- Am 14. September verletzte ein Böllerwerfer im Kölner FC-Stadion mehr als ein Dutzend Menschen.
- Sabine J. ist eine von ihnen. Sie leidet bis heute unter der Attacke und hat den Täter angezeigt.
- Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger” erzählt sie von den Ereignissen an jenem Tag und den Spätfolgen.
Köln – Als Sabine J. am 14. September nach dem Bundesligaspiel 1. FC Köln gegen Mönchengladbach mit dem Fahrrad nach Hause fährt, ist sie erst einmal nur sauer – auf den FC, über die 0:1-Niederlage und auf den Mann, der in der 86. Spielminute einen Böller in den Stadioninnenraum geworfen hatte. Der Knall hatte 50.000 Zuschauer aufgeschreckt, 15 Fotografen, Ordner und ein freiwilliger Helfer wurden noch im Stadion wegen Knalltraumata behandelt.
Zuallererst kam die Angst vor einem Terroranschlag auf
Sabine J. dachte sofort an einen Terroranschlag, erzählt sie heute, fast drei Wochen später, im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Es habe große Unruhe geherrscht. „Niemand wusste, ob noch weitere Explosionen folgen würden.“ Als die ausblieben, das Spiel nach kurzer Unterbrechung weiterlief und Polizisten den Täter aus dem Block führten, war der erste Schock überwunden. Die Schmerzen in ihrem linken Ohr spürte die 42-Jährige erst, als sie abends in Ruhe zu Hause saß. „Ich hörte so etwas wie ein Klingeln im Ohr, spürte dazu ein dumpfes Gefühl. So, als hätte man ein sehr lautes Konzert besucht.“
Der Sprengkörper war nicht weit von ihr entfernt explodiert, seit 20 Jahren hat die Dauerkarteninhaberin ihren Platz auf der Westtribüne, Block W2, Reihe 5. Zehn bis 15 Meter weiter, unten vor der Südtribüne, sei ein Fotograf nach dem Knall von seinem Platz aufgesprungen und habe seine Kamera weggeworfen. „Woher der Böller kam, habe ich gar nicht gesehen“, sagt J.
Schmerzensgeld möchte sie spenden
Als ihre Beschwerden am nächsten Tag nicht abgeklungen sind, erstattet die Bankkauffrau online Strafanzeige gegen den Böllerwerfer bei der Polizei, ebenso wie ein weiterer Stadionbesucher. Die Staatsanwaltschaft weiß inzwischen von insgesamt 18 Verletzten, wie Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn am Mittwoch mitteilte. Sabine J. glaubt, dass es in Wahrheit noch mehr sind. „Da waren allein schon so viele Kinder auf der Tribüne, die das aus unmittelbarer Nähe miterlebt haben, wahrscheinlich ist aber nicht jeder zur Polizei gegangen.“ J. ermutigt jedes Opfer, das auch im Nachhinein noch zu tun, auch Willuhn fordert jeden zur Strafanzeige auf, der durch die Folgen der Explosion – wenn auch nur vorübergehend – Schmerzen oder andere gesundheitliche Beeinträchtigungen hatte.
„Ich bin wirklich keine Memme“, sagt Sabine J., „ich habe in meinem ganzen Leben vorher noch nie jemanden angezeigt. Auch Bengalos im Stadion sehe ich eher gelassen, aber das hier ist etwas ganz anderes. Was dieser Typ getan hat, macht mich wirklich sauer.“ Um Geld gehe es ihr bei der Strafanzeige nicht, betont Sabine J. Schmerzensgeld – sollte sie womöglich auf zivilrechtlichem Wege welches erhalten – möchte sie spenden.
Mindestens ein Jahr Gefängnis steht für Böllerwerfer im Raum
Dass die Polizei den mutmaßlichen Böllerwerfer so schnell identifizieren und nur wenige Minuten nach der Explosion noch im Block festnehmen konnte, war den aufmerksamen Beobachtungen des Ordnungsdienstes und der Videoüberwachung zu verdanken, die gestochen scharfe Bilder von den Zuschauertribünen liefert.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion gegen den 35-jährigen Stefan Z. (Name geändert). Darauf steht eine Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis, die auch zur Bewährung ausgesetzt werden kann. In ihren Ermittlungen ist die Polizei schon sehr weit. „Ich rechne damit, dass Anfang November der Abschlussbericht vorliegt“, sagt Oberstaatsanwalt Willuhn. Dann könnte rasch Anklage erhoben werden. Der 1. FC Köln hat gegen Z., der weder Vereinsmitglied noch Dauerkarteninhaber ist, bereits ein dreijähriges Stadionverbot verhängt. Für die zu erwartende Geldstrafe des DFB will der Club den 35-Jährigen in Regress nehmen.
Mit mulmigem Gefühl ins Stadion
Der Vater von Sabine J., ein Arzt, riet seiner Tochter anfangs zu viel Ruhe, und tatsächlich klangen die Schmerzen zunächst ab. Weil sie nun aber wieder schlimmer wurden und auch das dumpfe Gefühl im Ohr nicht verschwunden ist, macht die 42-Jährige seit dieser Woche eine Cortison-Therapie. „Außerdem leide ich ständig unter Kopfschmerzen, auch das war vor der Explosion nicht der Fall.“ Immerhin: Ihr Hals-Nasen-Ohren-Arzt ist zuversichtlich, dass die Beschwerden durch das Cortison verschwinden, einen bleibenden Schaden befürchtet er nicht.
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Zum Spiel gegen Hertha BSC Berlin vorige Woche, dem ersten Heimspiel seit dem Böller-Vorfall, ist Sabine J. erstmals in über 20 Jahren mit einem leicht mulmigen Gefühl ins Rhein-Energie-Stadion gegangen, erzählt sie – und mit einem Schaumstoff-Stöpsel im linken Ohr, zum Schutz gegen den Lärm. Sauer war sie nach dem 0:4 zwar auch, diesmal aber nur auf den FC.