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Sie wurde selbst bedrohtKölner Party-Veranstalterin berät Opfer sexueller Übergriffe

Lesezeit 5 Minuten
Menschen tanzen während eines Konzerts in einer Disco. (zu dpa: «Familienstreit vor Disco eskaliert - vier Männer festgenommen») +++ dpa-Bildfunk +++

Sexuelle Übergriffe passieren vor allem dort, wo keine Kontrollen herrschen. (Symbolbild)

Sexuelle Übergriffe im Nachtleben passieren vor allem dort, wo keine Kontrollen herrschen. Eine Party-Veranstalterin klärt auf.

Es gibt Phasen, da melden sich zwei bis drei Frauen nach einem Wochenende bei Roxi Lofcali. Sie berichten der 36-Jährigen von sexueller Belästigung, Übergriffen im Club oder bei After-Partys in einer privaten Wohnung. Manchmal bekommt sie Fotos von blauen Flecken oder Videos von einschlägigen Szenen zugespielt. Sie hört zu, fragt die Frauen, welches Ziel sie verfolgen: Wollen sie es anzeigen oder nicht? Die meisten wollen nicht. Sie bräuchten vielmehr das Gefühl, gehört zu werden, sagt Lofcali, die dann professionelle Stellen empfiehlt, wo die Betroffenen ihre Erlebnisse aufarbeiten können.

„Ich möchte die Person für andere sein, die ich selber gebraucht hätte“, sagt die 36-Jährige. Sie selbst ist Opfer sexualisierter Gewalt geworden und leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Wir treffen die Aktivistin, Party-Veranstalterin und Vorständin der Klubkomm, des Kölner Verbands der Clubs und Veranstalter, an einem Tag im August am Rhein. Lofcali ist seit dem Start ihrer Partyreihe „Nur böse“ im Jahr 2021 im Club „Helios37“ auch verstärkt auf Instagram aktiv. Hier klärt sie über Machtmissbrauch in der (elektronischen) Partyszene auf und plädiert für die Etablierung von Awareness-Strukturen in der Clublandschaft.

Awareness im Club bedeutet, das Prinzip Vielfalt zu beachten

Awareness bedeutet, „einen rücksichtsvollen, verantwortungsbewussten und solidarischen Umgang miteinander zu etablieren und zu pflegen“ – so definiert es die Initiative Awareness, die 2017 aus der Leipziger Veranstalterszene hervorgegangen ist.

Die Opfer von sexuellen Übergriffen hätten Angst vor „Victim blaming“, davor, dass sie nicht als Opfer gesehen, sondern als Lügnerin oder Lügner bezeichnet werden. Weswegen sie oftmals auch den Gang zur Polizei scheuten. „Die Betroffenen haben mehr Angst vor dem ‚Victim blaming‘ als die Täter vor dem Gesetz. Ich habe schon mit so vielen Frauen gesprochen, bei denen das Verfahren wieder eingestellt wurde, wo der Staatsanwalt sogar selbst ‚Victim blaming‘ betrieben hat, indem er die Begründung aufführte: Sie haben im Club Händchen gehalten und ihm eine romantische Beziehung symbolisiert.“

Entscheiden sich die Betroffenen doch zu handeln, versucht Lofcali mehrere Frauen miteinander zu vernetzen, wenn es um denselben Täter geht. „Ich empfehle ihnen, Beweise wie Fotos oder Nachrichten zu sammeln sowie Zeugenaussagen und einen Anwalt oder eine Anwältin hinzuziehen. Dieser oder diese nimmt die Aussagen der Betroffenen auf und leitet sie direkt an die Staatsanwaltschaft, sodass die Frauen erst gar nicht zur Polizei gehen müssen.“

Kölner Polizei erfasst 2023 insgesamt 34 Sexualdelikte in Bars und Clubs

Die Kölner Polizei hat im Jahr 2023 in ihrer Kriminalstatistik 2762 Sexualdelikte erfasst – das sind 308 Fälle mehr als 2022, was einem Plus von rund 13 Prozent entspricht. Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ teilt ein Polizeisprecher mit, dass 34 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in gastronomischen Betrieben – also Restaurants, Kneipen und auch Clubs – verübt wurden. 26 Fälle seien dem Tatbestand der „sexuellen Belästigung“ zuzuordnen, fünf dem Tatbestand der „Vergewaltigung oder sexueller Nötigung und des Übergriffs im besonders schweren Fall“. Von einer hohen Dunkelziffer ist auszugehen.

