringend und konsequent vorgehen, von Aufklärungskampagnen, über eine Steuer auf Einwegverpackung bis hin zu Ordnungsgebühren, damit Köln für alle Menschen sauber und lebenswert ist.“

Verwahrlosung sei aber „auch immer ein Spiegelbild gesellschaftlicher Missstände.“ Deshalb brauche es auch „soziale Maßnahmen, wie deutlich mehr Streetworker, die vor Ort für die Menschen ansprechbar sind und die zugleich mitbekommen, was passiert“, sagt die Grünen-Politikerin. „Für mich ist Vertreibung von Wohnungslosen und Suchtkranken aus dem öffentlichen Raum kein Lösungsansatz, sondern nur eine Verlagerung des Problems in andere Bezirke. Darum ist der Erhalt und Ausbau von sozialen Strukturen so maßgeblich für die Betroffenen selbst, aber auch für die Mitmenschen und für die Sicherheit und Sauberkeit in unserer Stadt.“

Aymaz widerspricht der Aussage von Henriette Reker, dass eine Oberbürgermeisterin nur wenig Handlungsmöglichkeiten habe. „Selbstverständlich hat man verschiedenste Möglichkeiten diese Probleme anzugehen und für Entscheidungen die an politische Mehrheiten gebunden sind, muss man sich entschieden einsetzen. Mir ist es auch ein persönliches Anliegen ein gemeinsames Verantwortungsbewusstsein für die Menschen und unsere Stadt zu schaffen.“

Um gegen Missstände vorzugehen, brauche es „einen politischen Willen und dafür müssten alle Stellen im Ordnungsamt besetzt sein“, hatte Reker gesagt. Aktuell seien dort aber 60 Stellen offen und geeignete Mitarbeitende schwer zu finden. Ralf Mayer, der Leiter des Ordnungsamtes, wollte sich am Freitag nicht zu dem Thema äußern. Die OB habe für die Stadt gesprochen, hieß es.

Das sagen die Oppositions-Parteien im Rat der Stadt Köln

„Leider ist das Streit-Bündnis aus Grünen und CDU auch in der Frage von Sicherheit und Ordnung gespalten und handlungsunfähig“, teilte SPD-Fraktionschef Christian Joisten mit. Die Stadtverwaltung habe in den letzten zehn Jahren die Probleme in Köln „verwaltet, statt pragmatisch anzupacken“.

Am stärksten sei die Verwahrlosung am Neumarkt oder Ebertplatz zu spüren. „Wir akzeptieren nicht, dass diese Plätze zum Marktplatz für Drogenhändler und Beschaffungskriminelle werden. Hier braucht es deutlich mehr Präsenz von Polizei und Ordnungsdienst“, sagte Joisten: „Wir werden die Plätze aber nur befrieden, wenn wir den Drogenkranken auch Hilfe und eine Perspektive zurück ins Leben anbieten.“

„Verwahrlosung ist ein sehr unglücklicher Begriff“, befand Michael Weisenstein, Fraktionsgeschäftsführer der Linken: „Man sollte die verschiedenen Probleme konkret erkennen und Lösungsansätze entwickeln.“ Köln brauche weniger Restriktion und „mehr soziale Arbeit und Gesundheitsvorsorge, auch auf der Straße“. Weisenstein kritisierte: „Vielleicht hätte die Oberbürgermeisterin ihre Amtszeit besser dafür genutzt, mit progressiven Mehrheiten für mehr Wohnungen, Notschlafstellen und Drogenkonsumräume zu sorgen.“

Volker Görzel, Vorsitzender der FPD-Ratsfraktion und OB-Kandidat seiner Partei, bezeichnete es als „Fatalismus“, dass die Kritik von Reker komme, nachdem sie seit neun Jahren an der Spitze der Stadt stehe. Die bisherigen Konzepte erklärte Görzel für gescheitert. Er sagte: „Die AWB muss stärker in die Pflicht genommen werden.“ Auch spricht sich seine Fraktion für stärkere Polizeikontrollen und Patrouillen des Ordnungsamts aus: „In einer selbstbewussten Stadt darf nicht mehr hingenommen werden, dass wir uns an so prominenten Plätzen eine offene Drogenszene erlauben.“

Auch NRW-Innenminister Herbert Reul äußerte sich in der Diskussion, etwa für den Ebertplatz gebe es „nicht die eine Zauberlösung“, sagte er: „Die Polizei hat ihre Präsenz in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Außerdem gibt es rund um den Platz Kameras. Wir tun schon eine Menge.“ Zur Wahrheit gehöre aber auch: „Wir können die Probleme am Ebertplatz nicht alleine mit Repression lösen und polizeilich immer weiter hochrüsten. Es braucht viele langfristige Maßnahmen, von verschiedenen Akteuren vor Ort.“