Die Explosionen wecken in der Keupstraße Erinnerungen an den NSU-Anschlag vor 20 Jahren. Die Polizei verfolgt aber auch andere Spuren.
Köln und EngelskirchenAnwohner von Explosionen schockiert – Polizei verfolgt erste Spuren
Was passiert wäre, wenn er während der Explosion noch draußen vor dem Café gesessen hätte, will sich Mehmet Bayrak (Name geändert) kaum ausmalen. „Es war ein Riesenknall, zuerst dachte ich an eine Bombe“, sagt er zwei Tage später. Als es rund 20 Meter vom Café entfernt in einem Wohnhaus an der Keupstraße zur Detonation kam, befand sich Bayrak mit den letzten Gästen im Innenraum des Cafés, fünf Minuten vorher saß er noch auf einem Klappstuhl davor. „Alles hat gewackelt und der Putz kam von der Decke. Ich habe wie auf Autopilot gehandelt und nur gehofft, dass es nicht noch zu weiteren Explosionen kommt.“ Bayrak zog die Tür des Cafés zu und wartete. Erst als andere Anwohner und die Polizei zum Tatort eilten, traute auch Bayrak sich aus der Deckung.
Die Spuren der Explosion sind auch zwei Tage später noch deutlich zu erkennen: Die Eingangstür des Wohnhauses wurde aus den Angeln gehoben, auch am Montag ist sie noch nicht wieder eingesetzt, die Leuchtreklame einer Shisha-Bar neben dem Wohnhaus ist zerstört.
Anwohner in der Keupstraße nach Explosionsserie verunsichert
Eine Nacht später kam es wenige hundert Meter weiter zu zwei weiteren Explosionen. Auch dort, auf der Wichheimer Straße und der Holweider Straße, traf es Wohnhäuser. Der Schock über die Explosionen sitzt bei den Anwohnern auch dort noch tief. „Als es geknallt hat, dachte ich: Wir sterben jetzt“, sagt eine Anwohnerin auf der Wichheimer Straße. Die Eingangstür des Hauses wurde notdürftig mit einer Holzplatte verriegelt, im Treppenhaus verstreut liegen auch am Montag noch Holz und Glassplitter herum. Durch den Druck der Detonation sind die Treppenhausfenster bis hinauf in den dritten Stock zu Bruch gegangen.
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Am Montag teilt die Polizei mit: In Engelskirchen im Bergischen zwischen Overath und Wiehl haben Unbekannte am Montagmorgen gegen 5 Uhr im Eingangsbereich eines Mehrfamilienhauses die nächste Explosion ausgelöst. Mehrere Scheiben sowie die Eingangstür des Hauses in der Straße „Im Auel“ wurden dabei stark beschädigt. „Die Ermittler gehen aufgrund der Tatbegehungsweise und der verwendeten Sprengvorrichtungen aktuell davon aus, dass die drei Taten in Köln sowie die Tat in Engelskirchen im Zusammenhang stehen“, teilt die Polizei mit. In allen vier Fällen kam nach ersten Erkenntnissen wohl Pyrotechnik zum Einsatz, verletzt wurde niemand. Wer hinter der Explosionsserie steckt, ist noch unklar. Die Spurensicherung sowie die Arbeit der Kölner Ermittler in Engelskirchen dauerten am Montagnachmittag noch an.
Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, soll die Polizei bei ihren Ermittlungen eine Spur in die Drogenszene verfolgen. Möglicherweise, so heißt es, könnte ein Streit unter Dealern oder zwischen Dealern und Konsumenten eskaliert sein. Eine Behördensprecherin betonte, die Polizei habe ihre Präsenz rund um die Tatorte in Köln-Mülheim und in Engelskirchen sichtbar erhöht, auch um der Bevölkerung ein höheres Sicherheitsgefühl zu geben. So sind etwa Opferschützer der Kölner Polizei rund um die betroffenen Kölner Häuser im Einsatz und nehmen gemeinsam mit Beamten für interkulturelle und -religiöse Angelegenheiten Kontakt mit den Anwohnern auf.
Auf der Keupstraße sorgen die Explosionen für große Verunsicherung. „Da kommen einem sofort hundert Theorien in den Sinn“, sagt Bayrak. „Aber natürlich denkt man vor allem an das, was vor 20 Jahren passiert ist.“ Damals detonierte in der Keupstraße eine Nagelbombe, gezündet vom rechtsterroristischen NSU.
Erst vor drei Wochen erinnerte die Keupstraße beim Birlikte-Gedenkfest an den Anschlag. „Die Angst ist wieder zurück“, sagt ein anderer Anwohner. Er habe noch genau die Atmosphäre nach der Detonation vor 20 Jahren in Erinnerung. „Der Schock über die Tat, die skeptischen Blicke der Nachbarn und die Verdächtigungen untereinander. All das passiert gerade wieder.“ Hoffnung auf eine schnelle Aufklärung der Explosionen habe er nicht. Ein anderer Anwohner hofft darauf, dass die Videoaufzeichnungen der Cafés rund um die Explosionsorte bei der Aufklärung helfen werden, die Polizei habe die Cafébetreiber an der Keupstraße bereits um die Aufnahmen gebeten, erzählt er. „Zum Glück hat sich wenigstens niemand verletzt.“
Hinweise auf einen möglichen politischen Hintergrund oder mögliche Bezüge ins Rockermilieu liegen bislang allerdings nicht vor, so die Polizei. Wie zu erfahren war, wurde dennoch der Staatsschutz in die Ermittlungen einbezogen.