Christian Miller über das Benefiz-Eishockeyspiel für die Opfer von Ratingen und steigende Gewalt gegen Einsatzkräfte.
Kölns Feuerwehrchef im Interview„Seit Ratingen gehen die Kollegen mit einem anderen Gefühl in den Einsatz“
Herr Miller, Sie stammen aus einer eishockeybegeisterten Familie, zwei ihrer Söhne spielen im Verein, am Sonntag stehen Sie für den guten Zweck selbst auf dem Eis. Spielen Sie regelmäßig?
Ich habe in meiner Heimat einige Jahre hobbymäßig gespielt, später auch in der Uni-Mannschaft in München, inzwischen fehlt mir leider die Zeit. Ich komme aus dem Allgäu und bin in Füssen zur Schule gegangen, dort steht das Bundesleistungszentrum für Eishockey.
Wer hatte die Idee zu dem Benefiz-Spiel?
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Die beiden Mannschaften von Feuerwehr und Polizei. Ursprünglich wollten sie gegeneinander spielen und einen Hut rumgehen lassen, dann bekam das Ganze eine Eigendynamik, und jetzt spielen wir in der Kölnarena 2 vor bis zu 500 Zuschauerinnen und Zuschauern. Ich unterstütze das voll und es ist mir eine Herzensangelegenheit, auch selbst aufs Eis zu gehen. Ich hoffe, dass wir eine hohe Spende nach Ratingen weiterreichen können.
Wie haben Sie am 11. Mai von dem Anschlag in Ratingen erfahren?
Die Feuerwehr Köln war von Anfang an involviert. Mit dem Amtsleiter der dortigen Feuerwehr war ich wenige Wochen vorher noch auf Dienstreise. Ich habe ihn sofort angerufen und unsere Unterstützung zugesagt. Er hat mir geschildert, was passiert ist, diese fürchterlichen Verletzungen. Das hat mich sehr betroffen gemacht.
In der Erstphase sind unsere beiden Hubschrauber nach Ratingen geflogen und haben einen Notarzt und einen Feuerwehrmann mit schwersten Brandverletzungen ins Klinikum Merheim transportiert. Unser Team der psychosozialen Unterstützung steht mit Angehörigen der verletzten Kolleginnen und Kollegen in Kontakt. Wir bekommen mit, dass da ein großes Leid herrscht, es ist eine Riesenbelastung für die Familien. Gleichzeitig fühlen wir eine gewisse Ohnmacht, weil man eigentlich nicht so richtig etwas beitragen kann. Vielleicht können wir die Betroffenen mit den Spendeneinnahmen aus dem Spiel etwas unterstützen in dieser für sie extrem schwierigen Zeit.
Die Einsatzkräfte in Ratingen waren gerufen worden, weil hinter einer verschlossenen Tür die womöglich hilflose Bewohnerin vermutet wurde – stattdessen griff deren Sohn die Einsatzkräfte mit einer brennenden Flüssigkeit an. Muss man als Feuerwehrmann oder -frau immer mit so etwas rechnen?
Türöffnung ist in Köln Alltag für uns, das Einsatzstichwort heißt „P-Tür“, Person hinter Tür. Wir fahren am Tag vier- bis fünfmal einen solchen Einsatz, zwischen 1400 und 1500 Mal pro Jahr. Das ist absolute Routine. Wir gehen mit der Einstellung da heran, dass jemand unsere Hilfe braucht, vielleicht weil er oder sie gestürzt ist – eine Notsituation. Deswegen versuchen wir, schnell zu sein, die Tür schnell zu öffnen. Manchmal gehen wir auch über ein gekipptes Fenster rein.
Mit der gleichen Einstellung sind die Kolleginnen und Kollegen in Ratingen in diesen Einsatz gegangen. Sie machen die Tür auf, und sehen sich einem Anschlagsszenario mit heftigsten Folgen gegenüber. Mit so etwas kann man nicht rechnen. Bei aller Vorsicht und bei allem Wissen um Gefahren bleibt leider immer ein Restrisiko – vor allem wenn Menschen Gewalt gegen Einsatzkräfte geplant haben. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit in unserem Beruf. Auch wenn wir die Einsatzkräfte noch so gut schulen und ausstatten.
Gehen Ihre Kollegen seit dem Vorfall von Ratingen mit einem anderen Gefühl in einen „P-Tür“-Einsatz?
Ja, das ist so. Die Betroffenheit ist groß. Viele Kolleginnen und Kollegen sagen, sie verhalten sich jetzt anders. Sensibler. Noch aufmerksamer. Unsere Verfahrensweise sieht ohnehin schon so aus, dass vor jeder Maßnahme die Lage vor Ort erkundet und beurteilt wird. Die Einsatzkräfte erkunden das Umfeld. Man geht zum Beispiel einmal ums Haus herum, schaut sich im Treppenhaus um, verschafft sich einen umfassenden Eindruck der Situation. Das ist auch in Vorschriften verankert, wir trainieren das von der Grundausbildung an. Im Zweifel ruft man die Polizei zur Unterstützung. Aber auch ein Routineeinsatz kann ein Risiko bedeuten. Die Sensibilität, die bei uns immer schon da war, hat sich nach Ratingen noch einmal erhöht.
