- Wer sich an der Kölner Basis der SPD umhört, spürt viel Frust.
- „Die Zeiten sind nicht einfach. Doch ich hoffe, dass in der Krise auch eine Chance liegt“, sagt Sarah van Dawen-Agreiter, die zu den vielen Jüngeren an der Kölner Parteispitze gehört.
- Klare Kante, mehr Profil, weniger Beliebigkeit – das wünschen sich die Genossen von ihren Spitzen in Berlin.
Köln – Es ist kein Spaß, zurzeit SPD-Mitglied zu sein. „Wenn man so lange dabei ist, tut es weh zu sehen, wie die Partei zerbröselt“, sagt der 72-jährige Fraktionsvorsitzende der SPD in der Bezirksvertretung Nippes, Horst Baumann.
Vor einem halben Jahrhundert ist er in die Partei eingetreten. Da hat man schon einiges mitgemacht. Aber so schlimm wie zurzeit, stand es wohl noch nie um die organisierte Sozialdemokratie.
Frust, Trotz und Hoffnung
Wer sich an der Kölner Basis umhört, spürt viel Frust. Doch der verbindet sich offensichtlich mit einem trotzigen „Jetzt erst recht“. „Die Zeiten sind nicht einfach. Doch ich hoffe, dass in der Krise auch eine Chance liegt“, sagt Sarah van Dawen-Agreiter, die zu den vielen Jüngeren an der Kölner Parteispitze gehört. Der Rücktritt von Andrea Nahles sei ohne Frage eine tiefe Zäsur. „Nun geht es darum, das eigene Profil zu schärfen.“
Die Zeiten, in denen man meinte, möglichst allen irgendwie gefallen zu müssen, sollten vorbei sein. Es sei wichtig, an den Inhalten zu arbeiten, sagt auch ihre noch jüngere Kollegin im Parteivorstand, Kathy Letzelter. Es wäre fatal, wenn nun eine neue Personaldebatte begänne, die alles überlagert, so die 26-Jährige.
Pragmatismus hat Grenzen
Klare Kante, mehr Profil, weniger Beliebigkeit – das wünschen sich die Genossen von ihren Spitzen in Berlin. „Die SPD hat sich lange Jahre vom Kapital treiben lassen“, sagt Tim Cremer, Vorsitzender des Ortsvereins in der Südstadt und Bezirksvertreter. Er sei ein pragmatischer Sozialdemokrat.
Doch der Pragmatismus habe Grenzen: „Die SPD knickt viel zu oft ein, macht zu viele Kompromisse und Zugeständnisse.“ Das sei umso ärgerlicher, weil man doch an der Basis „hervorragende Arbeit“ leiste. Die Partei habe ein „irres Potenzial“. „Die Menschen wollen eine starke SPD.“
Beste Voraussetzung also für einen Neustart? Der selbstbewusste Verweis auf die eigene Arbeit und die vage Hoffnung, Wähler zurückzugewinnen, ist wohl zu wenig für ein Comeback. „Eine Patentlösung gibt es nicht. Wer die hätte, der würde zum nächsten Parteichef gewählt“, sagt Tobias Jacquemain (29), der Vorsitzende des Ortsvereins Mülheim/Buchforst.
Es müsse vor allem darum gehen, „Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen“. Die langjährige Tradition der Sozialdemokratie habe ja weiterhin ihre Bedeutung, „es gibt immer noch eine große Ungerechtigkeit in Deutschland.“ Es bleibe die Aufgabe der SPD, „den Schwachen zu helfen, stark zu werden“. Kathy Letzelter plädiert dafür, dass neben den sozialen Themen auch die Umweltpolitik einen größeren Stellenwert bekommen muss.
Vieles von dem, was die Sozialdemokraten erreicht haben, müsse den Bürgern besser vermittelt werden, sagt Walter Schulz aus dem Ortsverein Nippes. Auch in der Klimapolitik werde die SPD punkten können; Dann nämlich, wenn es um die Frage gehen werden, wie viele Einschränkungen die Menschen in Kauf nehmen sollen und wie die Kosten verteilt werden. Schulz ist der Bruder des Ex-Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Er glaubt, dass sich die SPD nicht vor den Kommunalwahlen fürchten sollte. Sie stehe in Köln besser da, als es die Zahlen der vergangenen Wahl erscheinen ließen.
Andrea Nahles’ Rückzug von der Partei- und Fraktionsspitze bedauert keiner der Befragten, doch mancher ärgert sich über den Zeitpunkt – aber auch über die Art und Weise wie in den vergangenen Wochen an der Parteispitze miteinander umgegangen wurde. „Eine Frau in so einer Position hat es schwerer als ein Mann“, ist sich Letzelter sicher. Die Stimme, ihr Aussehen, ihr Auftreten – all das sei bei Nahles in einer Weise kritisiert worden, wie man es bei einem Mann nicht tun würde.
Horst Baumann bezeichnet den Rückzug als „richtigen Schritt“. „Es muss einen Neuanfang geben“. Nahles habe es nicht geschafft, die unterschiedlichen Lager zu vereinen. Das traue er dem Kölner Bundestagsabgeordneten Rolf Mützenich zu, der nun die Fraktion übergangsweise führen wird. Der nächste Schritt müsse der Ausstieg aus der Koalition sein. Kanzlerin Angela Merkel habe es geschafft, „die SPD zu marginalisieren“. Seine Partei müsse ihre Themen „unbedingt mit Konsequenz bearbeiten“. Und sie habe den Fehler gemacht, „die Jugend nicht ernst zu nehmen“.