Köln – Angeklagt ist Rainer Kippe, 75-jähriger Sozialarbeiter, Aktivist der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) und streitbarer Lobbyist für Obdach- und Wohnungslose.
Es geht um Hausfriedensbruch, weil er am 1. Mai im vergangenen Jahr zusammen mit obdachlosen Frauen Häuser der Bundesanstalt für Immobilien in Ossendorf besetzt hatte, die seit Jahren leer standen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hatte zuvor über mehrere leerstehende Häuser des Bundes und ausbleibende Sanktionen durch die Stadt berichtet.
Anwalt will Reker vorladen
Kippe und seine Mitstreiter wollen am kommenden Mittwoch vor dem Amtsgericht den Spieß umdrehen und aus dem Prozess ein Tribunal gegen die Stadt machen. Ihr Anwalt werde „Rechtsgeschichte schreiben“, verkündet der SSM vollmundig. Nicht Kippe gehöre auf die Anklagebank, sondern die Stadt Köln und die Polizei. Rechtsanwalt Heinrich Comes hat beantragt, Oberbürgermeisterin Henriette Reker vorzuladen.
Er hält die Besetzung der Häuser für „gerechtfertigt“, weil die Stadt nicht in der Lage sei, ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die obdachlosen Frauen seien gesundheitlich akut gefährdet gewesen, der Leerstand der Häuser sei rechtswidrig. Der Polizei werfen Kippe und Comes vor, die öffentliche Sicherheit gefährdet zu haben, weil sie bei der Räumung der Häuser Obdachlose einfach auf die Straße gesetzt haben.
Rechtsstaatliche Organe seien missbraucht worden
„Die Angeklagten fragen, wie lange die Stadt Köln unter Henriette Reker und Sozialdezernent Rau gewillt ist, ihre menschenverachtende Politik gegen Obdachlose fortzusetzen“, so der SSM. Im konkreten Fall seien zudem rechtsstaatliche Organe missbraucht worden. Wie es heißt, habe die Polizei damals vor Ort gar nicht räumen wollen, sei aber dazu von höheren Stellen gezwungen worden.
Ob das den Richter im konkreten Fall beeindrucken wird, ist offen. Vorerst hat er den Prozess in einen größeren Saal verlegt, da mit vielen Beobachtern gerechnet wird. Auch einige der damals obdachlosen Frauen wollen kommen.
Versagt die Stadt beim Umgang mit Wohnungsnot und Obdachlosenhilfe? Für die Hausbesetzer von Ossendorf ist die Antwort klar. Was Köln anbietet, sei zu wenig. Anstatt den Menschen ein Dach über dem Kopf zu bieten, wo sie nicht jeden Morgen wieder auf die Straße gesetzt würden, begnüge man sich mit punktuellen Hilfen.
Duschbus für Obdachlose
Die Tagesordnung des nächsten Sozialausschusses des Stadtrates biete dafür ein gutes Beispiel, sagen die Kritiker. Die FDP hat beantragt, einen „Duschbus“ für Obdachlose einzurichten. So etwas gibt es bereits in Hamburg, Berlin und München.
Der Duschbus biete Obdachlosen die Gelegenheit, „sich in würdevoller Umgebung zu waschen und zu pflegen“, heißt es vonseiten der FDP. Das scheint ein gutes Angebot zu sein, was auch die rege Nutzung in den anderen Städten zeigt. Von solchen Unterstützungsmaßnahmen, die das Leben der Betroffenen erleichtern, gibt es bereits einige in der Stadt.
Doch das, was auf den ersten Blick richtig und sinnvoll scheint, kann man auch ganz anders beurteilen. Eine Idee wie ein „Duschbus“ belege, dass man Obdachlosigkeit nicht wirklich bekämpfen wolle, sondern akzeptiere, dass Menschen auf der Straße leben müssen, sagt Rainer Kippe. „Die Gesellschaft darf sich aber nicht mit Obdachlosigkeit abfinden.“
Kritik an den „Duschbussen“ kommt auch von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Statt eines Busses, der irgendwo vorfährt und vor dem man anstehen muss, brauche man sichere Räume. Sanitäre Einrichtungen müssten Teil einer festen Einrichtung sein – am besten einer Wohnung.
Häuser in Ossendorf müssen grundsaniert werden
Die Häuser in der Ossendorfer Ikarosstraße stehen derweil immer noch leer. An anderer Stelle hat die Stadt seit der Berichterstattung im „Kölner Stadt-Anzeiger“ einige Häuser des Bundes übernommen oder angemietet.
Sie werden nach Angaben des Presseamts zur Unterbringung von Geflüchteten genutzt. Die Häuser in Ossendorf könnten noch nicht wieder bezogen werden, weil sie vorher „grundsaniert“ werden müssten.