In den laufenden Prozess am Landgericht Köln um die Schmerzensgeld-Klage eines Missbrauchsopfers gegen das Erzbistum Köln haben sich jetzt Mitglieder des Betroffenenbeirats zulasten des Klägers eingeschaltet.
Missbrauch„Versuchter Rufmord“ an Kläger gegen Erzbistum Köln
Im laufenden Prozess um die Schmerzensgeldklage eines Missbrauchsopfers gegen das Erzbistum Köln haben drei Mitglieder des Betroffenenbeirats im Erzbistum zulasten des Klägers beim Landgericht Köln interveniert. Der unter anderem vom zeitweiligen Sprecher des Gremiums, Peter Bringmann-Henselder, unterzeichnete Brief an den Vorsitzenden Richter der Fünften Zivilkammer, Stefan Singbartl, unterstellt dem Kläger Täuschungsabsichten und unlautere Angaben beim Gericht. „Wir zweifeln an dieser Stelle ausdrücklich die Glaubwürdigkeit an“, heißt es wörtlich über den Kläger.
Zur Begründung geben die Verfasser „Erfahrungen“ aus der gemeinsamen Arbeit im Betroffenenbeirat wieder, dem auch der Kläger von 2019 bis 2021 angehörte. Außerdem schildern sie angebliche Äußerungen des Klägers im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeiten als Klinikseelsorger und äußern mit Blick auf die Missbrauchserfahrung des Klägers ihr Unverständnis über dessen späteren Umgang mit dem Täter und öffentliche Äußerungen hierzu. „Wir Betroffene können uns keinen Reim auf das Verhalten machen.“
Briefschreiber bieten Kölner Richter Gespräch an
Die Verfasser bieten Richter Singbartl ein Gespräch an, falls er sich „persönlich ein Bild machen“ wolle. „Wir freuen uns jedenfalls, wenn wir Ihnen ein paar vielleicht hilfreiche Informationen geben konnten.“
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Das Landgericht bestätigte auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Eingang des Schreibens. „Der Brief wurde zu den Akten genommen und den Verfahrensbeteiligten– wie es vorgeschrieben ist – zur Kenntnis gegeben“, sagte Gerichtssprecherin Diana Renk. „Für das Verfahren selbst spielen die Inhalte keine Rolle, solange der Kläger, das Erzbistum als die Beklagte oder deren Vertreter nichts davon ins Verfahren einführen“, betonte Renk.
In dem Musterverfahren geht es um Schmerzensgeldforderungen von insgesamt 800 000 Euro. Der Kläger war als Messdiener in den 1970er Jahren mehr als 300-mal von einem Priester missbraucht worden. Er wirft der damaligen Bistumsleitung vor, weggeschaut und weitere Taten nicht durch ein entschiedenes Vorgehen gegen den Geistlichen verhindert zu haben. Das Missbrauchsgutachten des Strafrechtlers Björn Gercke von 2021 lastet dem früheren Kardinal Joseph Höffner und seinem Generalvikar Norbert Feldhoff an, ihre Pflicht zur Aufklärung und Opferfürsorge verletzt zu haben.
Die heutige Bistumsleitung unter Kardinal Rainer Woelki erkennt sowohl die Geschehnisse als auch die Amtshaftung des Erzbistums an. Zudem verzichtete Woelki in diesem Fall auf die Einrede der Verjährung. Nachdem sich die Prozessparteien im Dezember nicht auf einen Vergleich hatten einigen können, muss das Gericht nun im Rahmen der Hauptverhandlung die Höhe des Schmerzensgeldes festlegen. Richter Singbartl deutete an, dass sich die Summe im sechsstelligen Bereich bewegen, aber hinter der Forderung des Klägers zurückbleiben könnte.
