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Schleyer-EntführungBlutspur begann am Stadtwald

Lesezeit 3 Minuten

Gespenstische Szenerie am Tatort in Braunsfeld

Braunsfeld – Ein weißer Bulli am Straßenrand, unscheinbar, nicht weiter auffällig. Doch in den Erinnerungen von Eitel Gradtke spielt der Wagen eine große Rolle. Der heute 74-Jährige hat den VW damals gesehen, an jenem 5. September 1977, als er auf dem Weg von einem Fußballspiel zu seiner Polizeiwache war, „um kurz zu duschen“, wie er heute sagt. Was wäre passiert, wenn Polizeihauptmeister Gradtke den Transporter überprüft hätte?

Doch der gebürtige Königsberger ist nicht im Dienst. Und erfährt kurze Zeit später auf der Wache, was um 17.28 Uhr passiert ist: Die „Kolonne Schleyer“ des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer ist von Mitgliedern der RAF angegriffen worden, nachdem die Terroristen einen leeren Kinderwagen auf die Straße gerollt und die Kolonne so gestoppt hatten.

„Ich habe mir nur noch meine Pistole geschnappt und bin los“, erinnert sich Eitel Gradtke. Heute jährt sich der Tag der Schleyer-Entführung, der den Beginn des „Deutschen Herbst“ markierte, zum 35. Mal. Die Erinnerung lässt den pensionierten Polizeibeamten nicht los. Er war damals der zweite Polizist am Tatort: „Ich habe lange noch von den Bildern geträumt, die ich dort gesehen habe.“

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Knapp 120 Schüsse feuern die Terroristen Willy-Peter Stoll, Sieglinde Hofmann, Peter Jürgen Boock und Stefan Wisniewski aus großkalibrigen Waffen ab. „Die Einschusslöcher waren daumengroß“, berichtet Gradtke. Zusammen mit seinen Kollegen sperrt er den Tatort ab. Für Schleyers Fahrer Heinz Marcisz und die begleitenden Polizisten Reinhold Brändle (41), Helmut Ulmer (24) und Roland Pieler (20) kommt jede Hilfe zu spät. Sie sterben im Kugelhagel. „Das war einfach nur grausam“, schildert Gradtke seine Eindrücke von damals.

Die Todesschützen haben den 62 Jahre alten Schleyer in ihrer Gewalt, entkommen in einem weißen VW-Bus mit dem Kennzeichen K-C 3849. Das Fluchtfahrzeug wird in der Tiefgarage des Hochhauses Wiener Weg 1b in Köln-Junkersdorf gefunden.

Die Entführer sind mit ihrem Opfer Schleyer weiter geflüchtet. Erst sehr viel später wird man feststellen, dass sie gar nicht so weit gefahren sind – nur bis Erftstadt. Die Entführer haben die Bundesregierung aufgefordert, elf inhaftierte Gesinnungsgenossen freizulassen und auf jegliche Fahndung zu verzichten. In Bonn beruft Bundeskanzler Helmut Schmidt einen großen Beratungsstab ein, der sich fortan Tag und Nacht mit der Lage befasst.

Fatale Fehler

Trotzdem passieren fatale Fehler: Die Wohnung in der Straße „Zum Renngraben“, in der Schleyer versteckt wird, gerät ins Visier der Polizei − auch eines Kollegen von Eitel Gradtke. Doch die Meldung, in der der Krisenstab über die Beobachtungen informiert wird, kommt nie an. Sie landet in der falschen Ablage. „Sowas darf doch nicht passieren, das ist mir unbegreiflich“, ereifert sich Eitel Gradtke noch heute.

Mit der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ erreicht die Krise am 13. Oktober schließlich ihren Höhepunkt. Die Geiseln werden zwar fünf Tage später befreit, doch der Fall Schleyer endet für alle beteiligten Ermittler – auch Eitel Gradtke– mit einer Niederlage. Schleyers Leiche wird am 19. Oktober im Kofferraum eines Audi 100 in Mülhausen gefunden. Der Entführte ist erschossen worden. Wer die Todesschüsse abgab, ist auch 35 Jahre später ungeklärt.