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Auferstehung, ewiger KreislaufOsterspaziergang über Melaten mit einem Experten für Leben und Tod

Lesezeit 8 Minuten
Porträt von Friedhofsleiter vor einer Skulptur des Sensenmannes.

Peter Lejeune war 21 Jahre Friedhofsleiter auf Melaten. Hier steht er vor der Figur des Sensenmannes.

Peter Lejeune hat den ältesten Kölner Friedhof 21 Jahre lang geleitet. Und viele Menschen getröstet. Dem Tod blickt er gelassen entgegen.

Die Kirschbäume blühen, Hummeln und Zitronenfalter schwirren über die Millionenallee des Melatenfriedhofs, über den Kies krabbeln Feuerwanzen. „Ich habe hier meine Angst vor dem Tod verloren“, sagt Peter Lejeune. „Kein Ort hat mich stärker geprägt als Melaten.“ Wo ließe sich besser über Tod und Auferstehung sprechen als auf diesem wunderschönen Kölner Friedhof, auf dem schon mehr als 320.000 Menschen ihre letzte Ruhe gefunden haben? Und wer wäre ein besserer Gesprächspartner?

Ich habe immer geguckt, wo es für wen am besten passt, es gab natürlich auch viele Wünsche
Peter Lejeune, langjähriger Leiter des Kölner Friedhofs Melaten

Peter Lejeune hat den Melaten-Friedhof für 21 Jahre geleitet, 35 Jahre hat er hier gearbeitet. Er hat dafür gesorgt, dass der legendäre „Express“-Fotograf Zik ein Plätzchen neben dem vielleicht noch etwas legendäreren Fotografen Chargesheimer erhielt, dass Willy Millowitsch gegenüber von Büttenredner und Nazigegner Karl Küpper seine letzte Ruhe fand. „Ich habe immer geguckt, wo es für wen am besten passt, es gab natürlich auch viele Wünsche“, sagt Lejeune.

Vor allem habe er auf Melaten viel über den Tod gelernt – und über das Leben. „Friedhofsphilosoph“ nennen ihn hier manche. So einigen hat er geholfen, das eigene Sterben ein wenig leichter zu nehmen.

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Der Tod ist zu einem regelmäßig auftauchenden Gefährten geworden

Fünf oder sechs Jahre alt sei er gewesen, als ihm bei der Beerdigung seiner Oma geschwant habe, dass auch er irgendwann an der Reihe sei, erzählt Peter Lejeune: „Ich erinnere mich noch gut, wie ich am Grab stand und mich der Gedanke, dass auch ich sterben werde, traf wie ein Felsbrocken. Ich sterbe! Und bin dann nicht mehr da! Das ist ja für jeden erstmal ein Schock.“

Beim Autor dieses Textes war es ähnlich: Bei der Beerdigung seiner Oma fiel er als kleiner Junge in Ohnmacht. Es war zu viel. Als mit 18 Jahren ein Tenniskumpel an Krebs starb, war das eines der traurigsten Ereignisse seines Lebens, obwohl der Kumpel kein enger Freund war. Inzwischen ist der Tod zu einem regelmäßig auftauchenden Gefährten geworden.

Seinen Schrecken verloren hat er nicht, obwohl es immer wieder Menschen gibt, die einen entspannten bis bewundernswerten Umgang mit ihm pflegen: Der Künstler, der Krebs im Endstadium hat und abseits der Chemotherapien nach Kräften weiter malt, musiziert, schreibt – und sagt: „So lange ich hier bin, tue ich, was ich kann. Und bin dankbar, für das, was war und ist.“

„Dass ein Gott auf uns aufpasst, beruhigt mich ungemein“

Die gläubige Bekannte, die sagt: „Es ist gut, zu glauben, dass es weitergeht, mit etwas Schönerem. Dass ein Gott auf uns aufpasst. Das beruhigt mich ungemein.“ Der Freund, der sich lustig macht über den Tod: „Er hat schon so vielen erfolgreich Angst eingejagt und damit die Lust am Leben genommen – das schafft er bei mir nicht!“

Zen ist eine ständige Auseinandersetzung mit dem Tod, ich fühle mich ihm oft sehr nahe
Willy Decker, Opernregisseur und Zen-Buddhist

Oder Willy Decker, der weltbekannte Kölner Opernregisseur, der seit vielen Jahren Zen-Buddhismus praktiziert, und tagtäglich in der Meditation versucht, frei zu werden vom Denken, Körperempfindungen, von Angst. „Zen ist eine ständige Auseinandersetzung mit dem Tod, ich fühle mich ihm oft sehr nahe“, sagt er.

