AboAbonnieren

„Klamotten sind keine Einladung!“Kölnerin erzählt, wie ein Fremder sie beim Joggen gefilmt hat

Lesezeit 6 Minuten
Eine Person geht entlang einer Allee nahe des Decksteiner Weihers in Köln spazieren.

Im äußeren Grüngürtel filmte ein Mann die Kölnerin Yanni Gentsch. Sie wehrte sich dagegen. (Symbolbild)

Von hinten filmt der Fremde sie. Yanni Gentsch bemerkt das – und stellt ihn zur Rede. Zwölf Millionen Menschen sahen ihr Video dazu auf Instagram.

„Ich habe Ihnen doch nichts getan“, sagt der Mann zu Yanni Gentsch. „Doch, Sie haben mich hier beim Joggen gefilmt“, sagt sie. „Wahrscheinlich auf meinen Arsch. Warum?“ Die Wut in ihrer Stimme ist deutlich zu hören. Sie filmt sich dabei, wie sie mit dem Mann diskutiert. „Ja, wenn Sie sich schon so darstellen“, kommt es von dem Mann.

„Nein! Meine Klamotten sind keine Einladung!“, sagt die Kölnerin laut zu dem Fremden. Es sollte völlig normal sein, dass sie in der Stadt joggen gehen kann. Sie sollte sich sicher fühlen können. Sie sollte dabei nicht belästigt werden, nicht gefilmt werden, nicht sexualisiert werden. Eigentlich. Doch die Realität sieht für Frauen anders aus. Auch in Köln. Yanni Gentsch hat sich dagegen gewehrt.

Joggerin zu dem Fremden: „Ich möchte sehen, dass das gelöscht ist!“

Denn sie bemerkt den Mann, der das Handy auf sie richtet, und fordert ihn auf, das Video zu löschen. Zu ihrer Sicherheit, erklärt sie später, filmt sie die Begegnung ebenfalls mit ihrem Smartphone.

Alles zum Thema Polizei Köln

„Aus dem Augenwinkel habe ich hinter mir den Schatten einer Person auf einem Fahrrad gesehen“, sagt die 30-Jährige im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Diese Person sei ihr viel zu nah gekommen. Daher dreht sich die Joggerin um und sieht, wie ein Mann eine Handykamera auf sie richtet, wohl auf ihren Po. Das Ganze spielt sich am Nachmittag des 16. Februar auf einem Weg entlang des Militärrings im Grüngürtel ab.

Sie teilt später ihr eigenes Video auf Instagram. Es wird tausendfach kommentiert und geteilt. Darin können inzwischen Millionen Nutzerinnen und Nutzer sehen, wie die Begegnung aus ihrer Perspektive – im wahrsten Sinne des Wortes – abgelaufen ist. Das Gesicht des Mannes hat sie unkenntlich gemacht.

Sie steht vor seinem Fahrrad, hält den Lenker fest. „Ich möchte sehen, dass das gelöscht ist“, sagt sie mit lauter Stimme. Er tippt auf seinem Smartphone herum, murmelt vor sich hin. Nach einer Weile sagt der Mann seufzend: „Es tut mir leid, mein Gott.“ Die Entschuldigung klingt eher genervt als reumütig.

Der Fremde tippt auf seinem Handy, um das Video, das er von Yanni Gentsch gemacht hat, zu löschen.

Yanni Gentsch fordert den Fremden auf, das Video zu löschen, das er von ihr gemacht hat.

Fremder filmt Kölnerin beim Joggen: Polizei kann keine Anzeige aufnehmen

„Ich sehe mich als eine generell sehr mutige, klare Persönlichkeit, mit viel Haltung“, sagt Yanni Gentsch über sich. „Weshalb es meinerseits absolut keine Toleranz für das Verhalten des Mannes gab und klar war, dass er hier nicht wegfährt, bevor dieses Video gelöscht ist.“

Tage später beschreibt sie das Verhalten des Fremden als „Paradebeispiel für Täter-Opfer-Umkehr.“ Das Verhalten des Mannes sei an „Dreistigkeit kaum zu übertreffen“, sagt sie dem „Kölner-Stadt-Anzeiger“. Seine Reaktion zeige ihrer Ansicht nach „dass er absolut nichts verstanden hat und sich nur dafür schämt, erwischt worden zu sein.“ Für das heimliche Filmen sieht sie bei ihm keine Scham.

Am Tag nach der Begegnung geht sie zur Polizei. Sie habe Anzeige erstatten und sich über rechtliche Schritte informieren wollen. „Die Polizei ließ sich die Situation schildern und sagte mir dann, dass leider keine ausreichenden Bedingungen für eine Anzeige vorliegen.“ Sie lässt aber einen sogenannte Beobachtungs- und Feststellungsbericht (BuF) anlegen. „Im BuF sind auch Fotos des Mannes hinterlegt. Er ist vielleicht nicht so weitreichend wie eine Anzeige und wirkt erstmal ernüchternd“, sagt die 30-Jährige.

