Köln – Dies ist eine Geschichte von Licht und Finsternis. Man könnte sie überall auf der Erde beginnen lassen. Warum also nicht unter dem Kölner Himmel und dort an jener Stelle, wo man ihm am nächsten ist? Im Nippeser Planetarium trifft man auf Hermann Gundermann (78), der vor 50 Jahren die Sternwarte an der Blücherstraße aufgebaut hat und auch heute noch leitet. Eigenhändig hat der ehemalige Mathematik- und Physiklehrer die Kuppel und das Planetarium gebaut, und viele der Kameras und Teleskope organisiert, die in der Einrichtung verwendet werden. Seit einiger Zeit ist der Blick in den Sternenhimmel freilich getrübt: „Mindestens die Hälfte aller Sterne kann man von hier aus gar nicht mehr sehen“, ärgert sich Gundermann.
Schuld daran ist – außer der Umweltverschmutzung und den vielen rheinischen Wolken – auch das Kölner Kunstlicht. Früher konnte Gundermann mit seinen Spezialkameras 40 Minuten lang Bilder vom nächtlichen Sternenhimmel machen. Die lange Belichtungszeit garantierte scharfe Fotos. Heute sei nach zehn Minuten Schluss, weil die Scheinwerfer, die auf Dom, Kölner Brücken und Altstadt gerichtet seien, weit in den Himmel hinaufscheinen und ihm die Fotos verderben. Wenn Gundermann einen schönen Sternenhimmel sehen will, fährt er längst in sein Haus in der belgischen Schnee-Eifel. „Da kann man immer noch die Milchstraße sehen. In Köln geht das längst nicht mehr.“ Die Besucher der Nippeser Sternwarte lernen die Gestirne daher meist nur noch im Planetarium kennen, wo man den Sternenhimmel künstlich nachgebaut hat.
Lichtverschmutzung, wie Experten die zunehmende Helligkeit in der Nacht nennen, ist freilich kein Kölner Phänomen. „Die Beleuchtung in den Städten hat dramatisch zugenommen“, sagt Magnus Wessel von der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). „Berlin sehen Sie heute schon von Polen aus.“ Jedes Jahr wachse der Lichtbedarf bundesweit um ein Prozent. Im Sommer 2016 veröffentlichte ein internationales Forscherteam den „Atlas zur Lichtverschmutzung“, der zeigt, dass weite Teile der Welt geradezu in Licht gebadet werden. Nur noch ein Prozent der Europäer gucken auf einen von künstlichem Licht völlig unberührten Himmel, der Rest muss darauf verzichten. Kein Wunder also, dass laut einer Emnid-Umfrage ein Drittel der Deutschen noch nie die Milchstraße gesehen haben.
Tatsächlich wird es auch in den Kölner Nächten immer heller. Gab es stadtweit im Jahr 2000 noch 75 000 Straßenlaternen, waren es 2015 schon knapp 85 000 Lampen, teilt der Stromversorger Rheinenergie mit. Zwar arbeiten die neueren Leuchten energiesparender, seien aber auch wirkungsvoller, mit anderen Worten: heller. Im Straßenverkehr und auf Fußwegen sei das ausdrücklich erwünscht. Denn das Sicherheitsgefühl der Menschen nehme mit zusätzlichem Licht zu, sagte eine Sprecherin der Rheinenergie.
Das Kunstlicht richtet aber in der Tierwelt große Schäden an. Straßenlaternen werden für Insekten zur tödlichen Falle. Experten wie der Mainzer Biologe Gerhard Eisenbeis schätzen, dass an den neun Millionen Straßenleuchten in Deutschland binnen dreier Monate 91,8 Milliarden Insekten umkommen. Manche verbrennen, manche sinken einfach erschöpft zu Boden, wo sie leichte Beute für andere Tiere sind. Auch Vögel sind oft irritiert von den Kunstleuchten. Experte Wessel kann Geschichten erzählen von Blaumeisen, die mitten im Winter zu brüten beginnen. Weil es zu dieser Zeit noch keine Insekten als Futter gibt, verendet der Nachwuchs jämmerlich. Geschichten von Kranichen, die von Sky Beamern geblendet werden, ziellos umher fliegen und anschließend nicht mehr genug Kraft haben, ihren Wanderflug fortzusetzen. Oder von Aalen, die ihre Wanderung unterbrechen, wenn sie im Wasser auf eine Lichtquelle stoßen. Der BUND fordert nun von den Kommunen, die Lichtverschmutzung einzudämmen.
Mancherorts hat man damit gute Erfahrungen gesammelt. Die Initiative gegen Lichtverschmutzung berichtet von drei Dutzend deutschen Kommunen, die Straßenlaternen zwischen 23 und 5 Uhr abschalten – darunter befinden sich auch Großstädte wie Schwerin. Das nordrhein-westfälische Moers spart auf diese Weise 125 000 Euro pro Jahr an Energiekosten sowie 600 Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid ein. Auch im rheinischen Kerpen werden zumindest teilweise die Straßenlaternen nachts ausgeschaltet. Ersparnis: 8000 Euro. Beschwerden von Bürgern gebe es nicht, auch keine Probleme mit Kriminalität, sagt Stadtsprecher Erhard Nimtz.
Die 85 000 Straßenlaternen nachts auszuschalten, steht derzeit nicht auf der Agenda der Stadt Köln. Immerhin hat die Kommune ihre Quecksilberlampen durch Natriumdampflampen ersetzt, die einen warmen Gelbton spenden, der für viele Tiere verträglicher ist. 5577 Lampen sind bereits auf die hocheffizienten und damit umweltfreundlichen LED-Lichter umgerüstet worden. Damit die Stadt nicht in einem Lichtermeer ertrinkt, gibt es zudem verschiedene Satzungen, die bestimmen, welche Gebäude zu welcher Nachtzeit angestrahlt werden dürfen. Im wesentlichen sind das die Brücken, Teile der Altstadt, einige Hochhäuser und Kirchen.
Ärger gab es im vergangenen Jahr um das mittlere Kranhaus im Rheinauhafen: Hier blinkte ein Leuchtband, das sich um den 56 Meter hohen Bau zieht, seit 2011 in mancher Nacht wie in einer Diskothek. Erst durch Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ kam heraus, dass die Eigentümer, das Unternehmen IVG Institutional Funds, sich an eine Vereinbarung mit der Stadt, das Band nicht zu nutzen, nicht gehalten hatte. Jetzt darf die Leuchte nur noch an bestimmten Tagen strahlen.