Die Ruhe – im besten Fall als Rückkehr zum Urzustand ohne Begriffe – scheint ihm zu helfen, dem Tod entspannter entgegenzublicken. Frieden habe auch auf dem Gesicht eines Freundes gelegen, der mit Anfang 50 plötzlich starb, als er mit seinem Rad im Sommerurlaub in Kroatien einen Berg hinauffuhr. Frieden zu finden im Tod – damit verbinden auch Religionen den Tod.

Grab von Moritz Ritterbach mit Geißbock Hennes und FC-Schal

Das Grab von Moritz Ritterbach

Peter Lejeune steht vor dem Grab von Moritz Ritterbach, das ein Geißbock mit FC-Schal bewacht. Moritz litt an einem schweren Gendefekt und feierte sein Leben, bis er mit 23 Jahren plötzlich und unerwartet starb. Der Autor dieses Textes hat damals für einen Nachruf die Familie besucht und ihr Leid erlebt – und ihre Liebe, die den Tod überdauert.

„Zu früh kommt der Tod leider sehr oft“, sagt Peter Lejeune. Er sei freilich überzeugt, dass „es das Wichtigste ist, dass die Seele geboren ist. Die kann nicht zerstört werden.“ Was ihn so sicher mache? „Sicher wissen wir es erst, wenn es so weit ist, aber sonst hätte unser Leben ja keinen Sinn: Und wir empfinden es doch meistens als sinnvoll“, sagt er vergnügt.

Es ist sehr traurig, wenn Kinder sterben. Aber jedes Leben hat einen Grund. Ohne Grund existiert und vergeht nichts
Peter Lejeune

Er bleibt vor den Reihen der Kindergräber stehen, weiße Kreuze, bunte Windräder, Murmeln und Spielzeuge schmücken die Ruhestätten. Die Lebensdaten zeigen, dass viele der Kinder nicht mal ein Jahr alt geworden sind. „Das ist sehr traurig. Aber jedes Leben hat einen Grund. Ohne Grund existiert und vergeht nichts“, glaubt Lejeune.

Jesus galt als Ketzer und musste früh sterben

Jesus, erzählt die biblische Geschichte, wurde wegen vermeintlicher Gotteslästerung hingerichtet. Er musste als junger Mann sterben, weil er als Ketzer galt. Obwohl er Liebe predigte, Kranke heilte und Menschen Glauben ins Leben schenkte. Aus Liebe zu den Menschen war er bereit, ihre Schuld auf sich zu nehmen – und zu zeigen, dass unsere Sorge vor dem Tod unbegründet ist. Wohl keine Geschichte hat mehr Menschen getröstet als jene von Jesus, die auf Melaten auf vielen Gräbern erzählt wird. Familiengruften werden von Engeln bewacht, Symbole für die Begleitung ins Jenseits.

Bild einer Engelsstatue und einer trauernden Frau auf Melaten

Ein Engel beruhigt eine trauernde Frau: Im Himmel ist es schön.

Einmal habe er eine untröstliche Mutter am Grab trösten können, „weil ich ihr eine Geschichte vom ewigen Kreislauf des Lebens erzählt habe und von der Gewissheit, dass die Toten in uns weiterleben“, sagt Peter Lejeune. Das kennt jeder: Die nahen und wichtigen Menschen bleiben in Gedanken da. Auf einer Engelsstele sitzt eine Blaumeise und zwitschert Lejeune zu.

Aber wie ist es mit dem Vermächtnis ein paar Generationen später? „Es bleibt alles erhalten, da bin ich ganz sicher“, glaubt der frühere Friedhofschef. Und meint damit wohl etwas Ähnliches wie Albert Einstein, der von einer „kosmischen Religion“ sprach, einer „wunderbaren Ordnung in der Natur und in der Welt der Gedanken“.