Dessen Anwalt Eberhard Luetjohann sprach mit Blick auf den Brief aus den Reihen des Betroffenenbeirats von einem beispiellosen Vorgang. „Ich habe so etwas in meiner jahrzehntelangen Praxis noch nicht erlebt.“ Es handele sich um den Versuch einer massiven Einflussnahme auf den Vorsitzenden Richter mit unwahren Behauptungen und haltlosen Unterstellungen. „Die Begriffe unanständig oder unmoralisch wären dafür noch eine liebenswerte Untertreibung“, sagte Luetjohann.
Das Erzbistum Köln verneint ein Mitwissen von Bistumsverantwortlichen
Er warf auch die Frage nach einer Mitverantwortung des Erzbistums Köln als der Gegenseite im Zivilprozess auf. „Der Betroffenenbeirat ist eine vom Erzbistum Köln eingerichtete Unterinstitution. Sollte solch ein Schreiben wirklich ohne Kenntnis von Bistumsverantwortlichen und ohne Abstimmung mit ihnen erfolgt sein?“
Bringmann-Henselder ließ eine entsprechende Nachfrage hierzu unbeantwortet. Das Erzbistum bestritt ein Mitwissen. Die Verfasser hätten sich ohne Kenntnis von Bistumsvertretern an das Gericht gewandt, sagte eine Sprecherin. Es handele sich bei dem Brief um ein „persönliches Schreiben“ dreier Betroffener, nicht des Beirats und auch nicht des Erzbistums. „Es erfolgte lediglich eine Information an die Stabsstelle Aufarbeitung über den Versand, da für eine mögliche Antwort seitens des Gerichts die Adresse der Stabsstelle Aufarbeitung angegeben wurde.“
Da der Brief nicht von den Prozessparteien stamme, sei es im Verfahren vor dem Landgericht auch nicht Gegenstand, so die Bistumssprecherin weiter. „Das Erzbistum vertraut darauf, dass das Gericht das Verfahren im Rahmen der Zivilprozessordnung – wie von Anfang an – korrekt weiterführt.“
Ein versierter Jurist ordnete das Schreiben Bringmann-Henselders und seiner Mitunterzeichnenden „als lupenreinen Fall von versuchter character assassination (Rufmord)“ ein, der auch in rechtlicher Hinsicht „höchst problematisch“ sei. Die Glaubwürdigkeit des Klägers werde „brutalstmöglich“ in Frage gestellt. „Dass das bei Gericht verfängt, glaube ich nicht, schon weil es prozessual nicht verwertbar ist. Aber aus den Köpfen lässt sich einmal Gelesenes kaum wieder vertreiben, und lesen müssen wird es das Gericht vermutlich schon.“ Gerichtssprecherin Renk versicherte, die Kammer lasse sich „durch solche Vorstöße von außen in keiner Weise beeinflussen“.
Was der Brief nicht erwähnt: Der Kläger hatte sich sowohl als Mitglied des Betroffenenbeirats als auch des „Beraterstabs sexueller Missbrauch“ gegen die weitere Mitwirkung Bringmann-Henselders gewandt. Weil dieser trotz Bedenken und Warnungen auch von dritter Seite erneut in den Betroffenenbeirat berufen und zudem in die „Unabhängige Kommission“ zur Aufarbeitung des Missbrauchs im Erzbistum entsandt wurde, verließ der Kläger unter Protest den Beraterstab.
Kläger verzichtet auf rechtliche Schritte gegen die Briefschreiber
Ein Insider nannte den Brief in mehrfacher Hinsicht erschütternd und das Verhalten der Betroffenen sehr bedrückend. Streit, Kontroverse und persönliche Abneigungen unter ihnen seien - wie auch sonst unter Menschen - unvermeidbar. Aber das Ausmaß der Antipathie, der Hass und der Vernichtungswille seien beängstigend und riefen nach einer psychologischen Bewertung.
Kläger-Anwalt Luetjohann wiederum erklärte, sein Mandant werde auf rechtliche Schritte gegen die Briefschreiber verzichten. „Das ist nicht unser Niveau. Wenn kein Verfahren liefe, würde man so etwas wie diesen Brief umstandslos beiseitelegen.“