Die Kölner Fotografin Selina Pfrüner hat für ihr Projekt, in dem sie vollverschleierte Frauen in Deutschland porträtiert, scharfe Kritik geerntet.
Am Sonntag konnten Besucher Vollverschleierungen sogar selbst anprobieren. Doch ernsthaft: Das ist nicht mehr als ein allzu niedlicher Versuch der Empathie und Supertoleranz.
Die Ausstellung belebt eine schwierige Debatte. Staatlich unterstützt werden sollte sie nicht.
Ein Kommentar
Eine Künstlerin porträtiert vollverschleierte Frauen in Deutschland – und erntet wütende Kritik. Im Internet wird sie von Islamkritikern diffamiert und bedroht, die Eröffnung der Ausstellung im Atelierzentrum Ehrenfeld sichern Polizisten und Bodyguards.
Die Diffamierungen sind so bedauerlich wie erwartbar: trauriger Ausdruck des Zeitgeists. Mit dem Erstarken der so genannten sozialen Medien geht seit Jahren eine Polarisierung und Brutalisierung der öffentlichen Debatten einher.
Trotzdem stellen sich im Fall ihrer Ausstellung Fragen. Rechtfertigt der Zweck die Mittel? Sollten Künstler (so auch Jan Böhmermann, bevor er ein „Schmähgedicht“ gegen den türkischen Präsidenten Erdogan veröffentlicht) abwägen, ob sie mit ihren Projekten eher zur Spaltung beitragen als zur Integration? Wut und Hass eher hervorrufen als Aufklärung und Versöhnung? Vor allem aber stellt sich die Frage, was es für ein Zeichen ist, dass die Ausstellung zur Vollverschleierung sowohl vom Land wie von der Stadt Köln gefördert wird: Wird da ein Projekt unterstützt, dass zur Normalisierung von Vollverschleierung in Deutschland beiträgt? Und Wasser auf die Mühlen des politischen Islam gießt?
Das Kölner Kulturamt begründete seinen Zuschuss (3000 Euro) damit, dass Selina Pfrüner einen „spannenden, in keine Richtung wertenden Zugang zu der Thematik gefunden hat“. Das NRW-Kultusministerium (8000 Euro Zuschuss) verwies darauf, dass es „im Projektantrag explizit um eine kritische Auseinandersetzung mit fundamentalistischen Lebensarten und Weltanschauungen und gerade nicht um deren Förderung“ gehe. Zumindest die „kritische Auseinandersetzung“ ist zu hinterfragen.
Am Sonntag konnten Besucher testen, wie es sich anfühlt, selbst vollverschleiert zu sein – sie konnten Gesichtsschleier anprobieren. Das ist provokant und auch naiv – weil es bei diesem Thema um weit mehr geht als um das Einfühlen in Menschen, die stigmatisiert werden, weil sie sich verhüllen. In Ländern wie dem Iran und Saudi Arabien, in denen Verschleierungen für Frauen Pflicht sind, gibt es keine Gleichberechtigung. Frauen werden in diesen Ländern unterdrückt. Es sind Länder des politischen Islams – der nicht die Werte unseres Grundgesetzes teilt.
Selina Pfrüner sagt, sie habe sich nur um Frauen gekümmert, die in Deutschland vollverschleiert leben und andere Länder nicht mit in ihre Betrachtung aufgenommen. Vollverschleierte Frauen in Deutschland sind aber ohne einen anderen kulturellen Hintergrund gar nicht zu denken.
„Warum wird die so genannte Burka-Debatte in Deutschland so emotional geführt?“ „Und warum kommen dabei diejenigen, um die es geht, selbst am wenigsten zu Wort?“ Mit diesen Fragen machte sich Pfrüner an die Arbeit. Sie wollte einen Dialog anregen, sagt sie, und zumindest das ist ihr gelungen. Viele Medien haben berichtet, im Internet tobte der Mob.
Vor der Eröffnung in Köln demonstrierten am Freitagabend unter anderen Frauen aus dem Iran, der Türkei und Saudi-Arabien, die in der Ausstellung einen Affront sehen – gegen Frauen, die in Staaten des politischen Islam unterdrückt wurden, die ihr Leben für ihre Rechte riskierten. Islamische Staaten würden in dem Projekt ein Zeichen für die Normalisierung von Vollverschleierungen in Deutschland sehen – und auch so darüber berichten.
Kaum ein Journalist berichtete über die Frauen, die die Fotografin in ihren Arbeiten vorstellte. Die Porträtierten waren bei der Ausstellung auch nicht anwesend.
Was die verschleierten Frauen der Künstlerin sagten, ging unter im Echo der Kritik – auch das leider erwartbar. Auch das muss die Künstlerin nicht kümmern.
Selina Pfrüner sagt, sie habe bei ihrer Recherche erstaunlicherweise nur Frauen angetroffen, die sich „freiwillig vollverschleiern“. Dass diese Frauen aus patriarchalischen Kulturen kommen, in denen von Freiwilligkeit keine Rede sein kann, die jetzt aber – oft mit einem streng muslimischen Ehemann – in Deutschland leben, sollte bei den Antworten der Frauen jedoch bedacht werden.
Von öffentlichen Stellen unterstützt werden sollte eine Ausstellung zur Vollverschleierung nicht
Freiwillig, wirklich? Ich habe selbst vor einigen Jahren mit Frauen gesprochen, die in Köln vollverschleiert leben. Auch sie sprachen davon, „freiwillig“ den Schleier zu tragen.
Sie hatten Probleme damit, ihre Kinder auf Klassenfahrten zu schicken, weil sie dort möglicherweise sittlich gefährdet wären, die Kinder am Schwimmunterricht teilnehmen zu lassen oder in den Sportverein zu schicken. So wie sie sich selbst ausgegrenzt fühlten, grenzten sie sich selber ab – und wandelten dabei an der Grenze dessen, was unsere Gesetze erlauben und verbieten.
Die zwei Frauen, mit denen ich sprach, überlegten, ob Deutschland für sie dauerhaft das richtige Land sei. Ich dachte, spontan: Nein. Nicht, weil sie einen Schleier trugen, sondern, weil sie mit einer freien Gesellschaft offenbar große Probleme hatten.
Vollverschleierungen selbst anprobieren – das ist ein allzu niedlicher Versuch der Empathie und Supertoleranz, der verkennt, dass es in Ländern mit verpflichtendem Schleier nicht tolerant zugeht. Das liberale Bürgertum probiert den Niqab an – und draußen protestieren die Frauen, die wissen, was es heißen kann, Schleier zu tragen.
Was für die einen Toleranz heißt, heißt für die anderen Naivität und Respektlosigkeit. Im Leben begegnen sich diese Welten leider nur sehr selten.
Einhegenden Diskussionen über Verschleierung und den Islam zum Trotz ist der mediale Effekt bei der Kölner Ausstellung zur Vollverschleierung stärker als ihr Inhalt. Immerhin schafft es das Projekt, eine angst- und vorurteilsbeladene Debatte anzuregen – und ist unabhängig von grotesken Anprobier-Aktionen unbedingt zu verteidigen.
Von öffentlichen Stellen unterstützt werden sollte eine Ausstellung zur Vollverschleierung allerdings nicht. Aus Respekt gegenüber Frauen auf der ganzen Welt, die unterdrückt werden und sich verschleiern müssen.