Fällt der Mann erneut auf, kann der Bericht als Beweismittel dienen

In dem Dokument werden vor allem Beobachtungen festgehalten. Es kann als Beweismittel in einem Strafverfahren dienen, oder Grundlage für weitere Ermittlungen sein. „Es ist der erste kleine rollende Stein, der – sollte der Mann nochmal auffallen und gemeldet werden – die Grundlage für weitreichendere Schritte und gegebenenfalls eine Anzeige liefert“, so Yanni Gentsch.

Die Polizei Köln bestätigt den Vorfall auf Anfrage. „Auf eine Anzeige musste in der Tat verzichtet werden, da kein strafbares Verhalten vorlag“, erklärt eine Polizeisprecherin. Die Strafbarkeit bei Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs, zum Beispiel durch heimliche Filmaufnahmen, sei gegeben, wenn man sich in einem geschützten Raum aufhalte, nicht aber in der Öffentlichkeit, so wie in diesem Fall. Die Polizei habe mit dem BuF daher alles getan, was möglich sei, um den Fall zu dokumentieren.

Luisa Neubauer über Joggerin: „Du Queen. Für uns alle mit“

Wie die Frau sich gewehrt habe, sei sehr mutig gewesen, betont die Polizeisprecherin. „Aber ich würde in so einer Situation dennoch dazu raten, direkt die 110 anzurufen. Sie hätte sich mit so einer Konfrontation auch in Gefahr bringen können.“

Die positive Online-Resonanz auf ihr Video hilft Yanni Gentsch, die Situation zu verarbeiten. „Man merkte, dass viele Frauen die Situation kennen.“ Das Video hat inzwischen mehr als 500.000 Likes und 28.000 Kommentare, darunter auch von bekannten Persönlichkeiten und Feministinnen wie Luisa Neubauer oder Tara-Louise Wittwer (@wastarasagt). „Du Queen. Für uns alle mit“, schreibt die Klimaaktivistin.

Wittwer spricht Yanni ihren „höchsten Respekt“ für den Umgang mit der Situation aus. „Dass das Video so viele ermutigt und als erleichterndes Ventil für die eigene Wut über ähnliche Erfahrungen dient, war und ist immer noch sehr schön zu sehen“, betont Yanni Gentsch.

Belästigung muss ab da strafbar sein, wo sie anfängt. Das ist bisher nicht der Fall.
Yanni Gentsch

Wichtig sei für sie, dass solche Vorfälle nicht ins Nichts verschwinden. „Ich wünsche mir weiterhin Sichtbarkeit für das Thema“, sagt die 30-Jährige. „Belästigung muss ab da strafbar sein, wo sie anfängt. Das ist bisher nicht der Fall.“

Zumindest etwas hat sich in den vergangenen Jahren allerdings durchaus getan. 2016 wurde der Grundsatz „Nein heißt Nein“ ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Damit kommt es für die Strafbarkeit eines sexuellen Übergriffes nicht mehr darauf an, ob Gewalt angedroht oder angewandt wurde, sondern entscheidend ist: Die betroffene Person hat die sexuelle Handlung nicht gewollt.

„Es gibt Erfahrungen, die sind mehr oder weniger garantiert, wenn man als weiblich gelesene Person das Haus verlässt“, sagt Yanni. „Mich begleitet immer ein generelles Unwohlfühlen. Belästigung durch Männer hat einen immensen Einfluss auf den Alltag. Nicht umsonst gibt es Momente, in denen man die Straßenseite wechselt, Wege absichtlich anders geht, oder Geld in Schutzmaßnahmen investiert.“ Als Frau müsse man immer schon vorher mit Belästigung rechnen, die Belästigung selbst ertragen und hinterher verarbeiten. „Das raubt Zeit und Kraft, die man gerne anders nutzen würde.“

Beeinflusst sie diese Erfahrung auch noch bei ihren Jogging-Runden? Ja und Nein. Nach dem Vorfall habe ihr der Gedanke an den ersten Lauf zunächst ein ungutes Gefühl gegeben, sie Überwindung gekostet. Doch schon nach den ersten hundert Metern habe sie sich befreit und bestärkt gefühlt, sagt Yanni Gentsch.

Warum? „Ich wusste, ich laufe hier nicht mehr nur für mich. Sondern ich laufe hier gerade gedanklich zusammen mit jeder Frau, die sich wehren kann und ab jetzt noch mehr wehren wird. Ein ungutes Gefühl haben viele von uns sowieso. Und mein Video und meine Erfahrung beweisen bloß mit Bild und Ton, warum wir auch jedes Recht dazu haben.“