Lofcali jedenfalls sei ein Fan davon, auch öffentlich von Erlebnissen zu berichten. Einmal geriet sie dabei selber unter Beschuss. „Es gab vor ein paar Jahren einen Veranstalter, der massiv Machtmissbrauch betrieben hat in Köln, der ist mittlerweile raus. Der hat junge Frauen auf After-Partys auf Drogen gesetzt – auf GBL, die sogenannte Vergewaltigungsdroge“. Ihr Beitrag habe eine „Riesenwelle“ geschlagen.

„Ich wurde bedroht, musste abends ein Uber nach Hause bestellen.“ Um sich selbst zu schützen, habe sie entschieden, ihren Aktivismus in einen Verbandskontext einzubinden: bei der Klubkomm. Lofcali rief dort den Runden Tisch für „Safer Nightlife“ ins Leben. Einmal im Monat können Akteure des Nachtlebens daran teilnehmen. Das Ziel: „Mehr Sicherheit für diejenigen herzustellen, die andere Bedürfnisse haben und denen sonst im Alltag der Raum fehlt. People of Color sind in der Clubszene hier total unterrepräsentiert. Es geht auch um behindertengerechtes Ausgehen oder unterschiedliche sexuelle Orientierungen sowie Geschlechteridentitäten. Eigentlich um das Prinzip Vielfalt.“

Kaum Awareness-Strukturen in Kölner Clubs

Ideal wäre laut Lofcali ein geschultes Awareness-Team, an das die Partygäste sich wenden können sowie eine Stelle im Betrieb, die das Thema Awareness bearbeitet. Solche Strukturen gebe es aber so gut wie gar nicht in Kölner Clubs – anders als in Berlin, Hamburg oder Leipzig. „Das Odonien hat mal Schulungen durchgeführt, demnächst gebe ich einen Workshop im Jaki am Stadtgarten. Aber das war’s.“ Das hänge damit zusammen, dass die Betriebe kein Geld übrig hätten. „Da könnte der Staat zum Beispiel Förderungen einführen.“

Trotz allem bleiben Clubs relativ kontrollierte Orte, wo es Security- sowie Bar- und Garderobenpersonal gibt, das man hinzuziehen kann. Besonders schlimm ginge es aber auf den Partys nach der Party zu. „In den privaten Räumen passiert richtig viel Mist. Wenn bekannt ist, dass auf bestimmten Veranstaltungen oder privaten After-Partys Strukturen des Machtmissbrauchs herrschen oder viele Übergriffe passieren, dann lockt das bestimmte Leute.“

Es fielen in dem Zusammenhang immer wieder dieselben Namen von Veranstaltern oder Veranstaltungen. „Vor 20 Jahren war ein Klaps auf den Po normal, heute nicht mehr. Stell dich nicht so an, war der Tenor. Wir sind heute lauter, weil wir lauter sein dürfen und uns den Raum zurückerobern wollen“, sagt Lofcali.

Drogen auf Partys begünstigen Grenzüberschreitungen

Stefan Bohne, Betreiber des Ehrenfelder Clubs Artheater, weiß, dass in der Techno-Szene eine „offene, touchy Kultur“ herrsche, die jedoch auf gegenseitigem Einverständnis basieren solle. Die jungen Leute hätten das Entdecken ihrer Sexualität pandemiebedingt teilweise nicht so frei ausleben können. Dazu kommt noch der Drogenkonsum, der Übergriffe begünstige.

Dass Drogen und andere berauschende Substanzen maßgeblicher Treiber für Grenzüberschreitungen sind, glaubt eine Veranstalterin aus dem Kölner Raum, die namentlich nicht genannt werden möchte. „Mann stelle sich mal alle nüchtern im Club vor, da würde sicher nichts passieren. Das ist keine Entschuldigung, aber man sollte vorher im Klaren darüber sein, wo man hingeht, je nach Club gibt es mehr oder weniger Kontrolle.“

An manchen Abenden kann Roxi Lofcali kaum einen Club betreten, ohne auf das Thema Missbrauch angesprochen zu werden. Eine Frau habe ihr schonmal gleich im ersten Satz von einer Vergewaltigung berichtet. „Einmal konnte ich gerade mal 30 Minuten tanzen, sonst wurde mir von schlimmen Ereignissen erzählt. Danach ging es mir schlecht – das retraumatisiert mich. Dann sage ich auch manchmal: Ich kann das gerade nicht und ziehe mich zurück.“