Wissen Ihre Einsatzkräfte, wer sie hinter einer Tür erwartet? Erhalten Sie vorher Informationen über die Person?
Wir haben auch bei „P-Tür“-Einsätzen immer wieder mit Menschen im Ausnahmezustand zu tun, manche sind psychisch erkrankt. Wenn die Leitstelle vorher Kenntnis davon hat, gibt sie das an die Kollegen vor Ort weiter. Nach dem tödlichen Angriff auf den städtischen Mitarbeiter Kurt Braun (am 13. Dezember 2019 in Köln, d. Red.) wurde bei der Stadt Köln das Zentrale Melde- und Auskunftssystem „Zemag“ eingeführt, es warnt insbesondere Außendienstkräfte vor potenziell gefährlichen Personen. Dieses Tool nutzen wir auch. Momentan müssen wir vor einem Einsatz noch selbst eine Prüfanfrage stellen. Die nächste Ausbaustufe ist ein automatisierter Abgleich, daran wird gearbeitet.
Ratingen war ein Extremfall. Steigt die Gewalt gegen Feuerwehr- und Rettungsdienstbeschäftigte auch im normalen Alltag?
Ja. Übergriffe sind zwar nicht an der Tagesordnung, aber es werden immer mehr. Ein Beispiel: An einem Wochenende abends auf den Ringen kollabiert eine Person und liegt auf dem Gehweg. Aus der Menge heraus tritt plötzlich jemand der Notärztin von hinten so stark in den Rücken, dass sie die Versorgung der Person abbrechen und selbst versorgt werden muss. Ein Angriff aus dem Nichts.
Es gibt auch Fälle, wo Menschen unter Drogeneinfluss oder im Krankheitszustand, etwa einer Psychose, unvermittelt mit der Faust zuschlagen. Gewalttätige Übergriffe sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Was mir Sorge macht, ist ein latent aggressives Grundrauschen. Viele Menschen akzeptieren es nicht, wenn wir Straßen sperren oder den Verkehr umleiten müssen. Die diskutieren dann, zum Teil sehr lautstark und aggressiv.
Wie bereiten Sie die Einsatzkräfte auf solche Situationen vor?
Wir schulen sie in Deeskalation. Sie lernen, wie sie durch ihr Verhalten, durch Gestik, Mimik und gezielte Kommunikation eine Eskalation vermeiden können. Das gilt für alle Einsätze, im Brandschutz wie im Rettungsdienst. Es ist auch ein Verdienst der Einsatzkräfte, dass nicht noch mehr passiert, weil sie vor Ort im Zweifel lieber mal einen Schritt zurückgehen, wenn sie merken, da läuft etwas in die falsche Richtung.
Können Sie sich vorstellen, Feuerwehrleute und Rettungsdienstkräfte mit Pfefferspray auszurüsten?
Das ist eine schwierige Entscheidung. Was ist der beste Schutz für die Einsatzkräfte? Ich sehe noch nicht, dass eine Aufrüstung der richtige Weg wäre. Wir arbeiten im Team, um Menschen zu helfen. Ich denke, auf lange Sicht fahren wir besser, wenn wir uns an der Einsatzstelle deeskalierend verhalten, die Situation fortlaufend einschätzen und im Zweifel Verstärkung rufen. Viele Situationen kann man mit Deeskalation lösen.
Ich frage mich: Wie sähe es aus, wenn wir mit einem Pfefferspray-Gurt in den Einsatz gehen? Wie wirkt das auf das Gegenüber? Und auch: Welche Regeln müssten wir uns geben, wann wir Pfefferspray einsetzen? Ich bin aber auch realistisch genug zu sehen, dass die Einsatzkräfte diesen Situationen ausgesetzt sind und dass sie den Rückhalt brauchen – nicht nur von mir, sondern von der ganzen Gesellschaft. Übergriffe auf Einsatzkräfte, auf Menschen, die kommen, um zu helfen, sind ein absolutes No-Go.
Zum Schluss noch ein Tipp: Wie geht das Spiel am Sonntag aus?
Gerade angesichts der Torprämie, die das Sozialwerk der Polizei ausgelobt hat, ist beiden Mannschaften bewusst, dass es nicht darum geht, Tore zu verhindern, sondern möglichst viele Tore zu schießen.
Und Ihr Tipp?
Ich würde sagen: Es wird ein knapper Sieg für die Backdrafts Cologne.