In einem bizarren Streit versucht nun die Stadt Köln, eine Einigung mit dem Eigentümer einer Junkersdorfer Privatstraße zu erzielen.
Stadt spricht von „laufendem Verfahren“Kölner Ehepaar macht sich strafbar, sobald es sein Haus verlässt
Müde sei sie, sagt Perwin Sakar, „und mit den kompletten Nerven am Ende“. Sobald sie aus dem Haus geht, macht sich Sakar, Führungskraft eines Kölner Konzerns, seit dem 3. Januar strafbar. Da hat das Kölner Amtsgericht nach einem über drei Jahre schwelenden Wegerechtsstreit geurteilt, dass sie und ihr Mann Latif Bekiri beim Betreten der Junkersdorfer Privatstraße, an der ihr Haus liegt, 250.000 Euro zahlen müssen – es sei denn, sie sitzen ihre „Straftat“ lieber im Gefängnis ab. Das Paar weigert sich, Gebühren für die Nutzung des Weges zu zahlen – darauf aber habe der Eigentümer ein Anrecht, urteilte das Gericht.
Jetzt strebt der Eigentümer der Privatstraße in Junkersdorf laut Sakar die Vollstreckung des Urteils an – obwohl die Stadt Köln nach mehreren Berichten des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in einer Mail an den Anwalt des Ehepaars angekündigt hatte, die Straße öffentlich umwidmen zu wollen. Nachdem die Stadt das Ehepaar seit Sommer 2020 immer wieder vertröstet hatte, war das Rechtsamt vor einigen Monaten zu der Einschätzung gekommen, dass der Eigentümer verpflichtet gewesen wäre, die Straße nach dem Bau im Jahr 1973 unentgeltlich an die damalige Gemeinde Lövenich zu übertragen. Das hatte er aber nicht getan. Auf Anfrage dieser Zeitung äußert sich der Anwalt der Straßeneigentümer nicht.
Sollte der Eigentümer einer öffentlichen Widmung nicht zustimmen, „werden wir die öffentliche Widmung auch ohne Zustimmung durchführen“, heißt es in einer Mail des Rechtsamts an den Anwalt des Ehepaars. Bis Ende Januar hatte die Stadt dem Eigentümer der Privatstraße im Stüttgerhofweg Zeit gegeben, seine Sicht der Dinge darzulegen. Einer freiwilligen Umwidmung habe der Eigentümer nicht zugestimmt, teilt eine Sprecherin der Stadt Köln nun auf Anfrage mit. „Die Stadt befindet sich mit ihr derzeit im Austausch, um zu einer tragfähigen Lösung zu gelangen.“ Details könnten nicht genannt werden, da es sich „um ein laufendes Verfahren handelt“.
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Der Nachbarschaftsstreit war entbrannt, als das Ehepaar kurdischer Herkunft nach dem Kauf des Hauses im Sommer 2020 einen Gasanschluss in der Straße verlegen wollte. Der Eigentümer ließ die Bauarbeiten zunächst stoppen, das Paar setzte sein Recht auf freie Energiewahl durch. In der Folge eskalierte der Streit.
Wie der Kölner Nachbarschaftsstreit eskalierte und warum selbst das Gericht die Situation für absurd hält
So verboten die Eigentümer dem Ehepaar, ihr Auto am Zaun neben ihrem Garten zu parken – dort, wo auch die Vorbesitzer des Hauses geparkt hatten und andere Nachbarn es bis heute tun. Das Amtsgericht gab den Klägern indes recht: Das Ehepaar müsse andernfalls bis zu 250.000 Euro Ordnungsgeld zahlen oder mit bis zu einem halben Jahr Gefängnis rechnen. Später versperrte ein Bekannter der Eigentümerfamilie Handwerkern den Weg, es gab einen Eklat auf offener Straße. Die hinzugerufene Polizei zog mit dem Hinweis aufs Privatrecht wieder ab.
Perwin Sakar und Latif Bekiri wandten sich immer wieder an die Stadt Köln, auch an Oberbürgermeisterin Henriette Reker persönlich, und wiesen darauf hin, dass die Straße öffentlich gewidmet werden müsse – der Eigentümer der Straße handele schikanös, die Privatstraße bedeute eine Rechtslücke, die den Wert des Eigentums mindere und Willkür Tür und Tor öffne – das gelte auch für alle anderen Nachbarn.
Stadt Köln reagierte zunächst ausweichend – grundsätzlich sei das Ehepaar aber im Recht
Eine Umwidmung der Straße sei „mit Schwierigkeiten verbunden“, die Eigentümerzustimmung „kaum zu erlangen“, der Zustand der Straße müsse zudem „städtischen Anforderungen entsprechen“, antwortete die Stadt zunächst ausweichend. Grundsätzlich sei das Paar aber im Recht: Im Erschließungsvertrag sei schließlich festgehalten worden, dass die Straße öffentlich gewidmet werden soll.
Zwischenzeitlich gab es Möglichkeiten der Einigung: Das Amtsgericht beschied, dass die Eigentümer ein Anrecht auf Nutzungsgebühren hätten, allerdings nicht wie gefordert in Höhe von 50 Euro pro Tag, sondern lediglich von 300 Euro im Jahr. Perwin Sakar und Latif Bekiri lehnten ab – sonst wären sie „ja weiterhin Willkür und Schikanen ausgesetzt gewesen“, sagt Sakar. 95.000 Euro hätten sie inzwischen allein für Anwaltskosten ausgegeben.
Einen Teil davon hätte sich das Paar wohl auch ersparen können, wenn ihr Anwalt rechtzeitig ein Notwegerecht beantragt hätte – daraufhin hatte auch das Amtsgericht den juristischen Vertreter von Sakar und Bekiri aufmerksam gemacht. Das Notwegerecht müsse explizit verlangt und gegebenenfalls eingeklagt werden. Mit erteiltem Notwegerecht hätte der Eigentümer keine Möglichkeit gehabt, dem Paar das Betreten der Privatstraße zu verbieten. Weil das Notwegerecht nicht beantragt worden sei, sei es erst zu dieser „unsinnigen Situation“ gekommen, sagte der Amtsrichter, der die Paradoxie der Gemengelage betont hatte.
Eigentümer, die sich strafbar machen, sobald sie ihr Haus verlassen – das widerspricht dem Grundgesetz und wird äußert selten vor Gericht verhandelt. Der Anwalt des Ehepaars hatte das Notwegerecht nicht beantragt, weil er argumentierte, dass seine Mandanten dann verpflichtet gewesen wären, eine Notwegerente zu zahlen. Inzwischen haben Perwin Sakar und Latif Bekiri den Anwalt gewechselt. Fortsetzung folgt.