Für alte Menschen verliert der Tod oft seinen Schrecken

Als Christ, sagt Peter Lejeune, glaube er an eine Form der Auferstehung, „womöglich auch in der Gestalt, die wir jetzt haben“. Dass Sterben einen Übergang bedeutet, ist gewiss. Der Leib, der sich bewegt, denkt und spricht, will und macht, liebt und leidet, ist weg. „Was danach ist, erfahren wir erst im Tod.“ Was ihn tröste, sei zunächst, dass die Atome nicht verloren gehen, kein einziges. „Sie formieren sich neu, aber nach dem Energieerhaltungsgesetz bleibt alles erhalten“. Das sei das eine. Das zweite: „Ich bin überzeugt, dass jede Seele einen Auftrag hat.“

Das könne ein langes Leben voller Verantwortung und Leistungen sein, genauso ein sehr kurzes, das für die Angehörigen viel Leid bedeutet, aber auch tiefe Erkenntnis. Lejeune steht am Grab des Saturn-Gründers Fritz Waffenschmidt, ein Mosaik mit 100.000 Steinen zeigt die Szene vom verzweifelt betenden Jesus und seinen schlafenden Jüngern am Ölberg. Im Christus, der mit der Angst kämpft, finden sich viele von uns wieder, wenn sie sich verlassen fühlen von Freunden, wenn Kriege die Welt bedrohen oder Krankheit das Leben der Liebsten. „Auch Jesus hatte Angst vor dem Tod“, sagt Lejeune.

Grabstein mit Mosaiksteinen zeigt betenden Jesus und schlafende Jünger.

Das Grab des Saturn-Gründers Fritz Waffenschmidt ziert ein Mosaik mit 100.000 Steinen.

Für viele alte Menschen verliert der Tod seinen Schrecken. „Meine Großmutter hat immer gesagt: Wovor sollte ich mich denn noch fürchten?“, erinnert sich der 71-jährige Lejeune. Sie hatte den Krieg erfahren, Hunger, Entbehrung, den Tod fast aller Freunde und Verwandten. Der Tod war nicht nur ein Gefährte, er hatte sich immer wieder brutal, gewaltsam und willkürlich gezeigt. „Sie dagegen hatte ihr Leben gelebt und freute sich fast auf den Übergang.“

Seine Schwiegermutter sei „mit einem friedlichen Gesicht hinübergegangen“, sagt Lejeune. Seine Frau und er hielten währenddessen ihre Hand, „nicht allein zu sein und auch am Ende berührt zu werden, hilft vielen ganz sicher“.

Das Leiden zu Lebzeiten in den Griff bekommen

Er bleibt vor dem schlichten Grab mit Holzkreuz von Gabi Schneider-Wessling stehen, der Frau des bekannten Kölner Architekten Erich Schneider-Wessling. Mit dem eigenen Tod habe ihre Mutter kein Problem gehabt, erzählten die Kinder von Gabi Schneider-Wessling dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ für einen Nachruf. Nach dem Tod einer Tochter hatte Gabi Schneider-Wessling sich intensiv mit Buddhismus und Reinkarnation beschäftigt. Sie interessierte sich mehr dafür, wie das Leiden zu Lebzeiten in den Griff zu bekommen ist, denn das Leiden als Voraussetzung für Erlösung zu akzeptieren. Für Buddhisten bedeutet Erlösung, sich vom ewigen Kreislauf von Wiedergeburten zu befreien.

Nicht wenige alte Menschen ersehnen den Tod herbei. „Viele vor allem deswegen, weil sie zu ihrem verstorbenen Partner wollen“, sagt Lejeune. Kein Zufall, dass der verbliebene Partner oft kurz nach dem zuerst gegangenen verstirbt. Auf einem schlichten Stein unter einer gewaltigen Platane ist graviert: „Ich bin vor Dir gegangen und warte auf Dich.“ Ein Satz, der dem Sinn nach nicht nur auf Melaten öfter zu lesen ist.

Die Frage, ob der Tod das Ende ist, trägt der Mensch mit sich herum, seit er denken kann. Er gründete Religionen und Wissenschaften, um unserer Urangst hoffnungsvolle Antworten entgegenzustellen. Der christliche Glaube stellt die Wiedergeburt ins Zentrum. Er ist vielen Menschen auf Melaten begegnet, die dieser Gedanke getröstet hat, sagt Peter Lejeune. Er selbst hat die Welt bereist, um zu lernen, wie die Azteken die Toten ehrten und die Ägypter, die Inder mit dem Tod umgehen, afrikanische Kulturen und die Europäer.

„Vor allem aber habe ich hier auf Melaten Geschichten vom Leben gehört. Von Angst, aber auch von Mut und von Hoffnung.“ Wenn Menschen ihre persönlichsten Geschichten erzählen, sagt Lejeune, „dann spürt man ihre Seele.“ Und die – da legt er sich fest – „vergeht nicht“.